Relativitätstheorie

Gestern wanderte ein Link durchs Netz, dessen Content mich – gelinde gesagt – etwas befremdete. Ein Videoclip, in dem erwachsene Menschen Kindern erzählen, sie hätten sich deren komplette Ausbeute an gesammelten Halloweensüßigkeiten einverleibt, worauf nahezu alle der beraubten Opfer in Tränen ausbrechen. Witzig? Nicht im geringsten.

Erwachsene fies verarschen ist schon ächtenswert genug, aber bei Kindern wiegt eine solche Perfidie ungleich schwerer. Ich glaube nämlich, dass es so etwas wie relatives Erfahrungsempfinden gibt. Ob diese Theorie schon existiert, habe ich nicht gegoogelt, darauf gekommen bin ich durch den oft gehörten Satz Erwachsener »die Zeit vergeht im Alter auch immer schneller«. Tut sie natürlich, absolut betrachtet, keineswegs. Aber in Relation zum bereits gelebten Leben sehr wohl.

Für ein Kind im Alter von sieben Jahren sind sechs Wochen Sommerferien eine scheinbare Ewigkeit. Was auch einleuchtet, wenn man diesen Zeitraum in Relation setzt zur bereits gelebten Lebenszeit: sieben Jahre (minus drei Jahre, da sich Kinder nach heutigem Kenntnisstand erst ab etwa diesem Alter bewusst an Ereignisse erinnern können) sind 208 Wochen. Sechs Wochen von 208 Wochen sind fast drei Prozent, d.h. das Kind empfindet die Dauer der Ferien als einen Zeitraum, der drei Prozent seines bisher erinnerten Lebens ausmacht. Ein Erwachsener von 20 Jahren (wieder minus drei) müsste für dieselbe Empfindung rund 186 Tage = 26 Wochen Ferien machen. Und deshalb kämen ihm mit steigendem Alter die sechs Wochen zunehmend kürzer vor.

Wenn man diese Theorie auf die Erfahrungen überträgt, die Kinder mit anderen Menschen machen, dann nimmt eine einzelne (wirklich gemeine) Verarschung unter den ansonsten positiven sozialen Erlebnissen ebenfalls einen viel größeren Anteil der Erinnerung ein und prägt das Kind somit viel stärker als einen Erwachsenen. Sicher ist ein solches Erlebnis immer unangenehm, doch wenn es bei Einzelfällen bleibt, können die meisten »Großen« einigermaßen damit umgehen. Aber das Weltbild von Kindern für ein paar YouTube-Lacher zu deformieren (und ich werde den Teufel tun, das hier zu verlinken), das ist schon ziemlich arm. Auch dann, wenn meine Theorie falsch ist.

Traurig
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2 Kommentare

  1. Ich finde es völlig egal, ob das nun was mit Deiner Relativitätstheorie zu hat oder nicht – es ist einfach komplett unmöglich, das ist ja, als würde man den Kindern eine scheuern und dann sagen, es war nicht so gemeint. Aus Erwachsenenperspektive lässt sich leicht sagen, es sei ja „nur“ um Süßigkeiten gegangen und auch gleich hinterher aufgeklärt worden, aber das ändert ja nichts dran, dass es für die Kinder offensichtlich eine Grausamkeit ist. Sowas tut man Kindern nicht an, fertig.
    Und sie dann noch vorzuführen und ins Internet stellen ist dann vollends geschmacklos.

    1. Sag ich ja. Ich konnte mit medial dargebotener Verarsche noch nie so richtig was anfangen, frühe Folgen von „Verstehen Sie Spaß” mal ausgenommen, das war ja harmloser als Schulstreiche. Aber spätestens seit Max Schautzers unsäglicher „Pleiten, Pech und Pannen”-Show und der noch grottigeren „Ups! Die Pannen-Show” finde ich sowas komplett fragwürdig. Und wenn dann noch Kinder stürzen, geschubst, bloßgestellt oder reingelegt werden, wird das Gesicht von „Entertainment” vollends zur Fratze. Word.

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