Traumwächter

Letzte Nacht hatte ich einen Traum. Er war ein bisschen spannend, aber nicht sonderlich spektakulär. Darin bewohnte ich anscheinend ein Zimmer in einer Art Ferienhaus, das unmittelbar an der Meeresküste lag. Wenn man aus einem der Fenster zur Meerseite in den größtenteils mit hellem Holz getäfelten Zimmern schaute, musste man schon ziemlich dicht an die Glasscheibe treten, um unten vor der Hausfassade den Sandstrand noch sehen zu können, ansonsten sah man nur Wasser. In meinem Traum war auf irgendeinem unspezifischen Kanal die Warnung bei mir angekommen, es stünde eine Art Flut bevor, die das Bewohnen des Hauses in Kürze unsicher oder gefährlich machen würde. Doch anstatt, dass ich und alle sonstigen Bewohner (von denen zwar gefühlt einige anwesend waren, sich aber im Traum nicht körperlich manifestierten) unverzüglich zur Evakuierung des Hauses geraten wurde, sollten alle Räume zuvor noch sorgsam aufgeräumt werden. Müll in den Zimmern sollte entsorgt werden, die Betten abgezogen, die Wäsche in Sammelkörbe gelegt werden sowie Kleidung und Bettwaren ordentlich zusammengelegt und in Schränken und Regalen verstaut werden. Wie sähe das denn aus, wenn ein Ozean die Herberge flutet und überall sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa. Und so befolgte ich diese Anweisung unbeirrt und sie erschien mir im Traum keineswegs abwegig, obwohl der Wasserstand beim Blick aus dem Fenster stetig stieg.

Im weiteren Fortgang des Traums fand ich in einem der Zimmer eine angebrochene Schachtel sehr verlockend aussehender dunkler Pralinen. Ich konnte nicht widerstehen und aß einige davon. Dann meldete sich eine Stimme in meinem Kopf, die anmerkte, das sei ja jetzt nicht wirklich konform zu meiner (tatsächlich seit Anfang Januar zwecks Gewichtsreduktion laufenden) »Low Carb«-Ernährungsumstellung und ich sollte daher lieber nicht weiternaschen. Dann wachte ich auf.

Neulich, während eines anderen Traumes, geschah etwas ganz Ähnliches: Ich träumte, dass ich mit einigen Ex-Kollegen draußen in einer mir unbekannten Stadt vor einer Art Kiosk oder Trinkhalle stand und mich angeregt mit ihnen unterhielt. Zu meinen Füßen stand mein (real existierender) Laptop-Rucksack, und außer meinem MacBook befand sich darin auch eine sehr innovative, von mir erträumte Mehrfach-Steckdosenleiste. Sie war etwa 50 cm lang, hatte eine zylindrische Form und durch das Verdrehen darin vorhandener Ringsegmente konnte man USB-Buchsen und ausländische Netzadapter in Position drehen, so dass man auf Reisen stets an jedem Ort mit einem kompatiblen Stromzugang versorgt war. Keine so schlechte Idee, eigentlich.

Plötzlich bemerkte ich, dass der Rucksack verschwunden war. Ich bekam einen Schreck und fragte die Kollegin direkt mir gegenüber, ob sie gesehen hätte, dass ihn jemand entwendet hätte. Sie verneinte, aber dann sah ich aus dem Augenwinkel außerhalb der mich umgebenden Personengruppe einen Schatten weglaufen und ich wusste: das ist der Dieb! Geistesgegenwärtig nahm ich mein iPhone zur Hand (ich träume wohl recht modern), denn mit der eingebauten »Wo ist?«-App konnte ich ja problemlos lokalisieren, wo sich mein MacBook befand bzw. wohin der Dieb damit lief. Und tatsächlich sah ich auf der Karte eine blaue Spur, die sich rasch von mir entfernte. Ich rannte dem Dieb (alleine) auf dieser Strecke hinterher, sein Vorsprung betrug nur etwas über 100 Meter, aber ich hatte keinen Sichtkontakt mehr. Da sich die Verfolgungsjagd in einer Stadt abspielte, gab es recht viele Straßen und Nebenstraßen und die getrackte Route des Flüchtenden bog häufig in wechselnde Richtungen ab. Ich rannte weiter, immer die angezeigte Fluchtroute auf dem Display im Blick. Plötzlich blieb die Trackingmarkierung kurz an einem Punkt stehen. Ich hoffte, das würde mir ermöglichen, den Dieb einzuholen. Dann setzte sich der Flüchtende wieder in Bewegung, aber es geschah etwas sehr Seltsames: die dargestellte Fluchtroute spaltete sich an jeder Straßenkreuzung auf und die blaue Markierung auf meinem Smartphone verzweigte sich immer weiter, als gäbe es plötzlich mehrere Computerdiebe, die in alle Richtungen davonliefen. Und dann hörte ich wieder den Traumwächter in meinem Kopf, der anmerkte, das sei ja jetzt eine ziemlich alberne und unrealistische Wendung und es sei jetzt doch angebracht, lieber aufzuwachen. Was dann auch geschah.

Ich finde es interessant, dass sich bei mir Träume zu häufen scheinen, die ich »unter Aufsicht« imaginiere und ich bin mal gespannt, ob sich das weiter fortsetzt. Interessant wird es auf jeden Fall, sollte sich ein Traumgeschehen in Richtung eines wirklich unangenehmen Albtraums entwickeln. Wenn mein nächtlicher Aufpasser dann rechtzeitig interveniert und mir rät, besser aufzuwachen, bevor es emotional anstrengend wird, hätte das ja tatsächlich etwas Gutes. Ich werde berichten.

P.S.: Ich weiß sogar, was mein Unterbewusstsein zu der Idee mit den sich aufspaltenden Wegmarkierungen inspiriert haben könnte: Am selben Abend vor dem Zubettgehen hatte ich auf arte die empfehlenswerte Dokumentation »Der Blob« über Schleimpilze gesehen. Diese faszinierenden einzelligen Wesen sind ja durchaus in der Lage, sich von einem Punkt aus gleichzeitig in mehrere Richtungen zu bewegen. Und vielleicht hat im Traum sogar ein diebischer Schleimpilz mein MacBook gemopst. Doch da ich den Rucksackräuber nie klar gesehen oder eingeholt habe, wird das wohl für immer ungeklärt bleiben.