Kategorie: Von der Tageskarte

Kaum passiert, schon gebloggt

Verpixelt

»Verpixelt« war wohl heute, zum Start des virtuellen Straßenansichtsdienstes Google StreetView, das meistvorkommende Wort in allen Medien, von der Holzpresse über Radio und Fernsehen bis zu Webportalen, Blogs und Twitter. In keinem anderen Land erhielt Google derart massiven Gegenwind und nirgends musste der Datenkonzern mehr Zugeständnisse an den vermeintlichen Schutz der Privatsphäre leisten, als in Deutschland. Sicher dauert es nicht lange und das Wort wandert vom »Neuen Wörterbuch der Szenesprachen« der Duden-Redaktion, wo es zum Zeitpunkt des Erscheinens dieses Blogartikels noch ein Nischendasein fristete, hinüber in den gelben Referenzband des deutschen Sprachschatzes.

Woher das Wort »Pixel« stammt, bzw. dass es durch die Verschmelzung des Zwei-Wort-Begriffes »picture element« zustande kam (Edit: so was nennt man »Kofferwort«, danke an @foxeen), ist wohl jedem gegenwärtigen Menschen geläufig. Doch seit wann gibt es dieses Wort – und vor allem: seit wann gibt es Pixel als Mittel zur Darstellung von Bildern? Ich begann zu recherchieren.

Die ergiebigste Quelle zur Geschichte des Wortes findet sich in der PDF-Abhandlung »A Brief History of ‘Pixel’« von Richard F. Lyon*, einem amerikanischen Ingenieur, der übrigens als Erfinder der Computermaus gilt. Die belegte erste Nennung des Wortes »pixel« findet sich demzufolge 1965 in einem Papier des US-amerikanischen Ingenieurs Fred C. Billingsley, der sich im Jet Propulsion Laboratory des California Institute of Technology (Caltech) mit Bildbearbeitung und Videocodierung für Weltraummissionen befasste. Der ab 1967 konkurrierende Begriff »pel«, eine noch weiter verkürzte Kombination derselben Ausgangswörter, kreiert von William F. Schreiber am Massachussetts Institute of Technology (MIT), konnte sich offenbar nicht im allgemeinen Sprachgebrauch durchsetzen.

Der nicht abgekürzte Begriff »picture element« für einzelne Zellen oder Punkte eines in Farb- und Helligkeitszellen zerlegten Bildes, findet sich schon deutlich früher, nämlich 1927 in einem Artikel des Magazins »Wireless World« von Alfred Dinsdale (PDF) anlässlich der ersten Präsentation eines fernsehähnlichen Displays mit 50 × 50 Bildelementen. Und die deutschen Begriffe »Bildpunkt« und »Flächenelement« im Kontext der Zerlegung und Übertragung von Bildinformationen finden sich sogar noch früher: 1884 und 1904.

Doch da Dinge nicht erst dann existieren, wenn es einen Namen dafür gibt, suchte ich noch ein bisschen weiter. Waren vielleicht auch Künstler beim Experimentieren mit Pinsel und Farbe auf die Idee gekommen, ein Bild aus farbigen Quadraten zusammenzusetzen? Und siehe da, ein wunderschönes Werk meines Lieblingskünstlers Paul Klee aus dem Jahre 1925 mit dem tiefsinnigen Titel »Alter Klang« greift genau diesen Gedanken auf. Ich habe es hier einmal vom ölgemalten Original in eine digital gepixelte Version übertragen. Waren das die ersten künstlerischen Pixel?

Alter_Klang

Painting: Everywhere on the internet, no evident copyright notice detectable.
Natürlich nicht! Denn etwas komplett Offensichtliches hatte ich gar nicht beachtet. Erst ein Tweet von @plastikstuhl lenkte meinen Blick darauf – und damit weitere 1.500 Jahre zurück in die Vergangenheit: Mosaike. Die ältesten erhaltenen Wand- und Bodenmosaike sind mehrere tausend Jahre alt, und obwohl die kleinen Steinchen und Kacheln oft unregelmäßig geformt und – ganz monitorfremd – auch schräg gedreht eingesetzt wurden, finden sich genug Beispiele mit Bildbereichen in »klassischer« Pixelanordnung, wie z.B. das nachfolgende byzantinische Fußbodenmosaik in Olbia (Libyen), das eines der Sieben Weltwunder, den Leuchtturm Pharos von Alexandria, darstellt und etwa 500 n. Chr. entstand.

