Kategorie: Ins Netz gegangen

Linktipps und Seltsamkeiten aus dem Internet

Haben Männer, die ein Problem damit haben, dass Männer Männer oder Frauen Frauen lieben, ein Problem mit Frauen?

In den jüngsten öffentlichen Debatten rund um das Coming Out von Thomas Hitzlsperger, Regenbogenlehrpläne, den Winterspielen in Sotschi bzw. den Diskriminierungen Homosexueller in Russland fallen mir – zum wiederholten Male – Dinge auf, die mich fast mehr beschäftigen als der eigentliche Gegenstand der Diskussion. Der Eindruck mag subjektiv sein, aber er stellt meine gesammelte Wahrnehmung dar:

  • Die Diskussion konzentriert sich vorwiegend auf Schwule, also Männer, ebenso die Ressentiments, welche die Diskussion prägen. Lesben tauchen bei der Thematisierung homosexueller Rechte lediglich am Rande auf und es kommt mir so vor, als würden sie auch weniger aggressiv abgelehnt, eher als exotische Randerscheinung gemieden oder – offen auftretend – zwar angestarrt, aber mehr oder weniger toleriert.
  • Oft erheben diejenigen am lautesten ihre Stimme, die am wenigsten Erfahrung oder Einfühlungskompetenz bezüglich der alltäglichen Lebenswelten Homosexueller haben. Altpolitiker (Blüm) oder sonstige Senioren in offiziellen Positionen und Ämtern, allen voran Geistliche. Je konservativer oder katholischer, desto lauter.
  • Frauen scheinen ein geringeres Problem im Umgang mit Homosexuellen beiderlei Geschlechts zu haben als Männer. Sie leiden auch anscheindend weniger unter der paranoiden Vorstellung, von jeder homosexuellen Frau als potenzielle Sexualpartnerin angesehen und »angebaggert« zu werden als die meisten Männer, die gegenüber Schwulen diese Befürchtung weitaus häufiger zeigen.
  • Männer sind in der Debatte generell präsenter, lauter und aggressiver. Es gibt offenbar weniger homophobe Frauen (die Statistik spricht in Deutschland von einem Frauen-/Männer-Verhältnis von etwa 1 zu 1,5) und sie äußern sich offenbar auch gemäßigter.
  • Je »emanzipierter« ein heterosexueller Mann vom patriarchisch-traditionellen Rollenverständnis der Geschlechter ist, desto offener und toleranter ist er gegenüber (männlichen) Homosexuellen eingestellt. Alle Hetero-Männer, die ich kenne, die in ihrer Beziehung, ihrem Beruf und ihrer Familie die Geschlechtergleichberechtigung aktiv leben und umsetzen, belegen dies.

Die plausibelste Begründung meiner Beobachtungen, die mir bisher begegnet ist, fasst ein allerorten im Netz kursierendes Zitat sehr treffend zusammen – das sich vornehmlich an heterosexuelle, homophobe Männer wendet:

»Homophobia: the fear that gay men will treat you the way you treat women.«, wobei ich »treat« lieber durch »look at« ersetzen würde, da vielleicht nicht jeder der angesprochenen Männer seine sexistische Weltsicht »tätlich« auslebt.

Anders gesagt, es scheint, dass eine sexistisch geprägte Einstellung gegenüber anderen Menschen (speziell von Männern gegenüber Frauen) mit einem homophoben Standpunkt korreliert. Unterstützt wird diese Wahrnehmung durch Erkenntnisse aus der Publikation »Homophobie in Nordrhein-Westfalen – Sonderauswertung der Studie ,Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit‘« des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter in Nordhrein-Westfalen. Dort heißt es auf Seite 34:

Homophobie korreliert signifikant mit anderen Elementen der »Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit«. Das Muster gleicht dem von Gesamtdeutschland weitgehend. Wie auch im übrigen Deutschland korrelieren homophobe Einstellungen besonders eng mit sexistischen (r = .45). Wer homosexuelle Menschen abwertet und ihnen gleiche Rechte verweigert, tut dies signifikant auch eher gegenüber Frauen. Signifikante Verknüpfungen auf niedrigem Niveau finden sich (…) zwischen Homophobie und allen anderen in der GMF-Studie erfassten Vorurteilen (Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, die Befürwortung von Etabliertenvorrechten, der Abwertung von Obdachlosen, Langzeitarbeitslosen und Menschen mit Behinderung).

Homophobie ist also eigentlich gar keine Homosexuellenfeindlichkeit, sondern – mit einem gewissen Vorsprung der Frauenfeindlichkeit – allgemeine Menschenfeindlichkeit. Vielleicht hat sich das ja schon derjenige gedacht, der den Begriff »Homophobie« seinerzeit erfand, denn da steckt es im Wortsinne bereits drin.

