Im kleinen Kreis

Gestern fand die Urnenbeisetzung der Schwiegermutter in einem Friedwald im Moselland statt. Der zuvor lang anhaltende Regen erklärte sich dann doch rechtzeitig bereit, etwa eine halbe Stunde zuvor zu versiegen. Ich hatte die überschaubare Trauergemeinde vor meinem geistigen Auge schon wie in einschlägigen Filmszenen unter tief gehaltenen Schirmen durchnässt, mit hochgeschlagenen Kragen und eingezogenen Köpfen unter wolkenverhangenem Himmel versammelt gesehen, aber so sollte es nicht sein. Wie schön. Ich bin als schon vor Jahrzehnten aus der Kirche ausgetretener »Evangele« bei der Zeremonie anwesend, der Rest des kleinen Kreises gehört ansonsten eher dem katholischen Glauben an. Auch der beleibte, schon ältere Geistliche ist ein katholischer Pfarrer. Er hält eine klare, fast nordisch anmutende, ehrliche und schöne Ansprache mit wenig religiöser Verbrämung, das gefällt mir. Ich nehme die eingeflochtenen biblischen Verheißungen an Auferstehung und ewiges Leben zur Kenntnis, akzeptiere und respektiere vollauf, dass das hier dazugehört und sicherlich vielen der Anwesenden Trost und Zuversicht gibt, auch wenn ich selbst diese Erwartung an den Tod nicht habe. Unter dem Messgewand des Priesters sehe ich eine Jeans und blaue Sneaker hervorblitzen. Die wunderschöne Musik von Mahler, die der Mann ausgesucht hat und die aus einem Standlautsprecher erklingt, mischt sich für einige Sekunden von fern mit dem Geräusch eines überfliegenden Flugzeugs. Und dann, nach der Ansprache des Paters, kurz bevor der Bestatter die helle steinerne Urne aus dem umgebenden Blumenkranz nimmt und in das von Kunstrasen umsäumte ausgehobene Loch vor dem Friedwaldbaum hinablässt, nehme ich im Wurzelwerk des Baumes eine zaghafte Bewegung wahr. Eine kleine rotbraune Maus steckt ihre Schnauze aus einem Loch zwischen Laub und Baum, schaut in Richtung der Gäste, kommt eine Handbreit hervor, umhuscht in kurzen Intervallen mit bewegten Schnurrhaaren eine der Baumwurzeln und verschwindet dann für den Rest der Zeremonie in einem weiteren dunklen Loch daneben. Wenig später ist die Urne in der Vertiefung verschwunden, oben auf die Grabstätte wird von jedem eine pfirsichfarbene Rose abgelegt und in die Öffnung eine Schaufel Erde gestreut. Ich spüre eine wieder aufkommende Traurigkeit, aber das darf genau jetzt auch so sein. Nach einem letzten Moment des abschließenden stillen Gedenkens gehen alle zurück zum Parkplatz am Waldrand.

Ich habe nur den Mann hinterher gefragt, ob er die Maus auch bemerkt hatte, was er verneinte. Die anderen Trauergäste mochte ich nicht fragen. Am liebsten möchte ich glauben, dass nur ich dieses kleine Waldwesen gesehen habe, das sich kurz zu dem kleinen Kreis der Beisetzungsgäste gesellte und mir einen Augenblick schenkte, der mir mehr Erdung und Zuversicht gab als ein geschriebener oder verlesener Text es jemals vermocht hätte.

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