Say hello, wave goodbye

Gestern ist mir zum dritten Mal innerhalb eines Monats am Wegesrand eine ausgesetzte Mikrowelle aufgefallen. Die erste, gesehen in Berlin, hatte ich noch fotografiert, sie hatte im Rahmen ihrer verschmähten Existenz zumindest vorübergehend noch eine sinnvolle Aufgabe gefunden. Bei der zweiten wunderte ich mich zunächst nicht, denn sie lag 300 km von der ersten entfernt, am Straßenrand in Hamburg. Doch gestern, bei der dritten, stutzte ich und begann mir Sorgen zu machen. Für solcherart ausgesetzte Kochgeräte sollten unbedingt mehr Bewusstsein und Aufmerksamkeit geschaffen werden.

Vielleicht liegt es nach wie vor an Corona. Die Menschen, unter ihnen auch zahlreiche berufstätige Singles, bleiben vermehrt zu Hause, was naturgemäß den Konsum an Mahlzeiten und kleinen Snacks zwischendurch erhöht. Die sozialen Kontakte sind immer noch reduziert, und wer will schon ständig nur eiskalte Portionen aus dem Kühlschrank oder bestenfalls zimmerwarme Zwischenmahlzeiten verzehren? Was liegt da näher, als sich das heimische Darben mit einer Mikrowelle erträglicher zu machen? Sie ist online flugs bestellt, wird innerhalb weniger Tage per Post geliefert und bereitet kaum Mühe beim Auspacken und Anschließen. Die Geräte werden zudem leicht bedienbar und stubenrein geliefert, so dass der neue Hausgenosse sofort den Alltag bereichern kann. Bei Familien ist es ähnlich. Die Eltern sind im Homeoffice beschäftigt oder ein, manchmal beide Elternteile sind tagsüber außer Haus. Die Kinder jedoch langweilen sich nach der Schule und es fehlt ihnen an warmen, schnellen Mahlzeiten. »Papa! Mama! Ich wünsche mir soooo doll eine Mikrowelle! Mit vielen Knöpfen! Und so eine, mit der man Marshmallows schmelzen kann! Kauft ihr eine für uns? Och, bitteeeee …«

Welche liebende Mutter, welcher sorgende Vater könnte da nein sagen? Die kleinen elektrischen Gesellen sind oft schon für wenig mehr als hundert Euro zu haben, No-Name-Promenadenmischungen aus China sogar noch billiger. Wer mehr ausgeben möchte, entscheidet sich für ein reinrassiges Markengerät guter Abstammung aus klangvollem Hause wie Siemens, Miele, Bauknecht, Samsung, Neff, Sharp oder AEG. Zusatzfunktionen wie Heißluft oder Grill schlagen zwar gerne noch einmal gesondert zu Buche, aber auch hier steht der sehnsüchtig herbeigesehnte Küchenbegleiter binnen weniger Tage an seinem Platz.

Nun beginnt die Phase, wo fast den ganzen Tag alle Mitglieder des Haushalts um den neuen Erhitzungsgehilfen versammelt sind. Alle möchten mit ihm spielen, Knöpfe drücken, Zeiten wählen, Programme starten. Drehteller und Licht werden bewundert und wenn das Glöckchen klingt, der Timer piept und die leckeren warmen Köstlichkeiten im Innenraum duften, herrscht ein großes Hallo, ein genüssliches Schmecken und Schmatzen und das Familienleben schien noch nie zuvor so gesellig und heiter wie jetzt.

Doch nach einigen Wochen zeigen sich erste Anzeichen von Ermüdung, Desinteresse und Verwahrlosung. Der Garraum müsste mal wieder gereinigt werden, aber die Kinder sind mit Spielkameraden draußen unterwegs. Das Bedienfeld ist matt von fettigen Fingerabdrücken, aber niemand hat Zeit, mit einem Lappen diese elementare Pflege zu leisten. Der Drehteller ist verklebt, das Gehäuse verstaubt, das Rezeptbuch liegt zerknittert unter der Eckbank. Traurig, allein und ungenutzt steht das einst so umhegte Küchengerät in seiner Ecke und schweigt.

Doch statt sich um einen neuen Besitzer zu bemühen, sowie den Eigentümern klar wird, dass sie dem Herd nicht (mehr) gerecht werden können, wählen dann viele – beherrscht von einer Mischung aus Hilflosigkeit, Egoismus, Bequemlichkeit und Gleichgültigkeit – den Weg, die Mikrowelle irgendwo an einer Straße auszusetzen. Schnell ist sie abgekabelt und ins Auto geladen. Aus den Augen, aus dem Sinn. Nur wenige machen sich die Mühe, das arme Gerät wenigstens in der Nähe von Kleingerätecontainern oder Wertstoffhöfen abzuladen, wo man einer fachgerechten weiteren Betreuung wenigstens einigermaßen sicher sein könnte. Nein – die ausgesetzten Kochassistenten landen in Parks, an Straßenkreuzungen, in der Gosse öder Gewerbegebiete. Verbeult, verdreckt, verstoßen. Ohne Bedienungsanleitung und Umkarton sind sie plötzlich ungeschützt den Elementen ausgesetzt, sie, die sie noch gestern in der warmen, hell beleuchteten Stube für ihre Familie und deren Freunde Tassencupcakes gebacken haben. So abgenabelt, ohne Netzanschluss, können sie nicht einmal mehr piepen. Auf ihrem Platz im Heim der ehemaligen Besitzer brutzelt derweil, umringt von hungrig und begeistert blickenden Essern, der neue Sandwichtoaster mit Antihaftbeschichtung und austauschbarem Waffeleinsatz leckere, fett-saftige Paninikreationen.

Wir sollten uns schämen, Mikrowellenherde wie Dinge zu betrachten und sie ohne Bedacht anzuschaffen und lieblos wieder auszusetzen, wenn sie uns zu viel geworden sind. Die Mikrowellenheime in vielen Gegenden, wohin etliche der ausgesetzten und eingesammelten Waisengeräte verbracht werden, sind mehr als überfüllt. Viele fast ladenneue Geräte sehen daher bereits nach einem kurzen, dienstbaren Leben dort ihrer baldigen Verschrottung entgegen.

Schauen Sie nicht weg, wenn Sie Zeuge einer herzlosen Aussetzung werden. Und überlegen Sie gut, ehe Sie sich selbst ein Gerät für zu Hause anschaffen. Vielen Dank.

Photo: © Ambernectar 13 on Flickr | Licensed under CC BY-ND 2.0