Hallo Partner – danke schön

Diesen Spruch kennt vermutlich von den jüngeren Lesern kaum einer mehr, aber Opa formschub erinnert sich noch gut daran. Bei Wikipedia liest man dazu:

„Hallo Partner – danke schön“ war der Titel der ersten bundesweiten Kampagne des 1969 gegründeten Deutschen Verkehrssicherheitsrates. Sie wurde am 4. Oktober 1971 der Öffentlichkeit vorgestellt. Angesichts steigender Unfallzahlen und vieler Verkehrstoter sollte der „Hallo-Partner“-Slogan mit positiven Leitbildern die Rücksichtnahme und die Hilfsbereitschaft im Straßenverkehr fördern und einen „Klimawechsel im Verkehr“ – so das Motto der Kampagne – herbeiführen. Die Aktion lief von 1971 bis 1974.

Quelle: Wikipedia

Begleitend zur Kampagne wurde ein Aufkleber erstellt, der im Laufe der Kampagne 3,8 Millionen mal verteilt wurde. Zwischen 1970 und 1975 gab es etwa 14 bis 18 Millionen Pkw in Deutschland, so dass rein rechnerisch auf 20–25% dieser Fahrzeuge einer dieser Aufkleber hätte kleben können, wären sie alle genutzt worden.

Bildquelle: Wikipedia, © Deutscher Verkehrssicherheitsrat e. V., Bonn, Vektorisierung: Dr. Schorsch.
Lizenziert unter CC-by-sa 3.0/de

Ich wünschte mir auch heute mal wieder so eine Kampagne. Breit angelegt, multimedial, online, mit Informationsvideos, Dokumentationen und Diskussionen im TV oder auf Social Media. Denn das Klima auf (deutschen) Straßen und Verkehrswegen ist gefühlt für mich so rauh wie noch nie. Autofahrer behindern und attackieren Rettungskräfte, Radfahrer werden bedrängt, Fußgänger werden missachtet, es wird gehupt, beschimpft, gepöbelt, geschnitten und genötigt. Jeder fühlt sich im Recht, schuld an Behinderungen und Zwischenfällen sind immer die anderen – die Radfahrer, die Fußgänger, die Autofahrer. Anstatt Partnerschaftlichkeit und Verständnis sind Grabenkämpfe alltäglich. Dabei ist es insgeheim wohl jedem bewusst, wie subjektiv diese Standpunkte sind. Denn wenn wir als Verkehrsteilnehmer – ob mit oder ohne Fahrzeug – draußen unterwegs sind, beurteilen wir alles um uns herum unweigerlich aus der eigenen Verkehrsperspektive: Als Autofahrer nerven mich Radfahrer, Fußgänger und andere Autofahrer. Als Radfahrer nerven mich Autofahrer, Fußgänger und andere Radfahrer. Und als Fußgänger nerven mich Autofahrer, Radfahrer und andere Fußgänger. Ich selbst mache natürlich in all diesen Rollen nie etwas falsch, aber alle anderen sind unfähige Hornochsen mit Tomaten auf den Augen. Die Selbstwahrnehmung legt hier gerne einen milden Weichzeichner über die Wahrnehmung der persönlichen Verkehrskompetenz, die Beurteilung des eigenen Verhaltens und die Priorisierung von Rechten und Pflichten.

Deshalb habe ich mal ein Gedankenspiel gemacht. Ich war selbst von 1986 bis 2015 Autobesitzer, bis mir bewusst wurde, dass ich in Hamburg eigentlich keines mehr brauche und es mich mehr Geld und Nerven kostete als es mir Vorteile brachte. Trotzdem sitze ich nach wie vor gelegentlich am Steuer, wenn ich zumindest zeitweise mal ein Auto benötige. Ich gehe viel zu Fuß, habe über den Arbeitgeber ein Monatsabo für den ÖPNV, fahre öfter mal mit dem Rad und für längere Strecken nehme ich die Bahn. Ich bin also, wie wohl viele andere, in nahezu allen der drei obengenannten Verkehrsteilnehmer-Kategorien unterwegs. Und jetzt schaue ich mal ganz systematisch auf die jeweils anderen und – auf mich. Im Auto, auf dem Rad und als Fußgänger, mit jeweils fünf Perspektivwechseln pro Abschnitt:

Immer die Autofahrer!