Gerne würde ich wissen, ob die Leser dieses Blogbeitrags meine oben geschilderte Wahrnehmung der öffentlichen Diskussion teilen oder das ganz oder teilweise komplett anders sehen. Ich freue mich auf Eure Kommentare.


Photo: © peragro on Flickr | Some rights reserved

Video is killing the radio star
NSA is killing the conspiracy fun

Schon öfter hatte ich beim Lesen von Büchern oder dem Anschauen von Filmen den Gedanken, ob wohl einige famose Geschichten das Licht der Welt überhaupt erblickt hätten, wenn es zum Zeitpunkt ihrer Entstehung bereits die technischen Möglichkeiten der Jetztzeit gegeben hätte.

Bei der (zugegebenermaßen modernen) Verfilmung von »Romeo und Julia« durch Baz Luhrmann (1996) mit Leonardo di Caprio und Clare Danes z.B. dachte ich: hätte Julia eine SMS an Romeo geschickt, in der sie ihm von ihrem Plan mit der Schlafmitteleinnahme erzählt, hätte die Geschichte vermutlich ein Happy End gehabt. Gut, Happy Ends sind nicht immer die bestmöglichen Enden für eine Geschichte (ich liebe z.B. das grausige Ende der Stephen-King-Verfilmung »Der Nebel«), aber vermutlich hätten Romeo und Julia am Ende deutlich mehr Zeit füreinander gehabt, wenn es 1597 schon Mobiltelefone gegeben hätte. Wie viele fiktive Dramen und Romanzen mit Internet, Handy, SMS, Skype und WhatsApp niemals oder völlig anders stattgefunden hätten, steht in den Sternen.

Seit den Enthüllungen Edward Snowdens zur NSA-Überwachung beobachte ich an mir jedoch eine weitere Veränderung der Wahrnehmung verfilmter oder aufgeschriebener Geschichten.

Nehmen wir die famose Science-Fiction-Serie »Fringe«: in der fünften und letzten Staffel ist dort die Erde im Jahr 2036 von sogenannten »Beobachtern« unterjocht – gefühllosen, mächtigen Nachfahren der Menschheit aus der Zukunft – und eine kleine Gruppe Widerstandskämpfer versucht, die Welt von den Beobachtern und ihren Gefolgsleuten, den »Loyalisten« zu befreien. Dazu werden Pläne und Sabotageakte geschmiedet, der Widerstand muss sich organisieren, verabreden und benachrichtigen – natürlich alles via Handy und Internet. Und jedesmal seit Sommer 2013 dachte ich bei jeder Szene mit konspirativen Handygesprächen: »Jaja, toller Plan. Das glaubt ihr doch selber nicht, dass das in Wirklichkeit von der NSA unentdeckt bliebe, was ihr da ausheckt.« Und hatte mit diesem Gefühl deutlich weniger Spaß an der Serie als ohne diesen Gedanken.

Ein anderes Beispiel, aber mit ähnlicher Grundkonfiguration ist die ebenso geniale Serie »Breaking Bad«. Auch der heimliche Meth-Imperator Walter White führt fortwährend geheime oder konspirative Handytelefonate, um seine düsteren Machenschaften vor der DEA, seiner Familie oder anderen Mitwissern geheimzuhalten. Und auch hier mischt sich in meinen Seriengenuss das sandige, desillusionierte Gefühl, die Serie wäre in unseren Tagen bereits nach der zweiten Staffel beendet gewesen, da ein solch großer Fisch im Drogenbusiness durch die Handyüberwachung der NSA längst ins Netz gegangen wäre.

Nichts ist mehr privat. Nichts ist mehr konspirativ. Nichts vertraulich. Wir alle sind verdächtig. Auch die Helden und Bösewichte in unseren Geschichten. So gehen nicht nur Bürgerrechte und Vertrauen verloren, sondern auch die Phantasie.

Fuck you, Big Brother.

Screenshot: Breaking Bad | AMC Network Entertainment LLC

Nur mal so.

Ich muss hier mal was loswerden.

Im September 2008 richtete ich mir bei Twitter mein kleines Accountnestchen ein. Die ersten Menschen, denen ich mich zu folgen »traute«, waren zunächst Blogger, deren Texte ich gerne und regelmäßig las. Recht schnell entdeckte ich im Gefolge derselben und durch inspirierende Empfehlungen zum »Follow Friday« (der leider inzwischen etwas aus der Mode gekommen zu sein scheint), neue, interessante Twitterer, die meine Vorliebe für feine Formulierungen, Sprache, Texte und Wortspiele teilten.

