Fernsehen in Nahkose

Wie rasant sich die Technik beim Fernsehen weiterentwickelt hat, wird am ehesten sichtbar, wenn Jahre oder Jahrzehnte alte Werbespot-Klassiker, Tagesschauschnipsel mit Karl-Heinz Köpcke, Triumphmomente vergangener Sportmeisterschaften oder geschichtsträchtige (Talk)showhäppchen in Wiederholung über den Bildschirm flimmern. Körnige, verwaschene Szenen und muffiger Ton malträtieren Auge und Ohr und machen bewußt, dass dies einmal der ganz gewöhnliche Medienalltag war. Gottseidank ist das inzwischen – mit hochauflösenden Kameras, digitaler Sendetechnik und erschwinglichen High-Tech-Fernsehern – anders. Klarer. Schärfer. Bunter. Man ist einfach »näher dran«. Manchmal aber auch ein Ideechen zu nah.

Speziell bei Interviewszenen mit Sportlern, Promis und Politikern packt mich in letzter Zeit der Reflex, mich weiter weg zu setzen, wenn es denn ginge, weil mir die gesendete Nähe regelrecht auf den Pelz rückt. »Dichter!« befiehlt die Regie bei Sabine C., Günther J. und Co. – und die Kamera gehorcht und umspielt gnadenlos jedes Detail im Gesicht der geladenen Gäste. Ein bei der Rasur vergessenes Barthaar des Fraktionsvorsitzenden – glasklar. Ein winziger Speiserest zwischen den Zähnen des Unternehmensvorstands – gestochen scharf. Die zart verschmierte Wimperntusche am Lid der Presseprecherin – erbarmungslos sichtbar. Speichelfäden beim Sprechen, rinnende Schweißtropfen, Hautrötungen, Schuppen, Falten, Pickel, Poren, Nasenhaare. Alles wird bildschirmfüllend gesendet. Kontrast 10.000:1, High Definition, Millionen von Farben. Zwischenzeitlich verrät nur die Stimme, wer gerade spricht; erst, wenn sich der Bildausschnitt weitet, werden dermatologische Strukturen wieder zu bekannten Gesichtern. Hinter den fesselnden mikroskopischen Details tritt schon mal der Inhalt der Rede zurück, was aber – je nach Redner – den Informationsgehalt der Szene nicht zwangsläufig mindert. Aus Fernsehen wird Nahsehen.

Ich selbst habe noch keinen 40-Zoll LCD- oder Plasma-TV. Aber, liebe Fernsehhersteller, eine Idee: Wie wär’s mit einem schicken Retro-Feature namens »Makro-Mercy« oder »Zoom-Escape«, das auf Knopfdruck die Bildqualität sofort um 30 Jahre zurückschaltet? Denn die Gnade der niedrigen Auflösung kann manchmal ein echter Fortschritt sein.

Fernsehmakro