Traumwächter

Letzte Nacht hatte ich einen Traum. Er war ein bisschen spannend, aber nicht sonderlich spektakulär. Darin bewohnte ich anscheinend ein Zimmer in einer Art Ferienhaus, das unmittelbar an der Meeresküste lag. Wenn man aus einem der Fenster zur Meerseite in den größtenteils mit hellem Holz getäfelten Zimmern schaute, musste man schon ziemlich dicht an die Glasscheibe treten, um unten vor der Hausfassade den Sandstrand noch sehen zu können, ansonsten sah man nur Wasser. In meinem Traum war auf irgendeinem unspezifischen Kanal die Warnung bei mir angekommen, es stünde eine Art Flut bevor, die das Bewohnen des Hauses in Kürze unsicher oder gefährlich machen würde. Doch anstatt, dass ich und alle sonstigen Bewohner (von denen zwar gefühlt einige anwesend waren, sich aber im Traum nicht körperlich manifestierten) unverzüglich zur Evakuierung des Hauses geraten wurde, sollten alle Räume zuvor noch sorgsam aufgeräumt werden. Müll in den Zimmern sollte entsorgt werden, die Betten abgezogen, die Wäsche in Sammelkörbe gelegt werden sowie Kleidung und Bettwaren ordentlich zusammengelegt und in Schränken und Regalen verstaut werden. Wie sähe das denn aus, wenn ein Ozean die Herberge flutet und überall sieht es aus wie bei Hempels unterm Sofa. Und so befolgte ich diese Anweisung unbeirrt und sie erschien mir im Traum keineswegs abwegig, obwohl der Wasserstand beim Blick aus dem Fenster stetig stieg.

Im weiteren Fortgang des Traums fand ich in einem der Zimmer eine angebrochene Schachtel sehr verlockend aussehender dunkler Pralinen. Ich konnte nicht widerstehen und aß einige davon. Dann meldete sich eine Stimme in meinem Kopf, die anmerkte, das sei ja jetzt nicht wirklich konform zu meiner (tatsächlich seit Anfang Januar zwecks Gewichtsreduktion laufenden) »Low Carb«-Ernährungsumstellung und ich sollte daher lieber nicht weiternaschen. Dann wachte ich auf.

Neulich, während eines anderen Traumes, geschah etwas ganz Ähnliches: Ich träumte, dass ich mit einigen Ex-Kollegen draußen in einer mir unbekannten Stadt vor einer Art Kiosk oder Trinkhalle stand und mich angeregt mit ihnen unterhielt. Zu meinen Füßen stand mein (real existierender) Laptop-Rucksack, und außer meinem MacBook befand sich darin auch eine sehr innovative, von mir erträumte Mehrfach-Steckdosenleiste. Sie war etwa 50 cm lang, hatte eine zylindrische Form und durch das Verdrehen darin vorhandener Ringsegmente konnte man USB-Buchsen und ausländische Netzadapter in Position drehen, so dass man auf Reisen stets an jedem Ort mit einem kompatiblen Stromzugang versorgt war. Keine so schlechte Idee, eigentlich.

Plötzlich bemerkte ich, dass der Rucksack verschwunden war. Ich bekam einen Schreck und fragte die Kollegin direkt mir gegenüber, ob sie gesehen hätte, dass ihn jemand entwendet hätte. Sie verneinte, aber dann sah ich aus dem Augenwinkel außerhalb der mich umgebenden Personengruppe einen Schatten weglaufen und ich wusste: das ist der Dieb! Geistesgegenwärtig nahm ich mein iPhone zur Hand (ich träume wohl recht modern), denn mit der eingebauten »Wo ist?«-App konnte ich ja problemlos lokalisieren, wo sich mein MacBook befand bzw. wohin der Dieb damit lief. Und tatsächlich sah ich auf der Karte eine blaue Spur, die sich rasch von mir entfernte. Ich rannte dem Dieb (alleine) auf dieser Strecke hinterher, sein Vorsprung betrug nur etwas über 100 Meter, aber ich hatte keinen Sichtkontakt mehr. Da sich die Verfolgungsjagd in einer Stadt abspielte, gab es recht viele Straßen und Nebenstraßen und die getrackte Route des Flüchtenden bog häufig in wechselnde Richtungen ab. Ich rannte weiter, immer die angezeigte Fluchtroute auf dem Display im Blick. Plötzlich blieb die Trackingmarkierung kurz an einem Punkt stehen. Ich hoffte, das würde mir ermöglichen, den Dieb einzuholen. Dann setzte sich der Flüchtende wieder in Bewegung, aber es geschah etwas sehr Seltsames: die dargestellte Fluchtroute spaltete sich an jeder Straßenkreuzung auf und die blaue Markierung auf meinem Smartphone verzweigte sich immer weiter, als gäbe es plötzlich mehrere Computerdiebe, die in alle Richtungen davonliefen. Und dann hörte ich wieder den Traumwächter in meinem Kopf, der anmerkte, das sei ja jetzt eine ziemlich alberne und unrealistische Wendung und es sei jetzt doch angebracht, lieber aufzuwachen. Was dann auch geschah.

