Kategorie: Von der Tageskarte

Kaum passiert, schon gebloggt

Blögchen, wechsel dich!

Letzten Samstag bekam ich einen Schreck. Als ich mich als Admin ins WordPress-Backend meines Blogs einloggen wollte, ging nichts mehr. Der vermeintliche Login-Prozess dauerte ewig, am Ende wurde lediglich eine Fehlermeldung eingeblendet: »502 Proxy Error – The proxy server received an invalid response from an upstream server. The proxy server could not handle the request. Reason: Error reading from remote server«. Uff.

Die gute Nachricht: Das Blog war abseits des Login-Fehlers im Netz fehlerfrei aufrufbar. Die schlechte Nachricht: Das letzte Backup war einige Monate her (KEIN MITLEID!). Also suchte ich nach Berichten und Tipps in Foren, Blogs und auf Hilfeseiten, was die Ursache sein könnte. Am Abend zuvor hatte ich noch vor dem Einschlafen mit dem mobilen WordPress-Client vom Bett aus einen Beitragskommentar freigegeben und beantwortet, doch auch dieser App war nun jeder Login-Zugriff verwehrt. Über Nacht hatten keine protokollierten Updates von Plugins, der PHP-Version oder WordPress selbst stattgefunden. Es blieb ein Rätsel. Die Recherche ergab, dass oftmals Plugins für diese Fehlermeldung verantwortlich sind und es gab auch Tipps, wie ich alle oder einzelne Plugins mittels eines FTP-Clients – der glücklicherweise eingerichtet vorhanden war und auch funktionierte – deaktivieren und so systematisch prüfen konnte, wo der Übeltäter zu vermuten war. Inzwischen war auch eine E-Mail aus dem Backend eingetroffen, die zwar nochmals für Herzklopfen sorgte mit Betreff und Einleitung (»Deine Website hat ein technisches Problem« / »ein Plugin oder ein Theme hat einen fatalen Fehler auf deiner Website verursacht«) , aber auch zwei wichtige Hinweise zur Fehlerbehebung enthielt, nämlich den Namen des Plugins sowie einen Login-Link, der Zugriff auf das WordPress-Backup im »Wiederherstellungsmodus« ermöglichen sollte. Und das klappte!

Ich beschloss daraufhin, nicht nur das vermeintlich fehlerhafte Plugin zu deaktivieren bzw. zu ersetzen, sondern das Blog insgesamt einer Generalüberholung zu unterziehen: alle Plugins auf Kompatibilität prüfen, nicht (mehr) benötigte abzuschalten und zu entfernen bzw. durch neue oder besser bewertete zu ersetzen, die PHP-Version zu aktualisieren und das jüngste Update des WordPress-Core selbst zu installieren. Doch auch mein Backup-Plugin »BackWPup« wies nun Fehlfunktionen auf. Trotz der bis zum Ende durchgeführten Backup-Prozedur wurden bei mehreren Durchgängen und mit unterschiedlichen Backup-Konfigurationen zwischen 9.000 und 20.000 »Warnungen« ausgegeben: »Trying to access array offset on value of type bool«. Also auch dieses Plugin ausgetauscht. Das neue, »UpdraftPlus« lief anstandslos, na also. Nach dem Schreck erschien es mir sinnvoll, ein Backup-Schema mit regelmäßigen Sicherungsintervallen einzurichten und schließlich funktionierte alles wieder fehlerfrei. Hurra!

Dennoch wollte ich es dabei nicht bewenden lassen. Die Anzahl der Plugins könnte noch weiter verringert werden, mein schon etwas betagtes Theme »Treville« auf eine neuere, komfortabler zu handhabende Generation umgestellt werden und das Design einem behutsamen »Facelift« unterzogen werden. Also, auf ans Werk!

Als ich den »Look« des Blogs kritisch betrachtete, war ich damit insgesamt immer noch recht zufrieden. Mein Farbschema, die gewählten Schriften, die vom »EXPO2000«-Logo inspirierte Headergrafik, das Seitenlayout – eigentlich war das immer noch »ich«, obwohl dieser Look bereits seit November 2012 im Einsatz ist. Ein gutes Zeichen, also beschloss ich, das Design nur minimal zu aktualisieren und ansonsten dabei zu bleiben.

Da die Arbeit mit HTML und CSS nicht mein täglich Brot ist und meine Kenntnisse darin begrenzt sind, suche ich beim »Blogbasteln« recht oft Unterstützung auf Seiten wie mdn web docs‘ CSS reference oder W3Schools, bislang auch stets mit Erfolg. Diesmal beschloss ich, versuchsweise zusätzlich ChatGPT zur Prüfung und Optimierung meiner selbstgebastelten Codeschnipsel hinzuzuziehen. Das klappte im Prinzip auch sehr gut, lediglich bei der Schlussprüfung der lokalen Schrifteinbindung baute mir die K.I. einen ziemlich groben Fehler bei der Auszeichnung der »Fallback-Schriften« in den CSS-Code ein, der zwar anfangs plausibel aussah, aber bei der Anwendung zum kompletten Versagen des Stylesheets führte. Erst mithilfe menschlicher Ratgeber via Mastodon konnte ich den Lapsus wieder ausmerzen.

Jetzt sieht alles so aus, wie es aussehen soll, funktioniert (der ersten Prüfung nach) fehlerfrei, auf dem neuesten Stand mit einem neuen WordPress-Theme und gut gesichert mit einem periodischem Backup-Plan. Ich hoffe, meinen Besuchern und Lesern gefällt’s.

