Travestie für Carnivore

Es hat lange gedauert, bis ich die vegetarische Küche für mich entdeckt habe. Oma und Opa mütterlicherseits besaßen eine eigene Fleischerei, so dass Fleisch und Wurst ein untrennbarer Teil meiner frühesten Geschmackserinnerungen sind. Opa kaufte zwar die Rinderhälften auswärts ein, aber die Schweine lebten noch direkt hinterm Haus im Stall (auch draußen), labten sich an Futter mit eingemischten Essensresten und wurden selbst geschlachtet und frisch verarbeitet. Der Geschmack war unvergleichlich, ich habe später selten Wurst und Fleisch probiert, das so echt und lecker schmeckte. Auf dem Teller meiner Kindheit gaben sich ansonsten die mit mütterlicher Liebe zubereiteten Klassiker der Siebziger ein Stelldichein: Gulasch, Frikassee, Kasseler, Frikadellen, Eintöpfe, Rouladen, Kohlrouladen, Fischstäbchen. Das Vegetarischste neben den Beilagen (Bonduelle!) waren Kartoffelpuffer, Eierkuchen und Milchreis.

In den Achtzigern machten die »Ökos« erste Geschäfte auf. Ich hab’s immer mal wieder probiert, mich dort vollwertig-vegetarisch begeistern zu lassen, aber entdeckte in den Regalen lange Zeit nur genussfremde, bröckelige und fade Produkte (auch Fleischimitate), deren Geschmack in umgekehrt proportionalen Verhältnis zum Sendungsbewusstsein ihrer Fürsprecher stand.

Die Entdeckung der indischen Küche (Chicago, 1992) hingegen war eine Offenbarung. Endlich vegetarisches Essen ohne Öko-Nimbus, faszinierend neue Aromen und Zubereitungen, die das »fehlende« Fleisch gar nicht erst vermissen ließen. Und das war der Punkt: Die Form- und Geschmackstravestie, mit der Tofu, Seitan und Co. als vegetarisches Hack, Würstchen und Bratlinge verzweifelt versuchten, im aroma- und gewürzgetränkten Kleid den Fleischfresser zu verführen, machte mich nie wirklich an. Wenn Lebensmittel einander imitieren, hat das für mich immer etwas von »Ersatz« – wie bei Muckefuck oder Kaffeeweißer. Wenn sie hingegen ihre wahren Stärken ausspielen können, dann wird’s auch kulinarisch interessant.

Heute gehören Biomärkte und vegetarisches Essen (neben Fleisch) ganz selbstverständlich zu den festen Komponenten meiner leiblichen Versorgung. Die modernen Ökoprodukte sind zu ausgereiften und leckeren Alternativen geworden. Und da habe ich doch tatsächlich jüngst einen kleinen vegetarischen Snack im Fleischkostüm entdeckt, mit dem ich mich ab und zu auf einen Pausenflirt einlasse: »Wheaty Spacebar Hanf«. Schmeckt und kaut sich wie ein leicht geräuchertes, etwas zähes Bockwürstchen.
Na, geht doch.

Hanfriegel