Ich finde es interessant, dass sich bei mir Träume zu häufen scheinen, die ich »unter Aufsicht« imaginiere und ich bin mal gespannt, ob sich das weiter fortsetzt. Interessant wird es auf jeden Fall, sollte sich ein Traumgeschehen in Richtung eines wirklich unangenehmen Albtraums entwickeln. Wenn mein nächtlicher Aufpasser dann rechtzeitig interveniert und mir rät, besser aufzuwachen, bevor es emotional anstrengend wird, hätte das ja tatsächlich etwas Gutes. Ich werde berichten.

P.S.: Ich weiß sogar, was mein Unterbewusstsein zu der Idee mit den sich aufspaltenden Wegmarkierungen inspiriert haben könnte: Am selben Abend vor dem Zubettgehen hatte ich auf arte die empfehlenswerte Dokumentation »Der Blob« über Schleimpilze gesehen. Diese faszinierenden einzelligen Wesen sind ja durchaus in der Lage, sich von einem Punkt aus gleichzeitig in mehrere Richtungen zu bewegen. Und vielleicht hat im Traum sogar ein diebischer Schleimpilz mein MacBook gemopst. Doch da ich den Rucksackräuber nie klar gesehen oder eingeholt habe, wird das wohl für immer ungeklärt bleiben.

Vergissmeinnicht

Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Speicherkapazität meines Gehirns scheint dafür reserviert zu sein, sich komplett unnütze Dinge zu merken. Oft haben diese Erinnerungen etwas mit Sprache zu tun. So kann ich mich noch heute, nach Jahrzehnten, an Werbeslogans erinnern, die selbst im Internet bisweilen nicht (mehr) auffindbar sind, aber ich weiß, dass es sie gab. So memoriere ich zum Beispiel einen Slogan für den Kinderjoghurt »Fruchtzwerge«, der entweder vor oder nach dem Klassiker »So wertvoll wie ein kleines Steak« kurz auf Sendung war und offensichtlich den besonders erwähnenswerten Calciumgehalt der Milchspeise thematisieren sollte: »Weil Müttern gefällt, was Kinderknochen kräftig hält«. Eine Brotfirma, ich weiß nicht mehr welche, warb für kurze Zeit im Fernsehen mit einem Spruch, der bei den einkaufenden Hausfrauen (Männer kauften damals anscheinend nur als Junggesellen Brot) eventuelle Frischezweifel am eingeschweißten Industriegebäck zerstreuen sollte: »Bevor ich’s kauf, drück’ ich drauf«. Möglicherweise war dieser Slogan auch nur deshalb so kurz in Gebrauch, weil die Wegwerfrate zerdrückter, aber ungekaufter Brotpackungen in den Supermärkten daraufhin sprunghaft anstieg. Ist aber nur eine Vermutung. Und natürlich erinnere ich mich an Dutzende uralter Werbesprüche, die bei meiner Generation quasi zum Allgemeinwissen gehören »Das ist schon einen Asbach Uralt wert«, »Da weiß man, was man hat«, »Wäscht nicht nur sauber, sondern rein«, »Darauf einen Dujardin«, »Alles, was ein Bier braucht«, »Come in and find out«, »Quadratisch. Praktisch. Gut.«, »Alles Müller – oder was?« und und und …

Manche Produkte gibt’s inzwischen gar nicht mehr auf dem Markt (»Hallo, Janine D.!«), bei vielen der beworbenen Artikel gehörte ich weder zur Zielgruppe noch habe ich sie jemals gekauft (»Wer wird denn gleich in die Luft gehen?«) und trotzdem haben die Werbebotschaften einen festen Platz in meinem Kopf. Ziemlich effizientes Marketing, würde ich sagen.