Vielen folge ich nun fast so lange, wie mein Accout hier besteht. Und es freut, freut, freut mich, zu sehen, dass es vielen davon in dieser Zeit gelungen ist, zu »echten«, teils sehr erfolgreichen Buchautoren zu werden: @ankegroener, @isabo_, @Buddenbohm, @Anousch, @FrauZiefle, @silenttiffy, @Vergraemer, @litchi7, @kumullus, @sciarazz, @bangpowwww, @HappySchnitzel … und bestimmt habe ich noch eine ganze Reihe vergessen*.

Ich kann natürlich nicht wissen oder erahnen, welchen Anteil am Weg jedes Einzelnen zu seinem Buch die Präsenz oder der Austausch bei Twitter gehabt hat (interessieren würde es mich allerdings, feel free to comment!), doch das ist auch eher zweitrangig für mich. Im Vordergrund steht die Freude, Euren Weg mitverfolgt haben zu dürfen, Eure Zweifel, Eure Motivation, Eure Kreativität, Eure Beseeltheit, Euer Lampenfieber, Euren Erfolg und Eure Freude miterlebt zu haben, darüber, etwas ganz Eigenes aus Eurem Inneren auf den Weg zu anderen Menschen gebracht haben zu können. Mögt Ihr für diejenigen bei Twitter, die dasselbe Ziel haben, ein Ansporn sein und ein kleiner Teil des Erfolgs, wenn sie eines Tages ebenfalls ihr erstes eigenes Buch in Händen halten.
Für solche Dinge liebe ich das Internet.

* Ich habe die Bücher hier mal bewusst nicht verlinkt, damit alle zunächst den Umweg über die Menschen nehmen müssen, die sie geschrieben haben. Ihr findet das im Zweifel schon allein raus …


Illustration: © photojenni | Some rights reserved

20 Dinge über mich

Ein schönes Stöckchen, das da gerade umgeht, wird mal wieder Zeit, bei sowas mitzumachen, auch, wenn es mir niemand zuwarf.

