Autor: Thomas

Designerdrogen

Wenn Grafik-Designer Plattencover oder Buchumschläge gestalten, tun sie gut daran, in die betreffenden Werke vorher wenigstens mal hineinzuhören oder zu -lesen.

Fragwürdig erscheint es hingegen, bei Designaufgaben für Pharmaprodukte zuvor eine Dosis der entsprechenden Präparate einzunehmen. Einige Kollegen im Spanien der 60er und 70er Jahre hatten diesbezüglich offenbar keine Hemmungen, wie der farbenfrohe Fotostream Espacios publicitarios (Reklameflächen) des flickr-Mitglieds ex novo vermuten lässt: So ungehemmt naive, bizarre und fantasievolle Motive sind sonst eher auf Filmplakaten oder Groschenromanen zu finden. 174 kunterbunte Plakat- bzw. Anzeigenmotive hat die emsige Sammlerin aus Gijón zu einem schrägen Trip in die Werbegeschichte zusammengestellt.

Retro-Pharmaposter
Thumbnails and images: © ex novo @ flickr

Solidaritätstirade

Frau Gröner bloggt über Ruhestörung in der Oper und spricht mir damit voll aus der Seele. Das Thema ist nahtlos übertragbar auf Kino, Ballett oder Theater und ein Grund, warum ich mir Filme prinzipiell nur noch auf DVD anschaue. Das längere Warten auf den Erscheinungstermin ist ein mehr als angemessener Preis für den ungetrübten Aufführungsgenuss ohne tumb-lärmende, mit ADS und Ignoranz geschlagene Trolle im Publikum. Leider gibt’s die meisten Bühnenaufführungen nicht nach vier Monaten zum Ausleihen in der Videothek.

Die Palette der Nervperformances im Publikum übertrifft übrigens oft den Einfallsreichtum der inszenierenden Regisseure: Kinder auf dem Nebensitz, die während der Vorstellung pfundweise Fruchtgummi mampfen, um dann ihren artifiziell aromatisierten Mageninhalt neben meinen Schuhen zu erbrechen. Oder launige Kinocliquen, die es offenbar für originell halten, einen Picknickkorb zwischen sich zu platzieren (so klang es jedenfalls im Dunkeln) und daraus in knatternde Alufolie gewickelte Schnittchen und dutzendweise ploppende Flensflaschen zu entnehmen, Schlemmergrunzen und Prostgegröhle inklusive. Da fällt das unaufhörliche Kommentargemurmel eines Begleiters an seine Sitznachbarin (Simultanübersetzer für ausländische Operngäste: eine Geschäftsidee mit Zukunft?) schon fast in die harmlosere Kategorie. Schön auch die Anekdote meiner Schwester über eine nölende Gang pubertierender Deppen, die nach etwa 30 Minuten in diesem Film mit Jodie Foster lautstarkes Unverständnis darüber abzusondern begannen, warum der für Scheiße befundene Streifen eigentlich »Fightplan« hieße, wo doch weder Krieg noch Kickboxen zum Plot gehörten. Naja. Ein L wie Lesen kann man schon mal übersehen.

Oft dachte ich schon, wie nett es doch wäre, wenn man die aus dem Flugzeug bekannte Technik der individuellen Tonversorgung am Platz auf Theater und Lichtspielhäuser übertrüge. Einfach den schalldichten In-Ear-Kopfhörer in die Armlehne stöpseln und willkommen, Kunstgenuss. Doch genau genommen wäre das auch nichts anderes als elektronische Kapitulation. Doch was bleibt, außer Tadeln, Wüten, Fliehen? Weitergehendes verbieten Gesetz und Erziehung. Oscar Wilde hatte schon recht, als er sagte: »Having had a good upbringing nowadays is a great disadvantage as it excludes you from so many things.«

Ich fühle mit Ihnen, Frau Gröner.

September Sounds

Manchmal sind es die leisen, unauffälligen Dinge. Ein winziger, goldener Lichtreflex im Blattwerk einer Baumkrone, der wieder und wieder das Auge streift. Ein vergessener Geruch, der für einen Moment durchs Autofenster hereinweht und den Fahrtwind mit Erinnerung parfümiert. Ein besonderer Geschmack, der wie ein kurzes elektrisches Kribbeln die Zunge kitzelt und einen Augenblick lang alle anderen Sinne ausblendet. Oder – wie heute – ein Lied, das sich zwischen Verkehrsrauschen und Bürogesäusel hindurchschlich und warm und weich in meinen Gehörgang schmiegte, vertraut, aber doch irgendwie anders: »See You«, im Original von Depeche Mode, gecovert von der norwegischen Band Flunk, entdeckt via Tagged Radio bei lastfm. Herbst zum Hören.