Ein anderer Teil des Sprachspeichers in meinem Gehirn hingegen ist belegt mit auswendigen Sprachsouvenirs aus Filmen, Serien, Hörspielen, Lesungen oder Sketchen von und mit Prominenten. Auch hier teilen sich die erinnerten Textschnipsel in solche, die fast jeder kennt, wie etwa »Palim, palim!« (Dieter Hallervorden), »Mein Name ist Lohse, ich kaufe hier ein!« (Loriot), »Was? Nein! Doch! Oooh …!« (Louis de Funès) und solche, an die sich womöglich außer mir nur wenige erinnern, wie »Deklinieren lernt man nicht in Diskotheken!« (Max Goldt), »Haaalooo! Ist da die Irrenanstalt?« – »Hihihi, kann schon sein …!« (aus dem Film »Im Himmel ist die Hölle los«) oder »Wissen Sie, wohin Sie gähän? Und zu wäm Sie gähän? Bleibän Sie hiiier! Noch könnän Sie zurüück … ich flähä Sie aaan!« (aus dem EUROPA-Schallplattenhörspiel »Dracula«). Millionen Neuronen, blockiert mit irgendwann mal gehörtem Zeug. Es ist unfassbar.

Die dritte Kategorie, die einen nennenswerten Anteil meiner grauen Zellen blockiert, sind Sätze, Wörter oder Unterhaltungsfragmente aus Alltagssituationen. (Mir) fremde Menschen sagen irgendwas, auf der Straße, im Zug oder im Fernsehen und mein Hirn hat nichts Besseres zu tun als zu denken »Oh, das merke ich mir mal, ab in den Langzeitspeicher damit!«. Es folgen ein paar Beispiele – und gleich das erste davon ist übrigens der Impuls für diesen Blogartikel gewesen.

Kürzlich, im ICE von Hamburg nach Berlin

Auf den beiden Sitzplätzen vor mir reisen zwei junge Frauen, geschätzt gerade noch Teenager, eventuell schon in den frühen Zwanzigern. Perfekt geschminkt, frisiert, die fast schon obligatorischen braunerbärdichten falschen Wimpern über den Lidern. Sie unterhalten sich kaum, nach geraumer Zeit trifft offensichtlich ein Anruf auf dem Handy einer der beiden ein. Man muss sich das Gedächtnisprotokokoll des Wortlauts nun vorstellen mit einer sehr genervt klingenden Singsangstimme, das »tt« in »bitte« endet dabei leicht affektiert mit einem Zischlaut:

»Jahaaaa! Was ist deeenn? Ich habe geschlafeeen
»…«
»Ist es wichtiiig? Ich sag’ doch: ich hab’ grad’ geschlafeeen
»…«
»Orrrr! Könn’ wir das bitt-e nachher besprecheeen?«

Einst im Museum für Kunst und Gewerbe

In diesem Museum gibt es eine interessante Dauerausstellung mit historischen alten Musikinstrumenten. Man kann sich diese entweder still für sich selbst anschauen oder an den gelegentlich veranstalteten Führungen teilnehmen, bei denen man neben einigen interessanten Informationen und Anekdoten rund um die Exponate, die dazugehörigen (musikalischen) Epochen, Komponisten und Musiker auch live dargebotene Hörproben auf einigen der spielbaren Instrumente dargeboten bekommt. Als ich einmal an einer dieser Führungen teilnahm, war die moderierende Person eine Frau mit einer sehr zarten, leisen und »kultiviert« klingenden Stimme. Während ihrer ausgesprochen kundigen und interessanten Ausführungen brachte sie jedoch ab und zu etwas durcheinander oder versprach sich, und immer, wenn das geschah, unterbrach sie ihren melodisch intonierten Vortrag mit einem deutlich lauteren, explosiven »QUATSCH!«, um dann sofort wieder in leiseren Tonfall zurückzufallen, sich zu korrigieren und fortzufahren. Man kann sich das ungefähr so vorstellen (da ich nicht mehr genau weiß, was die Dame wörtlich sagte, habe ich einen sinnverwandten Text bei Wikipedia zugrundegelegt):

»… Die Sinfonie Nr. 38 in D-Dur KV 504 komponierte Wolfgang Amadeus Mozart im Jahr 1786. Das Werk, bei dessen Aufführungen durch zeitgenössische Orchester oft auch ein Cembalo als Generalbass-Instrument eingesetzt wurde, trägt den Beinamen ›Wiener Sinfonie‹ … QUATSCH! … ›Prager Sinfonie‹«.

