Monat: Februar 2011

Alles Wurst?

Egal, ob sympathisch oder nicht, egal, welche Partei involviert ist, egal, was die Umfragen sagen, egal, ob das Thema inzwischen allen schon zum Hals raushängt, egal, ob einige Medien parteiisch sind, egal, ob nun alle Fakten auf dem Tisch liegen, egal, ob Umfragen »repräsentativ« sind, egal, ob es tatsächlich einen Ghostwriter gibt, egal, ob noch mehr unbelegte Zitatfetzen gefunden werden …
Aber dass so viele insgesamt dazu sagen »ist doch egal« – sollte das auch egal sein?
Mir ist es das nicht.

Guttidella
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Bücherfragebogen [♂] – 21

21 Das blödeste Buch, das du während der Schulzeit als Lektüre gelesen hast
Da muss ich nicht lange nachdenken: Siegfried Lenz, »Das Feuerschiff«. Ich habe mich selten durch einen Text so durchgequält – durchquälen müssen – wie durch diesen. Die Essenz der Lektüre war für mich pure Langeweile.

Doch ich habe auch schon beim Lesen anderer Werke ähnliche Probleme mit bestimmten Erzählcharakteristika gehabt: die nicht enden wollende Darlegung seelischer Befindlichkeiten (Anne Rice, »Engel der Verdammten«) oder das akribische verbale Abpausen der Beschaffenheit von Orten, Personen, Ereignisabfolgen und Gegenständen (ein Grund, warum ich vermutlich nie die Kraft hätte, Joyce’ »Ulysses« oder Prousts »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« durchzustehen). Ich bevorzuge »lückenhafte« Beschreibungen, die in wenigen, aber um so treffenderen Worten alles plastisch, eindringlich und nachvollziehbar umreißen und dabei Platz lassen für Phantasie und Kopfkino, keine endlosen, minutiösen Hergangs-, Personen-, Situations- und Gedankenprotokolle, wie Herr Lenz sie für meinen Geschmack in seinem Werk abliefert. Als Engländer würde ich sagen »(For me) it is about as exciting as watching paint dry.« Und ich bin da wohl nicht der Einzige. Sorry, Siegfried.

Der komplette Fragebogen im Überblick.

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Bücherfragebogen [♂] – 26


26 Ein Buch, aus dem du deinen Kindern vorlesen würdest
In den Bibliotheken der wechselnden Schulen, die ich im In- und Ausland besuchte, war ich nahezu täglich zu Gast. Jugendromane, Sachbücher, Science Fiction, Krimis, Fachliteratur und Quatschbände stapelten sich zu Hause neben meinem Bett. Nicht selten verlor ich den Überblick bei den Ausleihzeiträumen und bekam beim nächsten Besuch eine Mahnung verpasst. Einige Bücher jedoch hatte ich keineswegs aus Versehen, sondern mit voller Absicht in Dauerausleihe und verlängerte sie eins ums andere Mal, so lange die Büchereiregeln dies in Folge erlaubten.

Auch in der siebten Klasse gab es ein Buch, das ich nicht mehr hergeben wollte. Eins, das respektlos, übermütig und unglaublich fantasievoll mit Wörtern, Silben, Reimen und Sprache jonglierte – eine Neigung, die mich bis heute nicht loslässt. »Das Tingeltangeltrampeltier – Gesammelter Nonsens und gezeichneter Unsinn für Kenner und solche, die es werden wollen«, erschienen im Ueberreuter Verlag, zusammengestellt von Hildegard Krahé und illustriert vom famosen Kinderbuchbebilderer Rolf Rettich.

Hier eine Kostprobe aus dem überbordenden Werk, das unter anderem Beiträge von James Krüss, Josef Guggenmos, Friedrich Rückert, Christian Morgenstern, Bertolt Brecht, Joachim Ringelnatz und Heinz Erhardt versammelt. Also durchaus auch gehobenen Blödsinn:

Der verdrehte Schmetterling (Mira Lobe)
Ein Metterschling
mit flauen Bügeln
log durch die Fluft.
Er wurde einem Computer entnommen,
dem war was durcheinandergekommen:
irgendein Rädchen,
irgendein Drähtchen,
und als man es merkte,
da war’s schon zu spätchen.
Da war der Metterschling schon feit wort …
wanz geit …
Mit lut er teid.