Was mich als Autofahrer an anderen Autofahrern ärgert

  • Wenn sie sich unbedingt »vordrängeln« müssen, beim Reißverschlussverfahren, beim engen Einscheren nach dem Überholen, beim Ausfahren aus einer Einfahrt oder Querstraße
  • Wenn sie mich mit zu geringem Sicherheitsabstand bedrängen, obwohl ich mit der zulässigen Höchstgeschwindigkeit fahre
  • Wenn sie »nur mal eben« rechte Spuren, Radwege und Seitenstreifen zuparken und das Fahrzeug verlassen (am besten noch mit LMAA-Warnblinker), so dass alle anderen ausweichen müssen
  • Wenn sie hupen, obwohl dies die Verkehrssituation weder verbessert noch die Ursache beseitigt
  • Wenn sie bei Stau keine Rettungsgasse bilden
  • Wenn sie bei Schnee, Eisglätte, Starkregen oder Nebel halsbrecherisch schnell fahren und zudem womöglich noch alle gebotenen Abstandsregeln missachten
  • Wenn ich sehe, dass sie im Fahrzeug auf ihrem Handy rumtippen
  • Wenn sie auf der Autobahn wie die Karnickel über mehrere Fahrbahnen hinweg die Spur wechseln, gerne dabei auch mal links überholen, mal rechts
  • Wenn sie rumträumen und nicht anfahren, wenn’s an der Ampel oder im Stau längst weitergeht
  • Wenn sie ihr Fahrzeug als Aggressionsventil oder gar als Waffe nutzen, um andere einzuschüchtern oder zu bedrohen
  • Wenn sie nicht blinken, bevor sie abbiegen
  • Wenn sie unbedingt noch in den Kreuzungsbereich einfahren mussten, aber dadurch dann bei Ampelgrün die Weiterfahrt für den Querverkehr behindern

Was mich als Radfahrer an Autofahrern ärgert

  • Wenn sie mich zu eng passieren oder überholen
  • Wenn sie ohne zu Schauen ihre Tür aufreißen
  • Wenn sie mit Kavalierstart oder Gasgeben an Ausfahrten, aus Parklücken oder Seitenstraßen absichtlich vor mir noch herausspurten, statt kurz zu warten
  • Wenn sie ihr Fahrzeug als Aggressionsventil oder gar als Waffe nutzen, um mich einzuschüchtern oder zu bedrohen
  • Wenn sie auf Radwegen halten oder parken, die sie laut Beschilderung und/oder StVO nicht zu nutzen haben
  • Wenn sie rechts abbiegen ohne nach hinten zu schauen oder gar vorsätzlich ignorieren, dass ich hinter/neben ihnen fahre
  • Wenn sie mich in einer »Radfahrer frei«-Einbahnstraße anhupen oder anpampen, weil sie die Beschilderung nicht sehen/respektieren
  • Wenn sie nicht blinken, bevor sie abbiegen
  • Wenn sie beim vorfahrtbedingten Halten und Warten nicht stillstehen, während ich vorbeifahre, sondern schon ungeduldig vorwärtsrollen

Was mich als Fußgänger an Autofahrern ärgert

  • Wenn ich an einem Zebrastreifen warte und von ihnen vorbeifahrend ignoriert werde
  • Wenn ich eine Seitenstraße überqueren möchte und von ihnen durchfahrend ignoriert werde
  • Wenn sie hupen oder mich drängen, weil die Fußgängerampel schon wieder rot wird, während ich noch die Straße überquere
  • Wenn sie Fußwege und Parkstreifen so eng und rücksichtslos zuparken, dass man sogar ohne Kinderwagen, Rollstuhl oder Gepäck nicht vorbei- oder durchkommt
  • Wenn sie auf Flächen fahren, parken oder halten, die sie laut Beschilderung und/oder StVO nicht zu nutzen haben
  • Wenn sie am Straßenrand minutenlang mit laufendem Motor stehen
  • Wenn sie nicht blinken, bevor sie abbiegen
  • Wenn sie unbedingt noch in den Kreuzungsbereich einfahren mussten, aber dadurch dann bei Ampelgrün den Übergangsbereich für Fußgänger blockieren