Vor Jahren, am Berliner S-Bahnhof Treptower Park

Wieder treffe ich (Fernbeziehung) aus Hamburg an der Endstation meiner Reise nach Berlin ein. Ich steige aus der S-Bahn und gehe Richtung Treppenabgang und Ausgang. Am Kopf der Treppe passiere ich ein junges Paar (m/w), beide Punks. Es gab offenbar Streit. Der Typ hält die Frau an den Schultern, schüttelt sie energisch (es wirkt etwas verzweifelt, aber nicht gewalttätig) und schreit ihr ins Gesicht »DU BIST DIT LIEBSTE, WATT ICK HABE!!!«. Es war eine der denkwürdigsten Liebeserklärungen, derer ich jemals Zeuge werden durfte.

Damals in der finnischen Sauna

In der Hamburger Ditmar-Koel-Straße, nahe den Landungsbrücken an der Elbe, haben die vier skandinavischen Seemannskirchen aus Schweden, Finnland, Norwegen und Dänemark ihren Sitz. Die zwei Besonderheiten der finnischen Kirche sind erstens ein kleiner Lebensmittelshop mit finnischen Spezialitäten und zweitens eine Sauna (!) im Untergeschoss, die gegen Eintritt für jedermann/jederfrau zugänglich ist. Bei meinem ersten Besuch dort ist unter den Gästen auch ein »waschechter«, der deutschen Sprache mächtiger Finne, mit dem ich und meine Begleitung in Smalltalk kommen. Er erzählt, die deutsche Redewendung, die ihm am besten gefiele und für die es im Finnischen keine Entsprechung gäbe, sei »Malkukken«. Er spricht dieses Wort so original finnisch aus, dass ich es seither häufiger in gesprochener (und in der o.g. Schreibweise auch schriftlich) in meinen Wortschatz übernommen habe.

Irgendwann mal im Privatfernsehen

Bei mir zu Hause auf dem Sofa. Ich zappe durch die Kanäle und bleibe bei der Reality-Show eines Privatfernsehsenders hängen (RTL?), deren Konzept es entweder zu sein scheint, dass ein nach irgendwelchen Kriterien kombiniertes und sehr auf sein Äußeres bedachtes Paar (m/w) in eine Nobelunterkunft im »sonnigen Süden« verfrachtet wird und dort unter Kamerabeobachtung eine zeitlang lebt, oder die Sendung begleitet zu Unterhaltungszwecken wohlhabende oder neureiche Paare bei der Besichtigung luxuriöser Immobilien. Als Prominente sind (für mich) beide nicht zu erkennen. Sie betreten eine unfassbar geräumige, »lichtdurchflutete« und edel eingerichtete weiß getünchte »Finca« und besichtigen die Räumlichkeiten.

Frau (beim Reinkommen): »Boah. Voll groß!«
Mann: »…«
(Sie gehen weiter ins Wohnzimmer, vor der Fensterfront eine herrliche Aussicht auf eine sonnige Landschaft mit Meer und Palmen.)
Frau: »Boah. Voll hell!«
Mann: »…«
(Das Paar geht hinaus auf die Veranda, im Garten: ein riesiger Swimmingpool.)
Frau: »Boah. Voll schön!«
Mann: »…«

Ich zappe weiter. Aber diese Szene werde ich wohl nie wieder vergessen.

Dächte ich jetzt noch eine Weile nach, fielen mir bestimmt noch haufenweise weitere Filmszenen, Alltagsbelauschungen oder Werbesprüche ein, die sich fest in meine Hirnwindungen eingebrannt haben. Einerseits frage ich mich zwar, warum ich mir sowas merke. Aber andererseits denke ich dann, würde der ganze Kram plötzlich gelöscht und der damit belegte Speicher wieder für andere Sachen freigegeben – ich wüsste, ehrlich gesagt, auf Anhieb gar nicht, was ich da reintun sollte.

Zumindest solange, bis ich mal wieder vorm Geldautomaten stehe und versuche, mich an meine Geheimzahl zu erinnern.