  1. Ich mag es, wenn Dinge in meiner Umgebung auf Ablageflächen orthogonal zueinander liegen.
  2. Bis deutlich nach meinem 18. Geburtstag habe ich freiwillig so gut wie nie Kaffee getrunken.
  3. Körperliche Gewalt im »echten Leben« verabscheue ich, nur ein einziges Mal (in der Grundschule) hatte ich mit einem Mitschüler eine »Klopperei« – ich weiß nicht mal mehr, wieso.
  4. Es macht mich wahnsinnig, wenn Menschen sich nicht entscheiden können oder sich wiederholt kurzfristig umentscheiden, etwa bei der Sitzplatzwahl in einer Kneipe (»guck mal, da drüben sitzt man noch schöner!«). Krisch Plack.
  5. Mit das Anstrengendste an anderen Menschen ist für mich, wenn sie zuviel reden.
  6. Mein Vater starb, als ich 14 Jahre alt war. Mittlerweile ist mir klar, dass ich (unbewusst) daraufhin die rebellische Komponente meiner Pubertät quasi ausgesetzt habe, um meine verbliebene Mutter und Schwester nicht mit meinen Bedürfnissen zu belasten. Anpassen und Zurückstecken wurden zum obligatorischen Verhaltensmuster. Ein Idol meiner Jugend war Mr. Spock, der sich stets absolut unter Kontrolle hat. Diese Haltung währte, bis ich 40 war, dann hat mir meine Psyche sehr deutlich klar gemacht, dass ich laut werden muss und darf, wenn gehört werden soll, was ich will und was nicht.
  7. Meinen ersten Computer kaufte ich mir 1983, einen »Sinclair ZX Spectrum«. Auf diesem Gerät wagte ich mich vor bis in die uncompilierte Programmierung der CPU in Maschinensprache. Etwas, bei dem ich mir selbst heute rückblickend komplett fremd vorkomme, obwohl ich nach wie vor täglich intensiv Computer nutze.
  8. Schon als Kind war ich fasziniert von Gespenstern, Monstern und Vampiren. Ich nervte Eltern und Großeltern ständig, abends für »Gruselfilme« à la Dracula aufbleiben zu dürfen (meist vergebens), stromerte in den Videotheken der frühen Achtziger Jahre herum und bestaunte die Cassettencover in der – damals noch frei zugänglichen – Horrorfilm-Ecke, denn ausleihen durfte ich ja noch nichts, und stand oft vor den Schaukästen der lokalen Kinos, in denen damals noch Szenenfotos aus trashigen Italo-Zombiefilmen öffentlich ausgehängt werden durften. Nachts konnte ich dann im Schein des Steckdosen-Schlummerlichts nicht einschlafen, sah auf jedem Kellergang in dunklen Ecken, hinter mir und jeder Tür das Böse lauern und trug sogar eine Zeitlang als Elfjähriger nachts zum Schutz ein Kreuz an einem Gummiband um mein Handgelenk. Der Reiz des Horrors blieb dennoch bis heute ungebrochen.
  9. Eins meiner schönsten Weihnachtsgeschenke waren ein paar Äpfel.
  10. Ein anderes meiner schönsten Weihnachtsgeschenke war ein Elektronik-Experimentierkasten. Gleich nach dem Auspacken begann ich, mit meinem Vater mehrere Stunden lang das komplette beiliegende Handbuch »durchzuspielen«, sehr zum Missfallen meiner Mutter, die es gern etwas gemütlicher gehabt hätte. Es war das intensivste Spielerlebnis, das ich als Kind mit meinem Vater hatte.
  11. Ich hasse umziehen. Da ich als Kind mit der Familie bis zum Alter von 12 Jahren etwa zehn Mal unziehen musste, hatte ich irgendwann genug von ständigen Ortswechseln. Seit ich 1995 nach dem Studium der Arbeit wegen nach Hamburg zog, bin ich nur ein einziges Mal umgezogen. Der Gedanke an einen Umzug weckt in mir das Bild eines Aquariums, in das jemand einen elektrischen Rührmixer hält.
  12. Ich halte jegliche Zerstörung von Gegenständen aus Spaß, zur Unterhaltung oder aus Langeweile für eine Missachtung der Schaffenskraft jener Menschen, die an der Herstellung dieser Sachen beteiligt waren. Deswegen finde ich es schön, dass die meisten Dinge, die heutzutage in Filmen »in Dutt gehen«, aus dem Computer kommen.
  13. Meine ersten drei Schallplatten mit Musik (nach unzähligen EUROPA-Hörspielplatten) waren die Singles »Die Roboter« von Kraftwerk, »Fatima, heut ist Ramadan« von Dieter Hallervorden und »Never for Ever« von Kate Bush.
  14. Ich möchte gern einmal ohne Grabstätte und Stein in einem Park oder unter einem schönen Baum in einem Friedwald beerdigt werden.
  15. Ich war nie mit der ganzen Familie im Urlaub. Beide Male bekam ich kurz vor der Abreise (Dänemark bzw. Mallorca) eine Kinderkrankheit – einmal Masern, einmal Windpocken und musste bei der Oma zurückbleiben.
  16. Das Zusammensein mit vielen Menschen auf einmal raubt mir Energie. Inzwischen glaube ich auch, verstanden zu haben, warum das so ist.
  17. Ich mag meinen Beruf als Grafik-Designer und könnte mir nur schwer vorstellen, etwas anderes zu machen.
  18. Ich würde gern einen Bildband zusammen mit einem Fotografen gestalten und herausbringen, in dem Menschen die Geschichten zu bedeutsamen Narben an ihrem Körper erzählen.
  19. Beim Kauf neuer Möbel bin ich extrem zurückhaltend. Die ältesten Möbelstücke in meiner Wohnung sind annähernd 30 Jahre alt, zeitlos schön und optisch tadellos, deshalb wüsste ich nicht, wozu ich neue bräuchte.
  20. Ich würde gern einmal ohne jegliche technische Hilfsmittel, wie im Traum, durch einen uralten bizarren Canyon fliegen.

Ich läse gern noch viel mehr Beiträge zu diesem Stöckchen. Wer es fangen mag oder einen Link zu einem lesenswerten diesbezüglichen Blogpost hinterlassen mag, der möge dies tun.

Photo: © gabri_micha | Some rights reserved

Science Fiction

Bildmontage: formschub
Photo of TV Set: © Stefan on flickr | Licensed under Creative Commons

Wenn eine Technologie wie ein weltumspannendes Computernetz, die wenige Jahrzehnte zuvor noch unmöglich schien, erst einmal vorhanden ist, wird sie bald wie selbstverständlich hingenommen. Das betrifft sowohl ihre Vor- als auch ihre Nachteile. Doch wie wäre es, wenn ein Ereignis wie die NSA-Affäre ganz plötzlich in den Alltag der Vergangenheit eingebrochen wäre, als es das Internet noch gar nicht gab? Verkündet in einer der Hauptnachrichtensendungen des deutschen Fernsehens – damals, vor 35 Jahren …*

»Washington. Wie die britische Zeitung ,Guardian’ berichtet, verfügt der US-Geheimdienst NSA über eine neuartige Technologie, die es ermöglicht, die Menschen nahezu aller Nationen weltweit in kaum vorstellbarem Ausmaß zu überwachen. Die Informationen und Dokumente, welche dies belegen, wurden der Redaktion von Edward Snowden, einem ehemaligen Mitarbeiter des Geheimdienstes zugespielt, der die Unterlagen zuvor gesammelt und an sich gebracht hatte.

