Regensburgreise (I)

Dieses Jahr reise ich mit dem Mann nach drei Jahren mal wieder zu Pfingsten nach Regensburg. Anlass sind die Tage Alter Musik, 2008 waren wir zum ersten Mal hier und seither eigentlich fast jedes Jahr wieder, bis 2018. Im Jahr darauf war das Konzertprogramm nicht hinreichend interessant – und dann kam Corona …

Die Reise war recht weit im Voraus geplant und organisiert, oft genug hatten wir bei Anreise am Freitag vor Pfingsten Neun-Euro-Ticket-ähnliche Zustände in Fernzügen erlebt: dicht gedrängt stehende Fahrgäste in Wagen und vor Eingängen, angemahnte Zugräumung aufgrund von Überfüllung, Chaos am Bahnsteig nach Zugausfällen etc. Daher hatte ich diesmal Bonuspunkte von meinem Bahn-Account gegen ein Upgrade in die erste Klasse eingetauscht und schon im Februar gebucht. Als geübter Bahnfahrer kenne ich ein paar Tipps und Kniffe, um das Reisen – und vor allem das »Boarding« reibungsloser zu machen. Die uhrwerkpräzise Effizienz, mit der George Clooney zu Beginn des Films »Up in The Air« am Flughafen seinen Security-Check durchläuft, ist für mich ein Musterbeispiel für die geschmeidige Optimierung einer Reiseprozedur. Und so schaue ich vor Ankunft am Bahnhof stets noch einmal nach dem aktuellen Abfahrtgleis, nach Wagen- und SItznummer der Reservierung, nach der aktuellen Wagenreihung (!), dem richtigen Bahnsteig-Abschnitt und auf den Sitzplan des Wagens, um zu sehen, ob mein gebuchter Platz am vorderen oder hinteren Ende liegt. Nichts ist gleich zu Beginn einer Reise unerbaulicher, als nach Einstieg an der falschen Stelle das Gepäck müh- und langsam durch übervolle Wagen zu wuchten, bis man endlich am Platz ankommt. Bevorzugt reserviere ich meinen Platz gleich in der Nähe des Einstiegs oder neben einem ebenerdigen Gepäckregal, auch das spart Zeit, Kraft und Nerven. Steigt man in einer Stadt zu, in der es neben dem Hauptbahnhof vorher noch weitere Halte für den gebuchten Zug gibt, lohnt sich oft ein früheres Aufbrechen und der längere Weg, da an den Nebenhalten weniger Gedränge herrscht und der Zustieg deutlich angenehmer sein kann. Auch das kam bei dieser Reise zum Tragen und ich stieg am halbleeren Bahnsteig des Hamburger Bahnhofs Dammtor in meinen Zug ein.

Die Reise verlief zunächst angenehm, bis der Zug bei einem Halt irgendwo zwischen Hannover und Fulda aus unbekanntem Grund vor der Weiterfahrt gut 10 Minuten länger hielt. Als Umsteigezeit in den Folgezug ab Nürnberg waren 11 Minuten eingeplant und damit stand der reibungslose Reiseverlauf auf der Kippe. Holen wir die Verzögerung auf? Wird sie gar noch größer? Bleibt selbst bei »rechtzeitiger« Ankunft noch genug Zeit zum Umsteigen? An zweiter Stelle meiner verhasstesten Reiseunbillen ist das genötigte Rennenmüssen mit vollem Gepäck zwischen Zugumsteigegleisen oder Flughafenterminals. Niemand sollte aufgrund unverschuldeter Hast während unterwegs zum Schwitzen gezwungen werden, da verschwitztes Reisen selbst das nachfolgende Sitzen auf dem Weiterreiseplatz deutlich beinträchtigen kann.

Amüsiert hatte mich in dem Moment, als die Halteverzögerung eintrat, das kollektiver Verhalten der zumeist silberhaarigen Mitreisenden im 1.-Klasse-Wagen: Bei den Worten der Zugführerin »… wird sich die Weiterfahrt unseres Zuges leider noch ca. 10 Minuten verzögern …« war von etlichen Plätzen aus ein gleichzeitiges spöttisches Auflachen zu vernehmen. »Die Bahn kriegt’s mal wieder nicht gebacken«, vermittelte das Gelächter. Ironischerweise waren das genau dieselben Leute, die im weiteren Verlauf der Reise unübersehbare Probleme mit der Handhabung ihrer digitalen Endgeräte hatten und die plärrenden Alarmtöne beim Eintreffen von Messages und Anrufen bzw. plötzlich losschmetterndem Videocontent hektisch an Drucktasten und Touchdisplays herumfingerten, um dies abzustellen. Nicht gebacken kriegen es eben meist nur die Anderen.

Tatsächlich holte der Zug dann aber auf der folgenden Strecke die Verzögerung fast wieder ein. Zusammen mit der Durchsage, dass der Anschluss-Regionalexpress auf unseren knapp eintreffenden ICE warten würde, war somit ein spurtfreies Umsteigen gewährleistet und ich kam nahezu planmäßig am Nachmittag im sommerlich-warmen Regensburg an. Mein Reisetag war »Tag zwei« nach Inkrafttreten der Gültigkeit des 9-Euro-Tickets, und das spürte man auch bereits im doppelstöckigen RE: das komplette Erdgeschoss war bevölkert von einer großen munteren Truppe Teenager, die mit Bier und Partymusik ihrem Ausflugsziel entgegenjohlten. Das Personal und alle weiteren Mitreisenden nahmen das muntere Getöse mit heiterer Gelassenheit hin und kurz vor dem Ausstieg knipste ein Fahrgast auf Bitten des jugendlichen Schwarms mit einem übergebenen Smartphone noch ein Gruppenbild in den voll besetzten Waggon hinein.

Eine positive Überraschung ergab sich dann noch vor dem Eintreffen in der Unterkunft: der getrennt angereiste Mann war bereits etwas früher dort eingetroffen und erfuhr beim Einchecken, dass das eigentlich gebuchte Apartment (ohne Angabe von Gründen) ein Update erfahren hatte und wir somit zuschlagsfrei im obersten Stockwerk die Dachgeschosswohnung beziehen durften. Viel zu groß für zwei eigentlich, mit drei Bädern, zwei Schlafzimmern, Veranda plus Dachterrasse, Wohnzimmer und offener Küche, aber – hey, gern genommen, nicht nachgefragt.

Nach Ankommen und kurzem Verschnaufen dann einige Besorgungen zur Selbstverpflegung erledigt, anschließend ein Ankunftsbierchen in einer neu entdeckten Craft-Beer-Bar und später das Abendessen im altstädtischen Innenhof eines vertrauten italienischen Restaurants genossen. Eine violinschlüsselschnörkelige Ranke im Innenhof hieß uns zu unserem anstehenden Musik-Event willkommen, die Luft war angenehm mild (wir haben für die Tage zwei Räder gemietet, die uns schnell und luftig überall hinbringen) und bis zum späten Abend konnte man jackenlos unterwegs sein. Endlich war es soweit: zum ersten Mal war der Sommer 2022 so richtig zu spüren.

Ausblick von der Upgrade-Dachterasse auf die Donau
Ausblick von der Upgrade-Dachterasse auf die Donau