Pixeltext

In meinem Job als Artdirektor stehe ich recht oft vor der Aufgabe, aus einem vom Kunden angelieferten Screenshot (z.B. aus einem beschrifteten Diagramm, einem abfotografierten Flipchart o.ä.) editierbaren Text zu extrahieren. Natürlich könnte ich auch alles abtippen, aber seit kurzem nutze ich ein wesentlich schnelleres und sehr zuverlässiges Feature von MacOS (ab MacOS 12 »Monterey«) das ich hier gerne teilen möchte.

Angenommen, Ihr habt z.B. am Geburtshaus von Marlene Dietrich die Schrifttafel mit ihren biografischen Daten fotografiert und möchtet den Text daraus extrahieren:

Schritt 01:

Die Bilddatei mit dem MacOS-Dienstprogramm »Vorschau« öffnen. Das verhindert (sofern man dies nicht möchte), dass diese nur einmal kurz benötigte Datei in die Mac-Bilddatenbank »Fotos« übernommen wird.

Schritt 02:

Durch das seit MacOS Monterey integrierte Feature »Live Text« kann man nun im Bild den zu entnehmenden Text einfach mit dem Cursor markieren und in die Zwischenablage kopieren.

Schritt 03:

Nun einfach das gewünschte Layout- oder Textverarbeitungsprogramm öffnen und den Text einfügen. Fertig!

Mir hat das in den letzten Monaten schon richtig viel Zeit gespart. Ein sehr nützliches Feature, ohne den zuvor notwendigen Umweg über eine separate OCR-App.

Egg Clock Pop

So, es gibt nun bei Spotify auch eine Popmusik-Version der Eierkoch-Playlist.

Es war deutlich schwieriger, Tracks mit genau der passenden Länge zu finden, weshalb ich die Toleranz bei der Spieldauer im Vergleich zu den Klassik-Stücken (±1 Sekunde) auf ±3 Sekunden erhöhen musste. Zudem unterscheidet sich »Mainstream-Pop« auch in der Länge der Titel deutlich von Klassik – gefühlt 90% aller Songs sind unter 4 Minuten lang, deutlich weniger zwischen 5 und 7 Minuten und ab 8 Minuten wird die Luft richtig dünn. Mir blieben nur zwei Auswege: die Einbeziehung von »Extended«-Remixes und zwei Ausflüge ins benachbarte Genre »Ambient/Electronic« (Underworld und Chicane), wo die Tracks naturgemäß etwas länger sind.

Ansonsten gelten dieselben Eierparameter, Titelreihenfolgen und Kochzeit-Richtwerte wie bei den Tabellen der Klassik-Playlist. Enjoy!

Titel 1–12: Eier aus dem Kühlschrank (ca. 7 °C)

KonsistenzGröße SGröße MGröße LGröße XL
weichTitel 1 (4:00)Titel 2 (4:30)Titel 3 (4:56)Titel 4 (5:30)
wachsweichTitel 5 (6:00)Titel 6 (6:38)Titel 7 (7:22)Titel 8 (8:13)
hartTitel 9 (8:15)Titel 10 (9:05)Titel 11 (10:06)Titel 12 (11:06)

Titel 13–24: Eier mit Zimmertemperatur (ca. 20 °C)

KonsistenzGröße SGröße MGröße LGröße XL
weichTitel 13 (3:03)Titel 14 (3:22)Titel 15 (3:45)Titel 16 (4:11)
wachsweichTitel 17 (5:03)Titel 18 (5:34)Titel 19 (6:12)Titel 20 (6:54)
hartTitel 21 (7:16)Titel 22 (8:01)Titel 23 (8:55)Titel 24 (9:57)

Die tatsächliche Spieldauer der einzelnen Titel weicht zumeist um ±3 Sekunden von der empfohlenen Kochzeit ab.

(Hinweis: Die unten eingebettete und oben im Text verlinkte Playlist spielt die Titel nur für angemeldete Spotify-Nutzer in voller Länge aus.)

Foto: © formschub

Egg Clock Baroque

Die Suche nach dem ultimativen Gargeheimnis für das perfekt gekochte Ei ist wohl mindestens so alt wie der Eierbecher. Der eine mag sein Ei hart mit krümeligem Dotter, der andere liebt es »wachsweich«. Gourmets kochen es im Sous-vide-Wasserbad bei exakt 64,5 ºC zwischen 45 Minuten und 60 Minuten als japanisches »Onsen-Ei« und Loriot meinte, eine Hausfrau habe es im Gefühl, wenn das Ei weich sei (ihr Gatte war bekanntermaßen anderer Meinung). Wahre Eierkoch-Nerds können sogar die Temperatur ihres Frühstückseies nebst Durchmesser oder Gewicht vor dem Kochen ermitteln und mit diesen Werten anhand einer Formel die Kochzeit bis zum gewünschten Gargrad – gemessen anhand der Dotter-Innen-Endtemperatur – ausrechnen. Die Wege zum perfekt gekochten Ei sind so individuell wie die subjektiven Vorlieben bei dessen Verzehr.