Mit der Veröffentlichung will der sogenannte ,Whistleblower’ die Aktionen des bislang streng geheim gehaltenen Überwachungsapparates gegenüber der Weltöffentlichkeit enthüllen und die damit verbundenen nationalen und internationalen Rechts- und Verfassungsbrüche anprangern. Die Überwachung, so Snowden, werde von den USA mit einer effizienteren Bekämpfung des internationalen Terrorismus begründet und umfasse dabei nicht nur die elektronische Kommunikation, sondern auch die Aufenthaltsorte der Menschen sowie Datum, Zeit und Inhalte der ausgetauschten Nachrichten. Dies betreffe sämtliche Bürger – auch Milliarden Privatpersonen seien von der elektronischen Erfassung betroffen, da jedes Verdachtsmoment für die Behörden von Bedeutung sei.

Die amerikanische Regierung hat bisher zu den Enthüllungen jede Stellungnahme verweigert. Wo sich Edward Snowden derzeit aufhält, ist nicht bekannt, Geheimdienstexperten vermuten jedoch, dass der Informant auf der Suche nach einem sicheren Drittland ist, in dem er Asyl beantragen kann, ohne an die USA ausgeliefert zu werden. Die Bundesregierung, so ein Sprecher, wolle sich zu den Presseberichten des ,Guardian’ erst äußern, wenn die Behauptungen sich als stichhaltig herausstellten. In ersten Reaktionen zeigten sich internationale Bürgerrechtler sowohl teilweise ungläubig als auch entrüstet. Ein deutscher Verfassungsrechtler bezeichnete die Presseberichte als ,Science Fiction’ – es sei weder rechtlich und ökonomisch noch technisch plausibel, dass ein Geheimdienst – selbst der einer Großmacht wie der USA – eine derartige Infrastruktur in Betrieb nehme und nutze.«

(Tagesschau, Dienstag 06.06.1978)

* Ich weiß, dass der SPIEGEL 1983 bereits ausführlich über die Abhöraktionen der USA berichtete. Doch der damalige Artikel fokussierte sich m.E. eher noch auf »ausgewählte« Zielgruppen innerhalb der Bevölkerung, nicht auf eine umfassende Ausspähung ganzer Nationen und ihrer Bürger.

Gedanken zur DateNSAmmlung

Wenn es etwas gibt, was das Internet bei mir bewirkt hat, seit ich es (seit 1997) nutze, dann, dass es mich zu einem politisch sehr viel interessierteren Menschen gemacht hat. In prä-online-Zeiten gab es nur die Printmedien und das Fernsehen, um sich politisch zu informieren. Eine oder mehrere Zeitungen oder Magazine regelmäßig, womöglich täglich zu lesen, brauchte viel Zeit, kostete einiges an Geld und das Verfolgen tiefergehender Rundfunk- oder Fernsehnachrichten erforderte die Anpassung an den Programmplan der TV-Sender oder das mühsame Aufzeichnen und spätere Schauen. Zumindest mein Informationsgrad blieb daher lange relativ oberflächlich.

Inzwischen, da ich online Nachrichten und Seiten abonnieren kann, mich selektiv zu einzelnen Themen informieren (lassen) kann, wuchs auch mein politisches Bewusstsein. Ich versuche, Zusammenhänge zu begreifen, Themen tiefer zu recherchieren, kann mir leichter eine möglichst fundierte Meinung bilden und anschließend durch die Teilnahme an (konstruktiven) Diskussionen oder Demonstrationen, durch das Teilen und Weiterverbreiten von Links oder durch das Zeichnen von Petitionen Einfluss auf die politische Meinungsbildung und Entwicklung nehmen. Einfach, weil es mir durch das Internet leichter gemacht wird, dies zu tun. Das ist eine tolle Sache.

Das politische Thema, das natürlich auch mich in den letzten Wochen am meisten beschäftigt hat, ist die Abhörtätigkeit der NSA und anderer westlicher Geheimdienste, inklusive des britischen GCHQ und des deutschen BND. Ich verwende bewusst nicht die Begriffe PRISM und TEMPORA, da sich ja inzwischen herausgestellt hat, dass diese nur kleine Module darstellen in dem viel größeren Konstrukt, das dahinterliegt und der Öffentlichkeit bislang kaum bekannt ist.

