re:publicadebüt

Das war sie nun – meine erste re:publica. Seit zwölf Jahren hatte ich das bunte Treiben auf dem (bis vor kurzem) jährlich stattfindenden Festival stets interessiert online verfolgt, die Besucher still ein bisschen beneidet, ohne je selber dort gewesen zu sein. Entweder gab es Terminkollisionen mit Urlaubsplänen, zu viel Arbeit im Job, kein Geld für ein Ticket, fehlende »Traute«, sich unter die coolen Internetpeople zu mischen oder andere Hinderungsgründe. Doch dieses Jahr hat es endlich geklappt.

Nach drei Tagen zwischen drei Hallen, sechs Bühnen, zahllosen parallel stattfindenden Panels und der Qual der Auswahl war mein Kopf am Freitag Abend nach dem Closing dann auch proppenvoll. Ich erlitt im besten Sinne täglich ein Stendhal-Syndrom, irgendwo zwischen dem Impuls, möglichst wenig zu verpassen und gleichzeitig meine Aufnahmefähigkeit nicht zu überfordern. Da ich tatsächlich ein eher schüchterner Mensch bin und zudem ständig von Bühne zu Bühne eilte, waren die Begegnungen mit »echten« Internetleuten zwar seltener als ich vorab gedacht hatte, aber das war letztlich auch gar nicht so schlimm, denn WANN HÄTTE ICH MIT DENEN DENN AUCH NOCH SPRECHEN SOLLEN? Immerhin habe ich ein gutes Dutzend von weitem erkannt, sei es als Teilnehmer auf einer der Stages oder kurz im Gewimmel der Besuchermenge.

Ich will auch gar keinen detaillierten Bericht verfassen, denn wozu sollte ich etwas nacherzählen, was andere Anwesende ebenfalls erlebt oder woanders im Netz bereits nachgelesen oder angeschaut haben? Und außerdem waren die Vielzahl der Themen, die Breite des Angebots und die Flut der Eindrücke viel zu groß, um sie hier auch nur annähernd überschaubar zusammenzufassen.

Es ging um Zukunftsforschung. Diversität. Resilienz. Ukrainekrieg. Lügenkultur. Artenschwund. Hasskommentare. Digitalpolitik. Klimakrise. Science Fiction. Transrechte. Deepfakes. Wissenschaftsjournalismus. Verschwörungserzählungen. Alkoholismus. Twitter. Moos. Computerspiele. KI. Mehrheitsmotivation. Robotermusik. Komplexitätsforschung. Insekten. Faschismusstrategien. Tortendiagramme. Mobilitätswende. Erschöpfung. Nachhaltigkeit. Toleranz. Improvisation. Dystopien. Markenbildung. Depressionen und – Darmwinde (und das sind nur die Stichworte zu den Sessions, bei denen ich zumindest teilweise anwesend war).

Was ich aber empfunden und mitgenommen habe: die re:publica 2022 war nicht nur eine der vielfältigsten, interessantesten und inspirierendsten Veranstaltungen, die ich jemals besucht habe sondern auch eine, die die Welt so sieht und lebt, wie ich es mir überall und jeden Tag auch »draußen« wünschen würde. Mit tausenden Menschen, die in ihrer Individualität und Würde respektiert werden, unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Orientierung, ihrem Geschlecht und ihrem Erscheinungsbild. Mit Veranstaltern, die sich mit Herzblut engagieren, die ein eingeschworenes Team bilden, die eine Vision haben, die dieses Event in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft ausrichten. Mit Vortragenden, die – trotz aller teils deprimierenden Themen und düsteren Entwicklungstendenzen auf diesem Planeten und in diesen Zeiten – immer auch mögliche Strategien zum Gegensteuern und Handeln aufzeigten. Mit einem Publikum, das sich begeistern und mitreißen ließ, das neugierig ist, mentale Grenzen überwinden will, etwas dazulernen, konstruktiv diskutieren, andere Sichtweisen verstehen und annehmen kann, Kontroversen sachlich und zum gemeinsamen Besten überkommen will und an besseren, positiven Zukunftsvisionen mitwirken möchte. Und letztlich als ein Event, das Diversität akzeptiert und fördert, an Barrierefreiheit denkt, Nachhaltigkeit vorlebt, Besucher für fleischlose Ernährung interessieren möchte, Awareness aktiv und unterstützend fördert und mit der Kreativität und Power der »Netzgemeinde« und anderer Gleichgesinnter die Welt und die Gesellschaft inspirieren und voranbringen möchte.

Ich sage danke, re:publica, für diese anstrengenden, bunten, nachdenklichen, amüsanten, befruchtenden und hochinteressanten Tage und freue mich auf ein Wiedersehen – wann immer das sein wird. Vielleicht (und hoffentlich!) blows me the wind ja schon nächstes Jahr wieder hin.