Ich persönlich mag mein Ei am liebsten mit vollständig koaguliertem Eiweiß (schon als Kind hasste ich den weißen »Glibber«, der nach zu kurzem Kochen das Dotter umgab), das Eigelb darf am Rand gerne hellgelb gegart sein, sollte aber möglichst noch einen großtenteils flüssigen Kern haben. Meine Faustregel für den favorisierten Ei-Endzustand lautete bisher: 7 Minuten und 30 Sekunden Kochzeit bei einem Ei mit Größe M (laut Packungsaufdruck), bei Zimmertemperatur gelagert und gemessen ab dem Moment, wenn es ins sprudelnd kochende Wasser gelegt wird.

Mit einer Spieldauer von 7 Minuten und 43 Sekunden liegt der erste Satz »Allegretto« des Violinkonzerts Es-Dur von Franz Benda auf der CD »Concerti« (Accent ‎ACC 24215, 2009) ziemlich dicht an dieser Faustregel, wie der Mann kürzlich herausfand. Und tatsächlich kam das gekochte Ei, nachdem es vom Ensemble »Il Gardellino« in seinem brodelnden Wasserbad damit befiedelt wurde, einem perfekten Ergebnis bemerkenswert nah. Das brachte mich auf die Frage, ob es – neben mechanischen Kurzzeitweckern, Sanduhren, digitalen Timern, Stoppuhren und ähnlichem Zeitmessgerät – nicht auch schon eine »Eierkoch-Playlist« gibt, mit der jeder – je nach seiner persönlich präferierten Verzehrkonsistenz, der Eiergröße und der Lagertemperatur – sein Ovulum ganz einfach während der Spieldauer des passenden Musikstücks garen kann. Natürlich erfordert auch diese Idee eine gewisse Vereinfachung der Ausgangsparameter Größe/Gewicht und Temperatur, aber nach einer kurzen Recherche war ich sicher: es geht.

Die geeignete Basis für die benötigte »Eierkochmatrix« entdeckte ich auf der Website philognosie.net, die sich seit 2001 das Ziel setzt, praktisch nutzbares Wissen aller möglichen Themengebiete auf seriöser Grundlage zu sammeln und aufzubereiten. Unter der Überschrift »Perfekte weiche und harte Eier kochen« finden sich dort zwei Tabellen: eine für Eier aus dem Kühlschrank (ca. 7 °C) und eine für Eier, die bei Zimmertemperatur gelagert wurden (ca. 20 °C). Die Eier sind jeweils in vier Gewichtsklassen sortiert: S (bis 53 g), M (>53–63 g), L (>63–73 g) und XL (>73 g) und als Kochziele sind »weich«, »wachsweich« und »hart« verfügbar. Macht pro Tabelle zwölf empfohlene Zeitangaben, bei zwei Tabellen also 24 Kochzeitempfehlungen.

Nun musste ich »nur noch« 24 Musiktitel ausfindig machen, deren Spieldauer möglichst exakt den Angaben in den Tabellen entsprechen. Von Franz Benda kommend, entschied ich mich, auf dem Feld der Barockmusik zu bleiben (mit Haydn und Mozart als »Ausreißer« der Wiener Klassik) – sie ist frühstückstauglich, kompatibel mit dem Musikgeschmack einer recht breiten Bevölkerungsgruppe, relativ unabhängig von musikalischen Trends, trotz ihres kompositorischen Anspruchs melodiös und gefällig und es gibt eine unglaubliche Auswahl an Werken, Stücken und Aufnahmen. Der Rest war »Handarbeit«: Ich suchte mir ein gutes Dutzend bekannter und weniger bekannter Komponisten heraus, scrollte durch endlose Tracklistings, pickte Stücke mit einer möglichst genau passenden Spieldauer (±1 Sekunde) heraus und brachte sie pro Tabelle in eine sinnvolle Reihenfolge. Und hier ist sie: die Spotify-Playlist »Eierkochklassik«.