Mosaik_Alexandria
Photo: Wikipedia (Public Domain)

Seit heute weiß ich: Pixel sind fast so alt wie die Menschheit, es gibt sie aus Stein, Farbe und Licht, sie sind alles andere als langweilige kleine Quadrate und schon ziemlich interessant, lange bevor man das ganze Bild sehen kann.

* Im Webarchiv des Computer History Museum ist zum gleichen Thema das Video einer Vorlesung von und mit Richard F. Lyon unter dem schönen Titel »Pixels and Me« als .wmv-Datei abrufbar.

Bücherfragebogen [♂] – 05

05 Ein Buch, das du immer und immer wieder lesen könntest
Alle Kolumnen-Sammelbände von Max Goldt.
Ich »folge« Max Goldt seit etwa 1981, als mein älterer Cousin, der aus einer etwas ländlicheren Gegend stammt, mich bat, für ihn in den Plattenläden meiner damaligen Wohnstadt zunächst die Foyer-des-Arts-Single »Eine Königin mit Rädern untendran« und später das Album »Von Bullerbü nach Babylon« zu besorgen. Beide Vinyltonträger habe ich mir vor Übergabe auf Cassette überspielt (ja, Kinder, so war das damals!) und war durch die ebenso absonderlichen wie wohlformulierten Verse (z. B. »Wissenswertes über Erlangen«), die Goldt als textender und singender Frontmann zu diesem ganz eigenen NDW-Duo beitrug, im Nu entflammt.

Seine ersten beiden Bücher »Mein äußerst schwer erziehbarer schwuler Schwager aus der Schweiz« und »Ungeduscht, geduzt und ausgebuht« sind noch kolumnenlos, nichtsdestotrotz bergen die enthaltenen Gedichte, Kurz- und Liedtexte sowie hörspielähnlichen Dialoge schon typisch goldt’sche Textgenüsse. Aber in den vier »Titanic«-Kolumnenbänden »Quitten für die Menschen zwischen Emden und Zittau«, »Die Kugeln in unseren Köpfen«, »Ä« und »,Mind-boggling‘ – Evening Post« übertrifft er sich eins ums andere Mal auf Neue. Ich liebe die Sprache, das Wortspielen, Wortschöpfen und Formulieren, und diese Texte Max Goldts sind für mich ein Lesewhirlpool, in dem ich immer wieder gern ein labendes Sprudelbad nehme.

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Foto: Aus meinem Plattenregal – LP-Cover der Wiederauflage des Max-Goldt-Albums »Die majestätische Ruhe des Anorganischen« aus dem Jahr 1990 (Ausschnitt)

Bücherfragebogen [♂] – 31

31 Das Buch, das du am häufigsten verschenkt hast
Jörg Metes und Tex Rubinowitz: »Die sexuellen Fantasien der Kohlmeisen«.
Ja, ich gestehe: das von mir meistverschenkte Buch ist kein Bestseller, wurde von keinem Literaturpreisträger verfasst, ja, erzählt nicht einmal eine richtige Geschichte. Aber es ist herrlich absurd. Der Inhalt? Listen. Und zwar »Listen, die die Welt erklären«. Seitenweise frei erfundene Nonsens-Rankings, die genau den Lesern gefallen werden, die Hitlisten aller Art hassen. Die Autoren haben zwar beim Verfassen vermutlich die eine oder andere bewusstseinsverändernde Substanz eingenommen, aber wichtig ist, was hinten rauskommt, und das ist famos. Ein Auszug:

Die sieben Bestellungen, bei denen ein Kellner garantiert
nachfragt, ob er das richtig verstanden hat

1. »Für mich bitte den Sauerbraten und zum Trinken einen Martini«
2. »Wirsing und Perrier«
3. »Die Austern und dazu einen Eierlikör«
4. »Gemischten Salat und Möbelpolitur«
5. »Antimaterie und Fanta«
6. »Spaghetti-Eis und 83er Mouton-Rothschild«
7. »Ein Glas Mehl und einen Teller Stroh«
Warum der Krill wieder nicht »Tier des Jahres« geworden ist
1. Zu klein
2. Keine Lobby
3. Seine Rolle als Verbündeter der Achsenmächte im 2.Weltkrieg
4. Kein Fell
5. Die Wale sind dagegen

Also, ich find’s komisch. Und auch von den Beschenkten habe ich bisher nichts Gegenteiliges gehört.