Flunk CD-Cover


Eine weitere Coverversion von Flunk: »Blue Monday« (Original von New Order)
Flunk bei myspace

Thumbnails: © flunkmusic.com

Man man qi (慢慢吃)

So wünscht man sich »Guten Appetit« auf chinesisch. Und Feinschmecker, die ihre Vorurteile über die authentische chinesische Küche abseits von »Hühnchen süßsauer« ausräumen wollen, begeben sich am besten dorthin, wo dieser Zuruf muttersprachlich über Tellern und Schalen erschallt. Doch was tun, wenn es dem Freundeskreis an gebürtigen Chinesen gebricht, die originalkochkundig und gastfreundlich sind und auch eine Schlemmerflugreise nach China mit Konto und Klimagewissen nicht zu vereinbaren ist?

Ich empfehle als perfekte Alternative einen Besuch des exzellenten Restaurants Ming Dynastie in Berlin, direkt neben der chinesischen Botschaft gelegen. Zur Einstimmung hier ein bewusst exotischer Auszug aus der sehr reichhaltigen Karte:

L4. 香拌肚丝
In Streifen geschnittener Schweinemagen mit Sojasauce
L5. 水晶凤爪
Eingelegte Hühnerfüße
L6. 红油千层耳
Schweine Ohren Sülze mil Chilliöl
L12. 凉拌海蛰
Quallensalat
S11. 贝茸鱼肚羹
Fischblasensuppe mit Venusmuscheln
S13. 什锦海参羹
Seegurkensuppe mit Gemüse
78. 白扒鱼肚
Geschmorter Fischmagen mit weißer Soße
105. 西芹百合
Sellerie mit Lilienblüten
C11. 豆豉牛百叶
Gedämpfte Rinder Pansen mit schwarzen Bohnen

Jetzt heißt es: Mutige nach vorn! Aber auch für zaghaftere Gäste ist der Tisch reich gedeckt: von »Chop Suey« über »Wan Tan« bis »Nasi Goreng« wird genügend Vertrautes serviert. Das freundliche und aufmerksame Personal, in seidene Livree gekleidet, spricht perfekt deutsch – gelegentlich sogar mit leichtem Berliner Akzent. Für Einsteiger sei das wöchentliche chinesische Buffet freitags und samstags abends empfohlen, hier kann man auch Ungewohnteres in kleinen Mengen probieren und sich so langsam an neue Geschmacksreize heranwagen. Ich selbst bin nach rund zehn köstlichen Besuchen immerhin bei »L4« angekommen – und kann es nur empfehlen.

Backyard Chicken
Foto: © morgueFile.com

Klick! Surr! *wart*

Bilder aus einer anderen Zeit, in der »sofort« ein paar Minuten länger dauert: die Website Polanoid hat sich dem Ziel verschrieben, mit Hilfe ihrer Community das weltweit größte Archiv an Polaroidfotos zusammenzutragen. Ein mal poetisches, mal trashiges Archiv der Flüchtigkeit einzelner Momente abseits des digitalen Endlos-Bilderrauschens.

(via Glaserei)

Polanoid
Thumbnails: © Polanoid

So lange noch Sommer ist

Hier schnell noch ein Eisdielen-Tipp aus Berlin, ehe viele der Schleckoasen zum Überwintern schließen und temporär Teeläden, 99-Cent-Paradiese und Ähnliches die Ladenräume der kühlen Glücksbringer übernehmen. Vom hellblau-goldenen Mosaik über dem schmalen Eingangsbereich des Cuffaro in der Kollwitzstraße 66 (Prenzlauer Berg) schauen kleine Putten herab auf die Schlange der Eisliebhaber, die zumeist vor dem Tresen ansteht. Rund ein Dutzend hausgemachte Sorten hat der original italienische Gelatiere im Programm, nicht zu süß und nicht zu üppig, das Fruchteis frisch-säuerlich, das Milcheis cremig-sahnig und mit 70 Cent pro Kugel geradezu preiswert. Probiertipps: Joghurt pur, Himbeer und Biscotto.

Eiscafé Cuffaro