Vorbildlich

In einem der benachbarten Orte nahe dem Elternhaus des Mannes, in dem wir derzeit »logieren«, führt die Straße vorbei am Gebäude eines Gebrauchtwagenhändlers. Auf dem Fries oberhalb der Garageneinfahrten ist zu lesen »Auto Miesen – Ihr fairer Partner«. Jedesmal, wenn wir dort vorbeifahren, frage ich mich, was wohl der Grund war, diesen Werbespruch oder Firmenslogan so zu formulieren. Eigentlich sollte man doch erwarten können, dass ein Kfz-Händler mit einer permanenten, gemauerten Niederlassung in einer ländlichen Siedlung, wo oft noch jeder jeden kennt, fair mit seinen Kunden umgeht. Unfaire Gebrauchtwagenhändler würde ich eher vermuten auf temporären Fahrzeugflohmärkten, wo die Anbieter vorübergehend einen freien Stellplatz belegen, eine billig gedruckte Visitenkarte mit einer GMX-Mailadresse und einem in PowerPoint selbstgebastelten Logo ihre einzige Legitimation ist, oder bei spontan verabredeten, windigen Transaktionen auf Rast- oder Parkplätzen, nach denen man den fremden Anbieter nie wiedersieht. Auf dem Autohaus steht also etwas eigentlich Selbstverständliches, das als Besonderheit und Zuwendungs- oder Kaufargument hervorgehoben wird.

In Hamburg komme ich öfter an dem verglasten Büro eines Altenpflegedienstes vorbei, das, wie so viele dieser Dienstleister, kontinuierlich nach neuem Personal sucht. An der Fensterscheibe prangt ein großer Aufkleber mit der Botschaft »WIR RESPEKTIEREN, DASS UNSERE MITARBEITER EIN LEBEN AUßERHALB IHRES BERUFES HABEN«. Auch hier drängte sich mir die Frage auf, wieso eine solche Botschaft an potenzielle Bewerber notwendig ist. Ich würde es begrüßen, wenn sämtliche Arbeitgeber, die diesen Satz nicht vorbehaltlos unterschreiben würden, dies wahlweise noch einmal überdenken, ihre Geschäftstätigkeit einstellen oder aber ihre neuen Mitarbeiter mit dem Hinweis »FÜR UNS IST ES INAKZEPTABEL, DASS UNSERE MITARBEITER ETWAS ANDERES IM SINN HABEN, ALS SICH FÜR UNS RUND UM DIE UHR KAPUTTZUSCHUFTEN« anwerben würden.

Auch auf Produkten lese ich häufig Botschaften oder vermeintliche Qualitätsmerkmale, auf die ich augenblicklich mit »JA WAS DENN SONST, IHR FLITZPIEPEN?!« antworten möchte. So steht zum Beispiel auf auffällig vielen Reinigungs- oder Kosmetikprodukten prominent der Hinweis »OHNE MIKROPLASTIK«. Das ist, so sehe ich das, vordergründig kein edles Prädikat, sondern eher ein trauriges Indiz dafür, dass sich zahllose Hersteller in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten einen Scheiß darum gekümmert haben, was sie in ihre Cremes, Pasten, Gele, Lotionen, Milche, Wachse und Tinkturen hineingerührt haben und was dann der Kanalisation überantwortet wurde. Durch den Abfluss, aus dem Sinn. Deodorantprodukte, die sich rühmen, »ohne Aluminium« produziert worden zu sein, gehören ebenfalls in diese Kategorie. Man könnte sie mit der Überschrift versehen »Wir haben’s seinerzeit mal reingemischt, ohne zuvor richtig zu erforschen oder mal darüber nachzudenken, ob das sinnvoll, gefährlich oder gesundheitsschädlich sein könnte, dann kam raus, dass das ’ne Scheißidee war, jetzt haben wir’s wieder rausgenommen und IST DAS NICHT SUPER, KAUF DAS DOCH BITTE!«. Es ist altbekannt, dass Plastik in jedweder Erscheinungsform recht hartnäckig in der Umwelt verbleibt, ehe es abgebaut wird. Zuvor werden größere Teile durch Zerfall, Verwitterung und andere mechanische Prozesse immer feiner zermahlen und die Partikel verteilen sich dabei munter in der Biosphäre. Inzwischen wurde Mikroplastik im menschlichen Blutkreislauf nachgewiesen, es kann in der Tiefsee ebenso nachgewiesen werden wie in Wolken, es kann sogar die Blut-Hirn-Schranke überwinden. Die Definition des Wortes »Mikroplastik« stammt aus dem Jahr 2008, die Gefahren und Gesundheitsrisiken wurden spätestens seit Beginn der 2010er Jahre offenbar. Trotzdem frage ich mich, wie man auch ohne wissenschaftliche Begleitung jemals auf die bescheuerte Idee kommen konnte, das Plastik quasi gleich »vorgemahlen« in die Produkte zu quirlen und neuerdings fröhlich auf die Verpackungen zu drucken, dass dies nun wieder unterlassen wird. Toll. Aber wenn man ein bisschen länger darüber sinniert, ist die Geschichte der menschlichen Zivilisation ohnehin eine ebenso lückenlose wie reichhaltige Chronik der Emission schädlicher Substanzen in die Umwelt, die sich hinterher entweder gar nicht mehr oder nur sehr aufwendig wieder einsammeln oder entfernen lassen: FCKW, Asbest, Pestizide, Blei im Benzin, PTFE, CO₂, Weichmacher, Mineralöl, Stickstoff, Radioaktivität, Schwermetalle, Hormone, Antbiotika, die Liste ist endlos. Alles muss raus, solange der Vorrat reicht. Nachdenken können wir hinterher. Vielleicht.