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Foto: © formschub

Bücherfragebogen [♂] – 13

13 Ein Buch, bei dem du nur lachen kannst
Das Buch, bei dessen Lektüre ich mehrfach vor Lachen fast vom Sofa gerutscht bin, ist der wahnwitzige Reisebericht »Wo, bitte, geht’s nach Domodossola? Ein Amerikaner entdeckt Europa« von Bill Bryson, das inzwischen in einer – wie viele Rezensenten sagen – wesentlich schlechteren Übersetzung unter dem Titel »Streifzüge durch das Abendland: Europa für Anfänger und Fortgeschrittene« neu aufgelegt wurde. Ich bin froh, ein Exemplar der ursprünglichen Auflage zu besitzen.
Eine Kostprobe? Bill Bryson besucht während Seiner Europareise auf der Hamburger Reeperbahn einen Sexshop und begutachtet das Produktangebot:

Eine andere Puppe, der man den Namen »Chinese Love Doll 980« gegeben hatte, versprach allen Ernstes eine »lebenslange Freundschaft«. Darunter stand in Fettdruck: EXTRA DICKES GUMMI. Wenn das nicht die Romantik zunichte macht! Offenbar handelte es hierbei um ein Modell für den eher praktischen Typ. Aber auch sie lockte mit Verheißungen wie: TITTEN, DIE HEISS WERDEN und RIECHT WIE EINE RICHTIGE FRAU.
All diese Versprechungen waren in den verschiedensten Sprachen abgedruckt. Interessanterweise hörten sich die deutschen Versionen allesamt derb und vulgär an, während dieselben Worte auf Spanisch sanft und romantisch klangen: ANO TENTADOR, DELICIOSA VAGINA QUE VIBRA TU ORDEN, LABIOS AMOROSOS. Man könnte sich diese Worte beinahe als Bestellung in einem Restaurant vorstellen: »Ich nehme das Ano Tentador, leicht angebraten, und eine Flasche Labios Amorosos ’88.« Auf Deutsch hörte es sich an wie der Morgenappell in einem Gefangenenlager.

Inzwischen habe ich fast alles von Bryson gelesen, durchgehend sehr lesenswert und überaus lustig, aber den hysterischen Witz dieses Werkes erreichte er kein zweites Mal.

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Foto und Retusche: © formschub

Bücherfragebogen [♂] – 06


06 Ein Buch, das du nur einmal lesen kannst
(egal, ob du es hasst oder nicht)

Trifft das nicht auf jedes Buch zu? So wie beim ersten Mal erlebt man ein Buch niemals wieder, selbst, wenn man es danach noch so oft liest: das Eintauchen in die Sprache, das allmähliche Entstehen der ersten Bilder im Kopf, die Formwerdung der Charaktere, das Gewahrwerden der Zusammenhänge, die Anteilnahme an den Gefühlen und Schicksalen der Romangestalten, die Überraschung bei unerwarteten Wendungen der Geschichte oder die verblüffende Aufklärung dunkler Verbrechen. Der Zauber der ersten Begegnung mit einem guten Buch ist unwiederholbar. Insofern habe ich all meine Bücher nur einmal zum ersten Mal gelesen, denn bei jeder erneuten Lektüre haben mich die damit verbundenen Bilder und Gefühle, und sei es verblasst, unweigerlich begleitet.

Und ich verfluche noch heute den Satan, der vor mehr als 25 Jahren auf dem Vorsatzblatt des Agatha-Christie-Krimis, den ich mir aus der Schulbibliothek lieh, unübersehbar den Namen des Mörders notiert hatte.

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Bücherfragebogen 06
Foto: © formschub

Bücherfragebogen [♂] – 07

Von heute an werde ich die Fragen in freier Reihenfolge beantworten, da ich merke, dass einige Antworten schwerer aus den Fingern fließen bzw. mehr Recherche erfordern als andere. Aber weglassen werde ich keine.