Update: es gibt inzwischen auch eine Popmusik-Version der Playlist.

Ich freue mich über Eure Erfahrungsberichte beim Ausprobieren!

Titel 1–12: Eier aus dem Kühlschrank (ca. 7 °C)

KonsistenzGröße SGröße MGröße LGröße XL
weichTitel 1 (4:00)Titel 2 (4:30)*Titel 3 (4:56)Titel 4 (5:30)*
wachsweichTitel 5 (6:00)*Titel 6 (6:38)*Titel 7 (7:22)Titel 8 (8:13)
hartTitel 9 (8:15)Titel 10 (9:05)Titel 11 (10:06)*Titel 12 (11:06)

Titel 13–24: Eier mit Zimmertemperatur (ca. 20 °C)

KonsistenzGröße SGröße MGröße LGröße XL
weichTitel 13 (3:03)Titel 14 (3:22)*Titel 15 (3:45)Titel 16 (4:11)
wachsweichTitel 17 (5:03)Titel 18 (5:34)*Titel 19 (6:12)Titel 20 (6:54)*
hartTitel 21 (7:16)Titel 22 (8:01)Titel 23 (8:55)Titel 24 (9:57)*

Die tatsächliche Spieldauer der mit * markierten Titel weicht um ±1 Sekunde von der empfohlenen Kochzeit ab.

(Hinweis: Die unten eingebettete und oben im Text verlinkte Playlist spielt die Titel nur für angemeldete Spotify-Nutzer in voller Länge aus.)

Fimmel

In Wörterbüchern wird der Begriff »Fimmel« definiert als »übertriebene, fast zu einer Sucht ausartende Vorliebe für etwas«, Synonyme dafür sind z.B. Tick, Spleen, Schrulle, Grille oder Marotte. Müsste ich meine eigenen Fimmel nennen, wäre es zum einen, dass ich es bevorzuge, wenn Dinge an meinem Arbeitsplatz oder in meiner Wohnung rechtwinklig zueinander liegen und zum anderen habe ich den Drang, die Räume in meiner Wohnung in einem einheitlichen Farbklang auszustatten. Die Anregung dazu bekam ich schon als Teenager in der Kurzgeschichte »Die Maske des Roten Todes« von Edgar Allan Poe, wo die Festgemächer des hochmütigen und hedonistischen Prinzen Prospero beschrieben werden:

Zuerst aber will ich die Räumlichkeiten beschreiben, in denen es [das Fest] stattfand. Es waren sieben Säle von wahrhaft fürstlicher Pracht. […] Das Zimmer am östlichen Ende des Schlosses war in Blau gehalten, und so waren auch dessen Fensterscheiben tiefblau gefärbt. Der zweite Saal war mit purpurroten Wandbespannungen und Zierraten ausgeschmückt, infolgedessen waren auch die Scheiben purpurrot. Der dritte Saal war, wie die Fenstergläser, ganz in grün gehalten, der vierte war orangegelb, der fünfte weiß und der sechste violett. Der siebente Saal war mit schwarzem Samt ausgeschlagen, der die Decke umdüsterte und in schweren Falten auf den gleichfalls schwarzen Samtteppich, der den Boden bedeckte, niederfiel. Einzig und allein in diesem Zimmer entsprach die Farbe der Fensterscheiben nicht der der übrigen Ausstattung: sie waren rot, rot wie Blut.

In meiner Wohnung sind die Zimmer gewiss weniger prunkvoll eingerichtet als in Prinz Prosperos Schloss und auch die Fenster sind aus herkömmlichem farblosen Flachglas, aber im kleinen Flur dominiert die Farbe Rot, im Wohnzimmer sind es Blaugrau und Anthrazit, im Schlafzimmer Schwarz und Violett, das Bad ist ein Traum in Ultramarinblau und in der Küche habe ich allerlei Grünes zusammengetragen: Küchengeräte, Geschirr, Gläser, Besteck, Kochwerkzeuge, Töpfe und Schüsseln.