Ich finde es gut, dass dieses Thema öffentlich geworden ist und auch in den On- und Offline-Medien sehr fundiert erörtert und kommentiert wird. Ich finde es gut, dass (hoffentlich immer mehr) Menschen darüber diskutieren und diesen Aktionen – möglichst über Ländergrenzen hinaus – maßvolle Grenzen setzen wollen. Ich bin der Meinung, bei der Massenerfassung dieser Daten handelt sich um einen Grundrechtsbruch und um die gezielte Umkehrung der Unschuldsvermutung. Und ich finde es beschämend, wie die meisten Politiker dieser und früherer Regierungsparteien darauf reagieren, bin extrem enttäuscht von der Politik insgesamt und den sogenannten »Volksvertretern«, die diesen Titel jeden Tag unangemessener erscheinen lassen, was mir natürlich auch die Entscheidung bei der kommenden Bundestagswahl (und: ja, ich werde wählen gehen!) nicht einfacher macht. Aber das steht auf einem anderen Blatt.

Was Edward Snowden tat, indem er diese Programme öffentlich machte, hat meinen Respekt. Er setzt sich damit als sehr junger Mensch einer Verfolgung und einem Risiko aus, die geeignet sind, sein gesamtes weiteres Leben zu beeinträchtigen oder es sogar zu verlieren. Ich hoffe, dass die Dinge, die er damit in Bewegung gesetzt hat, den Menschen, ihrer Freiheit und ihren Grundrechten zugute kommen werden.

Warum schreibe ich diesen Blogartikel? Sicher nicht, weil noch zu wenig über die Spähprogramme im Internet steht. Ich habe vielmehr das Gefühl, die öffentliche Diskussion sollte über das Statement »wir wollen nicht a) länger und b) in diesem Ausmaß überwacht werden« hinausgehen. Es geht auch um weit mehr als darum, ob wir »etwas zu verbergen haben« oder nicht.


1. Wir sind euphorisch und naiv
Einer unter den Artikeln, die mich in den letzten Tagen am nachdenklichsten gemacht haben, war ein Gastbeitrag des ehemaligen BND-Vizechefs Rudolf G. Adam in der Süddeutschen Zeitung. Dort heißt es:

Das Internet entstand aus dem Bedürfnis des US-Militärs, ein Kommunikationssystem zu entwickeln, das auch unter chaotischen Bedingungen sicher funktioniert. Die erste Naivität besteht nun darin zu glauben, das Militär habe sein Interesse am Internet verloren, seitdem es zur zivilen Nutzung freigegeben worden ist.

Da ist was dran. Die Euphorie über die Möglichkeiten und Chancen, die das Netz bietet, können durchaus dazu beigetragen haben, dass wir Netznutzer die Wurzeln des World Wide Web vergessen haben und es (ausschließlich) als eine Infrastruktur gesehen haben, die »dem Volk« zugute kommt. Doch dem ist nicht so. Das muss man akzeptieren – und es dämpft bei mir das »unbeschwerte« Gefühl, das ich bisher online hatte, maßgeblich. Doch gerade deshalb empfinde ich die Diskussion über Abhörmaßnahmen als um so wichtiger.

Der Artikel führt weiterhin aus, dass natürlich auch »nicht-westliche« Geheimdienste das Internet abhören und mit Sicherheit nicht damit aufhören werden, selbst wenn die Proteste der Menschen in Europa und Amerika zu Beschränkungen der Geheimdienstaktivitäten führen. Auch das muss man akzeptieren – ganz eindämmen kann und sollte man diese Maßnahmen in absehbarer Zeit klugerweise nicht. Idealistische Forderungen, alle Geheimdienste sollten einfach mit sämtlichen Überwachungsmaßnahmen aufhören, halte ich für weltfremd und wenig zielführend.

2. Wir sind arglos und vergesslich
Das Zweite, was ich durch die Enthüllungen Snowdens über die NSA gelernt habe: obwohl seine Enthüllungen wichtig und weitreichend sind, erzählt er uns im Grunde genommen, nicht nur Neues. In den letzten Tagen kam auch ein alter SPIEGEL-Artikel aus dem Jahre 1989 (!) wieder ans Tageslicht. Darin wird ausführlich berichtet, wie umfassend schon damals in der Vor-Internet-Ära die weltweite Telekommunikation durch die NSA überwacht und abgehört wurde – inklusive Schilderung der Empörung unter Politikern und Bürgern. Doch offenbar geriet diese erste Enthüllung inzwischen wieder komplett in Vergessenheit.

