Death in the Afternoon

In einem Frankfurter Bürogebäude wurde gestern die Leiche eines Angestellten entdeckt, der offenbar vor 3 Monaten dort unentdeckt an seinem Arbeitsplatz in normaler Sitzhaltung verstarb. Die Todesursache ist bislang ungeklärt, die Polizei vermutet akutes Herzversagen. Durch die trockene klimatisierte Luft und die schädlingsfreie, nahezu hermetisch abgekapselte Umgebung im 39. Stock war der Körper des Toten fast völlig geruchlos mumifiziert worden. Der Mitarbeiter war in einem Einzelbüro mit der Erstellung gedruckter Gebrauchsanweisungen beschäftigt; das aktuelle Dokument auf seinem Bildschirm war noch geöffnet. Die Geschäftsführung des Arbeitgebers, die deutsche Niederlassung eines multinationalen Konzerns, bedauerte den Vorfall schriftlich, war aber zu einem Interview nicht bereit. Seine Kollegen äußerten sich schockiert über den Vorfall.

Ich habe mir noch letzte Woche einen Tacker von ihm geliehen. Er war halt auch so ein ganz Stiller, darum fiel mir gar nichts Besonderes auf.
(Heike M., Produktmanagerin)

Ich hatte mich schon gewundert, dass er in letzter Zeit so wenige Reisekostenabrechnungen eingereicht hatte. Ach, dachte ich, dann hat er wohl endlich Wurzeln hier in der neuen Stadt geschlagen.
(Stefanie S., Buchhalterin)

War schon komisch, dass er die letzten Systemupdates nicht mitgemacht hat, aber es gibt ja auch Late Adopter, da habe ich mir nichts dabei gedacht.
(Jörg W., Systemadministrator)

Dass ihm das Essen in der Kantine nicht schmeckte, wusste ich, seit ich ihm einmal seine heruntergefallene SpongeBob-Brotdose aufhob, die er wohl jeden Tag mitbrachte. Darum wunderte es mich nicht, dass ich ihn nie in der Mittagspause traf.
(Robert T., Telefonmarketing)

Mochte ich den Mann, war auch immer länger im Büro wie andere hier, aber ist wenigstens beim Putzen nicht hin- und hergelaufen immerzu, konnte ich gut arbeiten. Und unterhalte ich mich mit den Leuten hier sowieso nicht, will ich niemanden stören und muss ich mich beeilen, damit ich schaffe alle Büros.
(Jana P., Raumpflegerin)

Office_Death
Photo: © Kevin McShane on flickr | Licensed under CC BY-NC 2.0

4 Kommentare

  1. Also ich bin schon traurig, dass es ihn nicht mehr gibt. Ich bin ja eigentlich keine Berufskollegin, sondern eine Sammelkollegin. Soll heißen, wir sammeln – jetzt muss ich ja vielleicht sagen, haben gesammelt – so Gebrauchsanweisungen, die man nicht verstehen kann. Da gibts ja so einiges: sei es, weil der Verfasser das Ding, das er beschreibt, selbst nie gesehen hat oder weil es ein Übersetzer übersetzt hat, der davon keine Ahnung hat. Das kennt ja jeder und die witzigsten davon haben wir gesammelt. Jeder für sich natürlich, aber wir haben auch getauscht. Und, jetzt wo er tot ist, kann ichs ja sagen: Wenn er was besonders Tolles in die Finger kriegte, wurde er ganz wild. Dann hat er angerufen, ist zu mir gekommen, hat mirs gezeigt … jaja, pss … pss … pssst, er war ein toller Liebhaber, wenn ihn eine irre Gebrauchsanweisung angetörnt hatte. Aber das war schon länger nicht mehr der Fall gewesen, wenn ich so darüber nachdenke, schon möglich, dass er nichts Komisches mehr aufgetan hat und deshalb depressiv wurde …
    (Nessa, Sammeltante)

  2. Gut, ich war ja nur Laufbursche, ne. Hatte mich aber immer gewundert, dass er sein’n Kaffee nich getrunken hat. Habe natürlich immer ’ne neue Tasse hingestellt. Man will ja nix falsch machen, gerade als Praktikant.
    Und gegrüßt oder bedankt hat sich eh noch nie jemand, also war das auch nicht so komisch.
    Naja, macht sich auf jeden Fall gut im Portfolio, ne?
    (Thorsten P., Praktikant)

  3. Hallo, Knut! Ich finde es gut, dass mit Dir noch eine weitere Stimme ein Statement zu diesem bizarren Vorfall mit Eurem Kollegen abgibt als nur die, die in der Presse standen. Vielleicht wird das Bild dieses Menschen dadurch etwas klarer. Eventuell lesen ja noch ein paar Mitarbeiter Eurer Firma hier mit und möchten auch noch ein paar Sätze über ihre persönliche Wahrnehmung des unscheinbaren Toten äußern? Nur zu!

  4. Scheiße, Mann, wieso stirbt denn der, wo der mir noch siebzig Euronen schuldet? Jeden Tag hab ich ihm ein beschissenes Zwei-Euro-Stück gegeben, wenn er wieder bei mir hinten aufkreuzte. Weil er damit einen Turm bauen wollte für was Wohltätiges, und ich bekäme das doppelt zurück, wegen der Sponsoren, und die Dinger hat der in so einer bunten Brotdose gesammelt. Echt jetzt, in Watte, oder vielleicht war’s auch Samt. Tot, ja? Scheiße. Hat wer die Dose gefunden?
    (Knut B., Servicekraft Kantinenmitarbeiter)

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