Fotos: © formschub

Eine nur noch kurz verfügbare Besonderheit im Bad (siehe Pfeil im Bild) ist das hellblaue Toilettenpapier. Es ist meine letzte Rolle, die Produktion dieses Papiers der Marke real,– QUALITY wurde offenbar eingestellt, ein alternatives hellblaues Papier zu erschwinglichem Preis ist derzeit meines Wissens nicht auf dem Markt. Davor kaufte ich – ebenfalls bis zur Produktionseinstellung – das hellblaue Papier von Tempo, wiederum davor das superflauschige Charmin, welches ebenfalls 2009 vom Markt verschwand. Somit wird mein schönes Farbkonzept im Bad demnächst, nach dem Verbrauch der aktuellen Rolle, unausweichlich von schnödem andersfarbigen Papier kontaminiert werden müssen. Ich kann damit leben, denn es ist ja nur ein Fimmel.

Update: mir ist noch ein Fimmel eingefallen. Ich »sammle« angenehm natürlich duftende Duschgels und stelle dann jeweils einen jahreszeitlich passenden Auszug von etwa 5–6 der ca. 25 vorhandenen Flaschen und Tuben in der Duschkabine bereit. Derzeit stehen dort Ingwer, Grüner Apfel & Zitrus, Thymian & Rosmarin, Minze & Teebaumöl, Maiglöckchen und Gurke & Bambus.

Foto: © formschub

Einen Fimmel der anderen Art, in dessen Zentrum aber ebenfalls Klopapier steht, hat die Grafik-Designerin Juli Gudehus: Seit Ende der 90er Jahre hat sie aus aller Welt »Proben« (jeweils ein Blatt) verschiedener Klopapiere, inzwischen etwa 800 Stück aller möglichen Marken, Sorten und Dekore zusammengetragen und fein säuberlich einzeln blattweise in Klarsichthüllen, sowie nach Kategorien sortiert – sehr deutsch, wie sie selbst sagt – in Leitzordnern abgeheftet. Während des »Corona-Lockdowns« begann Juli, ab Mitte März auf YouTube eine moderierte »Führung« durch ihre Sammlung zu veröffentlichen. In mittlerweile 25 Episoden ihrer Playlist »Klopapier – Gestaltung für den Arsch« zwischen 5 und 18 Minuten Länge erzählt sie allerhand Interessantes, Wissenswertes, Überraschendes und Amüsantes über die zivilisatorische Errungenschaft Klopapier.

»Wenn man Klopapier gestaltet, dann hat Klopapier – also zumindest, was das Visuelle betrifft – auch noch eine Kontrollfunktion, das heißt: man möchte das Wischergebnis begutachten.«

(Juli Gudehus über allzu dominante Klopapier-Dekore und -Farben)

Mir fiel auf, wie sie in ihr anfänglich spontan entstandenes Videoprojekt, zunächst mit der Handy-»Handkamera« und damit verbundenen Schwankungen bei Bild und Ton aufgenommen, im weiteren Verlauf immer mehr Herzblut investiert und es mit immer mehr Verbesserungen versieht, was dem Schauvergnügen auf jeden Fall zugute kommt. Schon ab Folge 5 sorgt ein Handystativ für eine ruckelfreie Fixierung der Kamera und auch die Tonspur wird gleichmäßiger und deutlicher. Ich zumindest habe beim Ansehen schon einiges gelernt über dieses allzu oft achtsam wegegspülte, aber unverzichtbare Alltagsutensil. Inzwischen sind nach den Corona-Hamsterkäufen die Regale in Drogeriemärkten und Supermärkten wieder voll befüllt und vielleicht sieht ja der eine oder andere nach dem Einblick in Juli Gudehus’ Klopapiermuseum während des nächsten Einkaufs beim Händler seines Vertrauens dieses vermeintlich unscheinbare Zellstoffprodukt mit ganz anderen Augen.


Ich würde mich sehr freuen, von Euch in Kommentaren, Beschreibungen, Anekdoten oder Links von Euren eigenen Fimmeln zu erfahren!

»Die Klopapier-Familienpackung ist voluminös und paßt nicht in die Einkaufstasche, so daß man sie sich unter den Arm klemmen muß auf dem Heimweg. Einem Gesprächspartner gegenüber erklärte ich neulich, daß es mir immer ein bißchen peinlich ist, mit so einem Großgebinde auf der Straße herumzugehen, […] [Ich bin] mir sicher, daß den meisten Menschen, die gerade ein Toilettenpapier-Zehnerpack gekauft haben, daran gelegen ist, auf direktem Wege nach Hause zu kommen. Niemand macht damit noch einen Boutiquenbummel oder geht zu einem Bewerbungsgespräch.«

(Max Goldt in seiner Kolumne »Stinksvans tötet die Theaterstimmung«, Mai 1995)