Warum folgte diesem Bericht damals kein Sturm der Entrüstung, keine Diskussionen, keine Demonstrationen? Vielleicht unter anderem auch, weil es das Internet noch nicht gab und sich sowohl der Bericht nicht dynamisch genug »herumsprechen« konnte als auch die heutigen Vernetzungsmöglichkeiten zur Verabredung und Organisation von z.B. Demonstrationen noch gar nicht gegeben waren. Und vielleicht auch, weil es »nur« um Telekommunikation ging. Zwar tauschte man auch 1989 schon viele und wichtige Nachrichten per Fax und Telefon aus, aber beide Technologien waren weitaus weniger umfassend und tiefgreifend mit nahezu allen Momenten des Alltags verwoben, wie es heute das Internet ist. »Ist ja nur Telefon«, dachte damals vielleicht mancher und ging nach draußen, um seine Überweisungen bei der Bank abzugeben und danach einen Urlaub im Reisebüro zu buchen.

3. Wir sind vertrauensselig und optimistisch
Ganze Scharen von Sprechern, Politikern und »Experten«, die derzeit die Wogen glätten und die Diskussion beschwichtigen oder herunterspielen wollen, versichern, es geschähe alles in gesunder Verhältnismäßigkeit, sei völlig legal, die Daten würden nicht missbraucht, alles sei sicher gespeichert, würde nach einer gewissen Zeit wieder gelöscht, etc. Mal angenommen, man nähme selbst die damit verbundenen Grundrechtsbrüche in Kauf, und gleichfalls angenommen, man könnte darauf vertrauen, dass diese Beteuerungen für den Moment der Wahrheit entsprechen und »die da oben« die gesammelten Daten schon anständig und gewissenhaft verwalten und verwenden würden – wer garantiert uns denn, dass das so bleibt? Ich werfe nur einen mulmigen Blick zu unserem Nachbarn und EU-Mitglied (!) Ungarn, wo sich »demokratisch legitimiert« eine massive Unterdrückung oppositioneller Kräfte abspielt. Was passiert mit den längerfristig gespeicherten Daten, wenn in fünf, zehn, zwanzig Jahren in einem heute freiheitlichen Land politische Umwälzungen eine andere Regierung ans Ruder bringen, der die Rechte ihrer Bürger (noch) weniger wert sind? Davor habe ich Angst. Ich will jetzt schon etwas dagegen getan wissen, dass weder heute noch in Zukunft jemand meine (Meta-)Daten missbrauchen kann.

4. Wir sind technikgläubig und überheblich
Die Mengen an (Meta-)Daten, die aktuell gesammelt sind, sprengen schon jetzt jedes Vorstellungsvermögen. Selbst Begriffe wie Yottabyte oder eine Gegenüberstellung der gesammelten Stasi-Daten mit der NSA-Datenbank helfen nur bedingt, diese Dimensionen zu erfassen. Das kann kein noch so großes Heer von Menschen mehr persönlich auswerten. Im o.g. Artikel der SZ schätzt Rudolf G. Adam, dass einer der maximal darauf angesetzten 50.000 Auswerter der NSA pro Tag nicht mehr als 50 Kommunikationsabläufe sichten und operativ bewerten kann. Selbst die damit erzielten 2,5 Mio. Vorgänge pro Tag decken nur 0,1% der täglich erfassten 2 Milliarden Kommunikationsabläufe ab. Den Rest müssen Maschinen erledigen.
Wenn Maschinen weltweit menschliche Kommunikation entschlüsseln, sind hochleistungsfähige Computer und Algorithmen im Spiel. Doch auch sie werden von Menschen programmiert und können nur vorgegebenen Schemata folgen. Was ist mit (automatisierten) Übersetzungen und damit einhergehenden Übersetzungsfehlern? Ironie? Sarkasmus? Humor? Bewusste Wortspiele? Kommunikationsmuster außerhalb der programmierten Schemata, die täglich millionenfach durchs Internet strömen und damit Fehlerquellen, die geeignet sind, Menschen ungerechtfertigt in Verdacht zu bringen. Eine gigantische Kafka-Maschine. Wie riskant es ist, sich Algorithmen auszuliefern, erzählt der Programmierer Lukas F. Hartmann, der durch einen Programmierfehler bei einem privaten Genom-Analyseservice eine falsche Krankheitsdiagnose erhielt.
Daneben existieren in der Statistik generell und unabhängig von Softwarefehlern die Begriffe der sogenannten »falsch positiven« und »falsch negativen« Befunde, eine Art Fehlergrundrauschen, das bei allen massenhaften Auswertungs- und Analyseverfahren von vornherein einkalkuliert wird und in der analogen Welt quasi unvermeidlich ist. Es wird also zwangsläufig bei der automatisierten Auswertung von Datenmengen sowohl zu unbegründeten Verdächtigungen führen als auch zu unentdeckten »echten« Fällen. Wer schützt die Bürger gegenüber den so mächtigen Geheimdienstinstanzen vor solchen Kollateralschäden? Ein Blick nach Guantanamo bekräftigt die Berechtigung dieser Frage.