Was mich als Autofahrer an mir selbst ärgert

  • Dass ich viele der anderen Autofahrer für unfähige Verkehrsdilettanten halte, nicht nur die, die es tatsächlich sind
  • Dass ich mich schneller als üblich aufrege und in dem Blechkäfig dann oft vor mich hin pöbele
  • Dass ich zu meinem eigenen Vorteil oder für ein besseres Vorankommen Verkehrsregeln übertrete (schnell noch bei Dunkelgelb über die Ampel fahren, bei entspannter Verkehrslage Höchstgeschwindigkeit überschreiten)

Was ich als Autofahrer an mir selbst ganz gut finde

  • Dass ich zunehmend gelassener bin, seit ich kein eigenes Auto mehr habe und zumeist nur gelegentlich am Wochenende oder im Urlaub am Steuer sitze
  • Dass ich gerne entspannt ankomme und dafür lieber ein paar Minuten länger unterwegs bin
  • Dass meine Lieblings-Reisegeschwindigkeit zwischen 110 und 140 km/h liegt
  • Dass ich gerne »smooth« fahre, d.h. ohne abrupte Beschleunigungs- oder Bremsvorgänge und ohne fliehkraftgebeutelte Gegenstände bzw. Insassen beim Durchfahren von Kurven
  • Dass ich in den über 35 Jahren seit ich den Führerschein habe, bislang selbstverschuldet nur zwei kleinere Unfälle mit Blechschaden hatte
  • Dass ich praktische, kleinere Autos viel lieber mag als protzige Poser- oder Raserschlitten
  • Dass ich anscheinend so gut fahre, dass viele Beifahrer schlafen können, während ich sie chauffiere

Typisch Radfahrer!

Was mich als Radfahrer an anderen Radfahrern ärgert

  • Wenn sie auf der »falschen Seite« der Fahrbahn oder in entgegengesetzter Richtung auf dem Radweg fahren
  • Wenn sie mich bedrängen oder aggressiv überholen
  • Wenn sie vor mir ohne Handzeichen plötzlich abbremsen oder abbiegen
  • Wenn sie rote Ampeln, Vorfahrtsregeln und strikte Einbahnstraßenbeschilderungen nur als »Serviervorschläge« ansehen
  • Wenn sie sich mit Kopfhörern vor Warngeräuschen abschotten
  • Wenn sie auf dem Rad bei der Fahrt auf dem Handy rumtippen
  • Wenn sie ihr Rad an engen Fahrradparkbereichen so ungünstig platzieren, dass der Zugang zu noch freien Stellplätzen erschwert oder verhindert wird
  • Wenn sie abends und bei schlechten Sichtverhältnissen ohne Licht unterwegs sind
  • Wenn sie zu mehreren auf einem leidlich breiten Radweg gleich schnell nebeneinander fahren, so dass andere nicht vorbeikommen

Was mich als Autofahrer an Radfahrern ärgert

  • Wenn sie rote Ampeln, Vorfahrtsregeln und strikte Einbahnstraßenbeschilderungen nur als »Serviervorschläge« ansehen
  • Wenn sie mich zu eng passieren oder überholen
  • Wenn sie abends und bei schlechten Sichtverhältnissen ohne Licht unterwegs sind
  • Wenn sie vor mir ohne Handzeichen plötzlich abbremsen oder abbiegen
  • Wenn sie sich mit Kopfhörern vor Warngeräuschen abschotten
  • Wenn sie auf dem Rad bei der Fahrt auf dem Handy rumtippen
  • Wenn sie auf Spuren fahren, die sie laut Beschilderung und/oder StVO nicht zu nutzen hätten, und das, obwohl gut ausgebaute eigene Radspuren vorhanden sind

Was mich als Fußgänger an Radfahrern ärgert

  • Wenn sie ohne Not auf dem Fußweg fahren, insbesondere mit forschem Tempo
  • Wenn sie mir aggressiv den Weg abschneiden
  • Wenn sie an einem Ampelübergang mit Rad- und Fußgängerspur nicht in ihrem zugewiesenen Bereich bleiben