Nun habe ich zwar selbst keine Kinder, die ich mit solchem Quatsch behelligen könnte, aber dafür einen äußerst aufgeweckten Neffen. Und für den habe ich genau dieses (vergriffene) Buch vor geraumer Zeit in einem Online-Antiquariat aufgestöbert. Ein bisschen werde ich noch warten. Aber sobald seine Lese- und Sprachkenntnis hinreichend herangereift ist, um sie mit Sprachspielen und -verwirrungen wieder zu unterwandern, wird der liebe Onkel das Tingeltangeltrampeltier ins Mitbringselgepäck überführen. Und bestimmt auch einiges draus vorlesen.

Der komplette Fragebogen im Überblick.

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Nachts

Ein experimenteller Text zur Beschreibung des vermeintlich Banalen.

In der Werbung wird immer tagsüber Wäsche gewaschen. Mutti ist zu Hause, die Kinder in der Schule, lustig wirbelt die Trommel der Waschmaschine im lichtdurchfluteten Badezimmer bei 30, 60 oder 90 Grad. Anschließend geht es mit der feuchten Fracht hinaus in den Garten, der Wäschekorb strahlt mit dem bunten Textilberg um die Wette. Über saftiggrünem Rasen hängend wehen Shirts und Trikotagen munter im Sonnenlicht, ehe sie vor Einbruch der klammen Dämmerung trocken, frisch und duftend von der Leine genommen werden.

Von Wochenenden abgesehen, und auch davon, dass ich keinen Garten mein Eigen nenne, wasche ich meine Wäsche hingegen meist abends. Typisch auch, nach dem Verstummen der Maschine, dass ich sie für einige Stunden vergesse und erst spät, oft nach Mitternacht, kurz vor der Bettruhe, der säumigen Pflicht zum Aufhängen folge.

Nichts ist dann mehr lichtdurchflutet. Wohnung und Haus durchdringt Stille. Die Wäsche und mein Atem sind das einzig Hörbare, als ich die Maschine in den Wäschekorb entleere, die Fasern reiben aneinander, harsch bei groben Geweben, leise flüsternd bei feinen und weichen. Auch der Weg zum Trockenraum ist dunkel und still. Meist ist irgendwo eine Lampe kaputt, das korrodierte Knirschen der Waschküchentür, tagsüber kaum hörbar, dringt jetzt fühlbar, sandig, durch Scharniere und Mauern. Vom Licht geblendet, huschen kleine Kerbtiere in schattige Fugen, unbeeindruckt erwartet eine Spinne in einem staubigen Netz ihre Mahlzeit. Holzdielen knarren, ein paar lose baumelnde Kunststoffwäscheklammern klappern, als das erste Wäschestück die abgewetzte Leine beschwert. Das leise Rauschen des Blutes in meinen Ohren mischt sich mit imaginären Fetzen einer Melodie, die sich irgendwann tagsüber in den Synapsen verhakte. Herunterbeugen, aufrichten, Arme strecken, eine sachliche Gymnastik, sie hat etwas Meditatives, Surreales. Ich lasse den Gedanken Raum, spüre den feuchten Stoff an den Fingerkuppen, zupfe eine Naht gerade, verschließe einen Knopf, die Zeit dehnt sich wie ein elastisches Gewebe, geknüpft aus dunklen Sekunden, es gibt keine Uhren. Es riecht nach Waschpulver und Weichspüler, irgendwo draußen, falls es so etwas gibt, fährt ein Auto vorbei. Das Licht flackert. Ich spüre Verdunstungskühle auf meiner Haut und um die aufgehängten Kleidungsstücke herum.

Die gemächliche nächtliche Tätigkeit umhüllt mich wie ein seltsam isolierender Kokon. Irgendwann bin ich mit dem leeren Korb zurück in der Wohnung. Bald wird die Nacht zur Neige gehen, es wird Morgen, ein neuer, heller Tag und irgendwo draußen in der Sonne flattert bunt etwas Wäsche im Wind.

P.S.: Den perfekten Soundtrack zum nächtlichen Wäscheaufhängen liefert übrigens die verträumt-versunkene Stimme der schwedischen Musikerin Stina Nordenstam. Hier eine Hörprobe bei YouTube.

Nachtlicht
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