Vielleicht

Vielleicht haben sich die meisten Menschen ja über die Jahre daran gewöhnt, dass unser Staat nicht so gut funktioniert, wie er es könnte. Dass die gesellschaftliche Realität und die Politik oft nebeneinander herleben. Dass Politiker auf nahezu keine Frage, die ihnen gestellt wird, klar und verständlich antworten. Dass Opportunismus und Positionslosigkeit fest zur Kernkompetenz gehören. Dass unliebsame Mehrheitsinteressen abgewiegelt oder übergangen werden. Dass Abgeordnete Gesetze nur noch überfliegen, ehe sie darüber abstimmen. Dass die Paragraphen statt von Ministern von Lobbyisten vorformuliert werden. Dass zwar gewählt wird, aber kaum ein Wahlversprechen gehalten wird. Dass oft genug bei bedeutsamen Themen die Sitzreihen des Parlaments leer bleiben. Dass mehr verschwiegen als informiert wird. Dass der Nachlass der Gegenwart für die junge Generation immer düsterer wird. Dass so vieles bröckelt, abstumpft, dümpelt, verblasst und verkrustet. Dass wir Unzulänglichkeiten hinnehmen wie bei einem in die Jahre gekommenen Auto, das nur noch anspringt, wenn man vorher den Schlüssel zweimal hin- und herdreht und das an der Ampel ausgeht, wenn man nicht den Fuß ein bisschen auf dem Gaspedal lässt.

Wie bei dem alten Stuhl im Schlafzimmer mit den darübergeworfenen Klamotten, der eigentlich nach dem Umzug durch eine Garderobe ersetzt werden sollte, dann aber zum Dauerprovisorium gerann. Oder wie bei dem alten Ehepaar, dem irgendwann der Unterschied zwischen Vertrautheit und Tristesse abhandengekommen ist und das bei Unstimmigkeiten schon längst nicht mehr nach Worten sucht, sondern sie mit müdem Schweigen zudeckt.

Was soll man auch machen? Die Werbewochen sind vorbei. Die Zeiten ändern sich nun mal, was soll man alten Idealen nachjagen? Eigentlich funktioniert doch das Meiste, wenn man nicht so genau hinsieht. Geht doch. Der Zweck heiligt die Mittel. Anderen geht es noch schlechter, was soll man jammern. Es könnte schlimmer sein. Man muss sich auch mal zusammenreißen. Das Leben ist kein Wunschkonzert. Der Lack ist nun mal ab.

Vielleicht.


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