5. Wir vernachlässigen den Faktor Mensch
Ebenso riskant, wie es ist, Maschinen menschliche Kommunikation auswerten und private bis intime Daten verwalten zu lassen, ist es, dies von Menschen erledigen zu lassen – erst recht, wenn diese Auswertung von den Geheimdiensten auch noch an privatwirtschaftliche Unternehmen outgesourced wird.
Wenn Whistleblower ihre Position und ihren Zugriff auf geheime Daten ausnutzen, um die Öffentlichkeit zu informieren, wird dies von vielen respektiert und begrüßt. Doch diese aus Sicht ihres Arbeitgebers »abtrünnigen« Angestellten stellen nur das eine Ende der Skala dar. Was ist mit korrupten, machtgierigen, kriminell veranlagten, geldgeilen oder anderweitig illoyalen Mitarbeitern, die ebenso in Versuchung kommen könnten, die ihnen anvertrauten Daten, Erkenntnisse und Befugnisse anders zu nutzen, als es »erlaubt« oder vorgesehen ist? Menschen sind fehl- und verführbar. Und je mehr Menschen immer mehr Daten sammeln und verwalten, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass diese in falsche Hände oder Kanäle geraten. Auch das macht mir Angst.


Das sind die fünf für mich wichtigsten Gründe, warum ich mich dafür einsetzen werde, dass die Recht- und Verhältnismäßigkeit solcher Datensammlungen (wieder)hergestellt wird. Es gibt noch ’zig andere Argumente, etwa der schleichende Druck zur Selbstzensur, wie ihn Pia Ziefle in ihrem Blog beschreibt. Bestimmt kennt jeder, der sich dieser Tage deshalb unwohl fühlt, noch eine Menge andere. Und selbst wenn nicht: denkt nach, informiert Euch – und entscheidet, ob und was Ihr dagegen tun könnt und wollt, wie zum Beispiel im Rahmen der Beteiligungsmöglichkeiten auf der Website der Digitalen Gesellschaft.

Ironischerweise beißt sich hier das Internet selbst in den Schwanz – wenn es dabei mithilft, die Überwachung einzudämmen, zu der es selbst die Verlockung und die Möglichkeiten bietet.
Ich bin trotzdem froh, dass es das Netz gibt.

Update: Kurz nach Veröffentlichung dieses Blogartikels erreichte mich der Link zu einem YouTube-Video des Comiczeichners manniac, das kurzweilig illustriert ebenfalls sehr viele der von mir resümierten Gedanken zusammenfasst. Anschauen und teilen empfohlen!


Image composing: formschub
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Hinter Net

Ich bin übrigens der Meinung, dass Frau Merkel ein gewisses Maß an Kritik bezüglich ihrer »Neuland«-Äußerung durchaus verdient hat. Politiker selbst müssen natürlich nicht mit jeder neuen Technologie Schritt halten oder diese selbst beherrschen können. Aber sie sollten fähig sein, zu bemerken, dass eine neue Technologie präsent ist, sich rasant entwickelt und umwälzende Auswirkungen auf alle Lebensbereiche der sich ihnen anvertrauenden* Bürger hat.

Infolge dieser Feststellung sollten sie nicht zögern, kontinuierlich kundige Experten aller netzpolitisch relevanten Disziplinen zu konsultieren, für die diese Technologie eben kein Neuland mehr ist, sich mit ihnen zusammensetzen und auf ihre Empfehlungen hören, wie diese Technologie gefördert, demokratisch geregelt und ihre Chancen und Risiken verfassungsgemäß in eine kluge Gesetzgebung integriert werden können.

Aber genau das ist im letzten Jahrzehnt verschlafen, ausgesessen, prokrastiniert, abgewiegelt oder aktionistisch bis inkompetent in völlig falsche, höchst bedenkliche Richtungen zwangsgeregelt worden. Dass die »Digital Natives« in der Minderheit sind, rechtfertigt nicht, sie und ihre Bedürfnisse, Erfahrungen und die konstruktiven Vorschläge netzpolitischer Organisationen und Verbände zu ignorieren oder kleinzureden. Die »Neuland«-Metapher ist keine Entschuldigung oder Erklärung für das, was passiert oder nicht passiert ist oder dafür, dass für weite Teile der Bevölkerung das Netz nach wie vor nur aus Online-Shopping und E-Mails schreiben besteht. Sie ist eine Ausrede.

* Update: Mit »anvertrauen« meine ich nicht eine devote Selbstauslieferung der Menschen an die Regierung, sondern den Vertrauensvorschuss der Wähler, welchen sie ihren politischen Vertretern durch ihr Wahlvotum geben – und dafür erwarten dürfen, dass entsprechend gehandelt wird.


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