Das Wortgeburt Twitter-Archiv

25.09.2009 — 07.08.2023

Im September 2009 beschloss ich, auf Twitter einen Zweitaccount zu eröffnen, der ausschließlich einem Zweck dienen sollte: dem Sammeln und Veröffentlichen von »Wortgeburten«. Das sollten schöne und (für mich) neue Wortschöpfungen sein, die mir im Alltag, in Büchern und Texten, in Fernsehen und Radio und natürlich im Internet begegneten – oder die mir selbst einfielen. Die Freude an besonderen Wortschöpfungen war seit der Eröffnung meines Haupt-Twitteraccounts @formschub ein fester Bestandteil vieler Tweets. Gleich mein zweiter überhaupt geposteter Tweet auf diesem Account notiert im Dezember 2008 ein Wort, das mir in einer Nachrichtensendung aufgefallen war:

Gut zwei Monate später entsteht in einem Tweet mit einem weiteren verbalen Fundstück das Wort »Wortgeburt«:

Nach der Einrichtung des neuen Accounts dauerte es eine Weile, bis ich ein Schema und eine Routine entwickelt hatte, um die Sammlung zu beginnen. Der Account sollte anmuten wie ein Bot-Account (ohne tatsächlich ein solcher zu sein) und jeder Tweet sollte einer möglichst einheitlichen Systematik folgen. Ich hatte mir vorgenommen, dort möglichst wenigen anderen Accounts zu folgen und auch möglichst selten auf Replys zu antworten – dazu sollte stattdessen mein Hauptaccount dienen. Ich fand und sammelte also als @formschub unter all meinen Followings und später auch anhand von Initiativ-Einreichungen meiner Follower die Begriffsbeute, portierte sie hinüber zu @wortgeburt und postete sie dort als Reply, die somit stets den (User)namen des Impulsgebers/der Impulsgeberin enthielt. Wer sich also anhand des Wortgeburt-Tweets den Tweet anzeigen ließ, auf den so geantwortet wurde, gelangte automatisch zur Quelle des Wortes. Ich nutze bewusst den Begriff »Impulsgeber*in«, denn ich konnte schließlich nie sicher sein, ob die User*innen, denen ich einen Fund verdankte, tatsächlich die Erfinder*innen oder Urheber*innen einer Wortgeburt waren. Oft (aber nicht immer) googelte ich Wörter, die ich entdeckte, oder gab sie in die Twittersuche ein. Fanden sich dort keine oder nur wenige Treffer, kam das Wort in die Sammlung. Das war auch der Grund, warum ich in den Quellenangaben von Anfang an die Präposition »via« benutzte – um auszudrücken, dass die Impulsgebenden lediglich der »Kanal« waren, über den ich von der Existenz der neuen Wörter erfuhr, ungeachtet der Tatsache, woher die Kreationen tatsächlich stammten. Anfang 2017 erweiterte ich die Quellenangabe, indem ich einen Link zum Herkunftstweet an den Eintrag und die Namensreferenz anhing, so dass das Ursprungsposting sofort sichtbar in den Wortgeburt-Tweet eingebettet war.

In vielen Wortgeburt-Tweets finden sich zudem mehrere Herkunftsangaben, dann stehen in Klammern hinter der eigentlichen Wortgeburt zwei oder mehr Twitter-Usernamen, Klarnamen oder Links. Der erstgenannte (Account)name ist gemeinhin die »wahre« Quelle, also der Fundort des Begriffs. Die nachfolgenden Angaben sind dann zumeist Hinweisgebende oder Einreichende, die mich auf die Quelle aufmerksam gemacht haben. Zum Schluss folgt dann ein Link zu einem Ziel innerhalb oder außerhalb von Twitter, wo der Begriff in seinem ursprünglichen Kontext nachzulesen ist – sofern verfügbar.

Für alle, die sich beim ersten Besuch des @wortgeburt-Accounts fragten, was eine Wortgeburt ist, hatte ich recht früh eine Seite auf meinem Webserver eingerichtet, um darauf eine Antwort zu geben. Und damit der Aufwand und die Tweetfrequenz nicht eskalieren, hatte ich mich von Anfang an auf Substantive beschränkt. Am häufigsten tauchten darunter in den meisten meiner Quellen zwei- oder dreiteilige Komposita auf, bisweilen aber auch komplett neue Wortschöpfungen. Verlockende Verben und Adjektive ließen sich zwar bisweilen substantivieren, um in die Sammlung aufgenommen werden zu können, doch wenn das nicht zu einem würdigen Ergebnis führte, verzichtete ich auf die Aufnahme.

Trotz des recht konsequenten »Bot-Habitus« des @wortgeburt-Accounts fanden sich zur Twitter-Blütezeit gut 1.600 Follower dort ein, die offensichtlich genauso viel Spaß an kuriosen oder außergewöhnlichen Wörtern hatten wie ich, was mich sehr freute. Nach dem Erwerb Twitters durch »Melon Dusk« und dem anschließenden raschen und teils abstoßenden Niedergang verlor ich zunehmend den Spaß daran, schöne Wörter auf einer hässlichen Plattform zu sammeln und beschloss Anfang August 2023, die Wortgeburt-Sammlung auf Twitter zu beenden und sie stattdessen auf Mastodon fortzuführen.

Der Twitter-Account von @wortgeburt wurde mit heutigem Datum deaktiviert. Die bisherige Sammlung an Wortgeburten hatte ich zuvor als Tweet-Archiv heruntergeladen, zunächst in eine Textdatei und anschließend in ein Excel-Sheet überführt, sodann Doppeleinträge, Replys und andere kontaminierende Tweets entfernt, die Systematik bereinigt und zum Schluss alle Einträge alphabetisch sortiert und formatiert. Die verweisenden Links habe ich zunächst alle beibehalten, obwohl etliche inzwischen nicht mehr funktionieren, teils bedingt durch den massiven Twitter-Exodus, teils durch den Mythos »Das Internet vergisst nichts«, denn das tut es sehr wohl – und zwar in ganz erheblichem Maße. Übrig blieben 16.238 außergewöhnliche, skurrile, schöne Begriffe, die fast alle der Formulierungsfreude, dem Sprachspaß und der Phantasie der Menschen aus meiner Twitterbubble entspringen. Dafür möchte ich mich an dieser Stelle von ganzem Herzen bedanken. Es war mir ein Fest.

P.S.: Unten am Fuß der Seite habe ich noch ein paar Links zu weiteren schönen Wörtern zusammengestellt.

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