Was mich als Radfahrer an mir selbst ärgert

  • Dass ich manchmal nicht sorgsam genug schaue, wer wo hinter mir fährt, ehe ich halte oder abbiege
  • Dass ich ab und zu mal die Handzeichen vergesse
  • Dass ich auch mal über rote Ampeln oder auf eigentlich nicht für mich gedachten Bereichen fahre, weil’s bequemer ist und/oder schneller geht
  • Wenn ich denke »ach, auf der kurzen Strecke lasse ich den Helm heute mal weg«

Was ich als Radfahrer an mir selbst ganz gut finde

  • Dass ich mich bemühe, das Verkehrsgeschehen um mich herum auch mit den Augen von Autofahrern und Fußgängern zu betrachten
  • Dass ich lieber ruhigere »grüne« oder »gemütliche« Routen und Nebenstraßen nutze als die schnellsten Strecken entlang der Hauptverkehrsadern
  • Dass ich noch nie einen Unfall mit dem Rad hatte

Mal wieder die Fußgänger!

Was mich als Fußgänger an anderen Fußgängern ärgert

  • Wenn sie an engen Stellen (z.B. vor Treppenaufgängen, auf schmalen Wegen, VOR ROLLTREPPEN!) mit mehreren in einer »Menschenkette« nebeneinander hergehen und für alle hinter ihnen eine Barriere bilden
  • Wenn sie desorientiert herumirren oder beim Gehen aufs Handy schauen und mir geistesabwesend in den Weg wanken
  • Wenn sie plötzlich direkt vor mir anhalten oder abrupt die Richtung wechseln
  • Wenn sie zu dicht neben mir stehen, obwohl genug Platz für mehr Abstand wäre

Was mich als Autofahrer an Fußgängern ärgert

  • Wenn sie vor mir plötzlich noch bei Rot über die Ampel spurten
  • Wenn sie eine unübersichtliche, sehr breite oder vielbefahrene Straße unbedingt abseits von Zebrastreifen oder Ampelübergängen überqueren müssen und sich und andere damit behindern oder gefährden

Was mich als Radfahrer an Fußgängern ärgert

  • Dass sie Radwege und deren Fahrbahnmarkierung übersehen oder bewusst ignorieren, sowohl auf den Fahrspuren als auch an Ampelübergängen
  • Dass sie ohne zu schauen über den Radweg oder die Radspur latschen
  • Dass sie beim Ein- und Aussteigen an Tram- oder Bushaltestellen nicht auf herannahende Radfahrer achten

Was mich als Fußgänger an mir selbst ärgert

Dazu fällt mir momentan eigentlich nichts ein.

Was ich als Fußgänger an mir selbst ganz gut finde

  • Dass ich mir in den letzten 2 Jahren den Automatismus angewöhnt habe, vor jedem Betreten oder Überqueren einer markierten Radspur kurz stehenzubleiben und nach links und rechts zu schauen, ehe ich weitergehe
  • Dass ich immer versuche, mich abseits an den Wegesrand zu begeben, wenn ich stehenbleiben muss, um mich z.B. zu orientieren, etwas ausführlicher aufs Handy zu schauen oder zu telefonieren
  • Dass ich grundsätzlich ein zügiges Gehtempo schätze (5–6 km/h)

Ich hätte natürlich auch noch je Abschnitt die Perspektive »Was ich als […] an Autofahrern / Radfahrern / Fußgängern gut finde« hinzufügen können. Aber erstens würde das wohl den Rahmen der akzeptablen Länge für einen Blogartikel sprengen und zweitens machen die anderen ja sowieso nichts richtig und benehmen sich im Verkehr samt und sonders wie die Arschgeigen.

Oder?

2 Kommentare

  1. Ich denke auch gern an die Sendung „der siebte Sinn“ zurück, in der problematische Verkehrssituationen gezeigt wurden und alternative Verhaltensweisen.

  2. Großartig, vielen Dank! Zu ergänzen wäre noch das vielfach unakzeptable Verkehrsverhalten der Fahrer dieser unsäglichen Elektroroller, die uns ein gewisser Herr Scheuer beschert hat, wodurch das Wort „bescheuert“ nochmal eine besondere Unterstreichung erfahren hat.

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