Eigentlich ist dieser Text heute eine kleine Fortführung meines kürzlichen Blogeintrags »Brombeerwörter« über Textstellen und Begriffe, an denen ich beim Lesen immer wieder hängenbleibe, weil sie mir störend, unsinnig oder fragwürdig erscheinen. Denn genauso verhält es sich mit diesen sonderbar eigenlöblichen Werbeverkündigungen des eigentlich Gebotenen.

Irgendwie ein bisschen so, als gäbe es Schulen oder Kitas, an deren Fassade ein Banner aufgehängt ist mit der werbenden Anpreisung »In dieser Einrichtung wird nicht geprügelt!«

Makroplastik in der Umwelt ist genauso kacke wie Mikroplastik (Hinweisschild an einem Wanderweg im Moselland).

5 Kommentare

  1. Es sollten wohl Selbstverständlichkeiten sein, dem gesunden Menschenveerstand nach zumindest, innerhalb ökonomischer Logiken sind sie es leider oft nicht. Konsumierende verdrängen im Kaufrausch derart gerne die negativen Aspekte von z.B. Fast Fashion, daß es sich anscheinend lohnt, selbst die Einhaltung von Mindeststandards als Benefit werblich anzupreisen.

    Ich glaube, das hat in vielen Fällen weniger mit einem Sinneswandel der auf diese Art werbenden Firmen zu tun, sondern liegt häufig daran, wie deren Branche insgesamt wahrgenommen wird. Man versucht, sich von der Konkurrenz abzuheben.

    – „Im Gegensatz zu den anderen, windigen Gebrauchtwagenhändlern haue ich Sie nicht übers Ohr.“
    – „Während andere Kosmetikunternehmen immer noch Tierversuche machen, haben wir schon nach kurzer Zeit gemerkt, daß das mit dem Mikroplastik eine doofe Idee ist.“
    – „Wir sind nicht Ferrero oder Nestlé, wir verzichten auf Palmöl.“

    Es gibt aber noch ein paar Marken, die dieses Prinzip noch ein Stück weiter drehen. Mir fällt der Brezeldealer Ditsch ein, dessen Laugengebäck selbstverständlich noch nie im Verdacht stand, irgendwelche tierischen Produkte zu enthalten, das aber plötzlich als „Vegan!“ angepriesen wird. Oder Katjes, die vor ein paar Jahren die Chuzpe hatten, ihre ungesunden, dickmachenden Zuckerbomben mit „kein Fett“ zu bewerben.

    1. Danke für den so ausführlichen und wahren Kommentar. Zum letzten Absatz: das ist mir auch schon aufgefallen, insbesondere bei Produkten aus dem englischen Sprachraum, dass sehr fetthaltige Produkte als »zuckerfrei« und sehr zuckerhaltige als »fettarm« beworben werden. Gelogen ist das zwar nicht, aber fragwürdig allemal. Es spricht viel für die Einführung eines Schulfachs, das sich allein der Ernährungskunde widmet, damit künftige Generationen in die Lage versetzt werden, klüger einkaufen und sich weniger schädlich ernähren zu können …

    1. Oder »mit ausgewählten Zutaten zubereitet«. Nicht einfach willenlos minderwertiges Zeug zusammenkippen und plötzlich, rein zufällig »Huch, ein leckeres Fertiggericht!«

  2. Ich stolpere auch immer wieder über werbende Schilder, die auf Selbstverständlichkeiten hinweisen. Warum steht eigentlich nicht unter jedem Firmenschild: ,,WIR ESSEN KEINE KINDER!!1″?

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