07 Ein Buch, das dich an jemanden erinnert
»Lübbes Auswahlband: Die besten englischen Schauergeschichten« (Bastei Lübbe 1981, ISBN 3404101308, vergriffen). Eigentlich ein ziemlich gewöhnliches, billiges Taschenbuch, wenngleich es einige recht gute Gruselgeschichten bekannter englischer Autoren enthält, wie z. B. Oscar Wilde, Agatha Christie, Bram Stoker oder Daphne Du Maurier, deren darin abgedruckte Kurzgeschichte »Die Vögel« durch Hitchcocks geniale Verfilmung weltberühmt wurde. Das Buch erinnert mich an meinen Vater, dem ich es frisch gekauft ausgeliehen hatte, als er zur Krebsbehandlung im Krankenhaus lag. Als ich es wiederbekam, hatte er auf dem Vorblatt handschriftlich meinen Namen in das Buch eingetragen. Dieser Namenszug ist die letzte persönliche und bleibende Erinnerung an ihn, ehe er mit 37 Jahren (ich war 14) an der Krankheit verstarb.

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Bücherfragebogen 07
Foto: © formschub

Bücherfragebogen [♂] – 04

04 Dein Hassbuch
Ach, sicher könnte ich Bücher hassen, die mich langweilen, aber das ist mir zu anstrengend. Lieber gähne ich, klappe sie zu und lege sie zur Seite. Gleichermaßen verfahre ich – nur ohne Gähnen – mit Büchern, die mir zu provokant, zu krass oder komplett im Widerspruch zu meinem Naturell oder meiner Weltanschauung daherkommen. Was nicht heißt, dass ich nicht neuen oder fremdartigen Themen gegenüber aufgeschlossen wäre.

Doch warum sollte ich von Dingen oder Personen lesen, bei denen ich durch eine vorherige Beschäftigung oder Konfrontation bereits festgestellt habe, dass ich damit nichts anfangen kann oder will? Oder es bewusst lesen, um mich dann unvermeidlich darüber aufzuregen? Von Elie Wiesel stammt das weise Zitat »Das Gegenteil von Liebe ist nicht Haß, sondern Gleichgültigkeit.« Das halte ich ohne weiteres für übertragbar auf Bücher.

Dennoch gibt es ein Buch, das mich indirekt ein bisschen nervt, wenngleich es seine Popularität der viel berühmteren Verfilmung verdankt: »Die Feuerzangenbowle« von Heinrich Spoerl. Der Protagonist des Buches hat nämlich denselben Nachnamen wie ich. Und bei jeder Angabe meines Namens im gesamten deutschen Sprachraum folgen in 9 von 10 Fällen gewitzelte Anspielungen des Gegenübers auf den Charakter, den Heinz Rühmann im Film verkörpert: »mit drei f – eins vor dem Ei, zwei hinterm Ei«. Haha. Neu. Witzig. Originell. Nicht. Ich wüsste es wahrlich zu schätzen, hätte Spoerl seinen Aufmupfpennäler anders genannt.

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Bücherfragebogen 04
Foto: © formschub

Bücherfragebogen [♂] – 03

03 Dein Lieblingsbuch
Ein einzelnes Lieblingsbuch habe ich genausowenig wie einen absoluten Lieblingsfilm, ein ultimatives Lieblingslied oder ein alleiniges Lieblingsgericht. Lieblingsbücher würde ich diejenigen nennen, die mich für die Dauer der Lektüre komplett in ihre Geschichte und ihre Welt hineingesogen haben, manchmal so intensiv, dass ich mehrhundertseitige Werke in weniger als zwei Tagen durchgelesen habe.

Einige Bücher, die mich derart gefesselt haben, waren unter anderem »Die unendliche Geschichte« von Michael Ende, »Die Augen des Drachen« und »Der Talisman« von Stephen King bzw. Stephen King und Peter Straub, »Dracula« von Bram Stoker, »Die geheime Geschichte« von Donna Tartt, »Die Asche meiner Mutter« von Frank McCourt, »Der Bericht des Arthur Gordon Pym« von Edgar Allan Poe, »Der Name der Rose« von Umberto Eco – und eine Science-Fiction-Dilogie, von der im Beitrag 30 noch die Rede sein wird.

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Bücherfragebogen 03
Foto: © formschub