Ausschnitt einer deutschen Originalzeichnung für die »Lustigen Taschenbücher«, selbst geknipst im Erika-Fuchs-Haus in Schwarzenbach (Saale).

Kleine Teilchen, kluge Worte

Wenn bei mir ein »Fernsehabend« auf dem Sofa ansteht, teile ich das Programm gerne in zwei Abschnitte: der frühe Abschnitt vollzieht sich – außer es wird ein aufwendigeres, mehrgängiges Menü serviert – meist zeitgleich mit der Einnahme des warmen oder kalten Abendessens und besteht zumeist aus einer interessanten Dokumentation. Nach dem Essen wechselt das Programm dann zu Serienfolgen oder Speilfilmen von der beharrlich nicht schrumpfenden Watchlist.

Bei den Dokumentationen stellen Reise-/Länder-, Tier- oder Naturdokus einen großen Teil, ein zweites großes Segment widmet sich wissenschaftlichen Themen. Von Kindesbeinen an bin ich fasziniert von Wissenschaft, es begann mit »WAS IST WAS?-Büchern«, TIME LIFE Bildbänden und allerlei weiteren Sachbüchern, erst aus der Schulbibliothek, später auch in Form eigener Anschaffungen für die heimische Bibliothek. Hirnforschung, Psychologie, Mathematik, Physik, Astronomie, Chemie, Informatik – wenn das Medium ein Thema fesselnd und anschaulich rüberbringt, bin ich für alles offen. Gute Wissenschaftler geben nicht auf, wenn ein Experiment misslingt, sie versuchen, den Grund herauszufinden und versuchen, es zu wiederholen. Wenn ein Experiment einer ihrer Theorien widerspricht, sind sie höchstens kurz frustriert, dann versuchen sie auf Basis der neuen Daten ihre Prämissen anzupassen und forschen weiter. Glauben steht über wissen, erforschen über vermuten. Das kommt meiner eigenen Attitüde sehr nahe, deshalb sind mir Wissenschaftler vom Wesen her oft sehr sympathisch.

Vor zwei Tagen sah ich auf dem GEO-Channel bei Amazon Prime die Teilchenphysik-Doku »Particle Fever« aus dem Jahre 2013, die auch auf YouTube zu finden ist. Größtenteils im O-Ton und ohne darübergelegten Off-Kommentar dokumentiert sie die Arbeit von Wissenschaftlern auf der Suche nach dem »Gottesteilchen« genannten Elementarteilchen namens »Higgs-Boson« im LHC. Der LHC oder »Large Hadron Collider« ist ein Teilchenbeschleuniger am Europäischen Kernforschungszentrum CERN bei Genf (mehr bei Wikipedia).

»Zum ersten Mal kann das Publikum in einem Film einen bedeutenden und inspirierenden wissenschaftlichen Durchbruch aus der ersten Reihe miterleben, während er geschieht. ›Particle Fever‹ begleitet sechs brillante Wissenschaftler beim Start des Large Hadron Collider, dem größten und teuersten Experiment in der Geschichte der Menschheit, das an die Grenzen des menschlichen Erfindergeistes stößt.

Auf der Suche nach den Geheimnissen des Universums haben sich 10.000 Wissenschaftler aus über 100 Ländern zusammengetan, um ein einziges Ziel zu verfolgen: die Bedingungen, die nur wenige Augenblicke nach dem Urknall herrschten, zu reproduzieren und das »Higgs-Boson« zu finden – ein Elementarteilchen, das möglicherweise den Ursprung aller Materie erklären könnte. Doch die Protagonisten stehen vor einer noch größeren Frage: Haben wir bereits unsere Grenzen erreicht, wenn es darum geht zu verstehen, warum wir existieren?

Die Dokumentation ist entstanden unter der Regie von Mark Levinson, einem Physiker, der zum Filmemacher wurde, auf Anregung und Initiative des Produzenten David Kaplan und meisterhaft geschnitten von Walter Murch (›Apocalypse Now‹, ›Der englische Patient‹, ›Der Pate‹-Trilogie). ›Particle Fever‹ ist eine Hommage an den Forschergeist und erzählt die menschlichen Geschichten hinter der gigantischen Maschine des LHC.«

(Übersetzt und leicht editiert nach dem Begleittext bei YouTube)

Zwei Zitate der interviewten Forscher sind mir dabei besonders aufgefallen, denn sie spiegeln eine Geisteshaltung wider, die in der Gegenwart immer seltener zu werden scheint: das Hinterfragen dessen, ob alles, in das Geld und Zeit investiert wird, wirklich immer einen messbaren materiellen oder ökonomischen Nutzen erbringen muss und das Verhältnis zu objektiver Wahrheit und belegbaren Fakten. Deshalb möchte ich die von mir transkribierten Zitate hier gerne weitergeben, verbunden mit der Anregung, die Dokumentation bei Interesse komplett anzuschauen.

David Kaplan, Theoretischer Physiker am CERN:
»Es fällt Physikern schwer, zu erklären, warum wir diese Experimente machen. Die Maschine dient nicht militärischen Zwecken. Es sind keine kommerziellen Zwecke. Es geht darum, die Grundgesetze der Physik zu verstehen. (…) Man kann es damit vergleichen, einen Menschen auf den Mond zu schicken. Es ist eine gemeinsame Anstrengung. Ich würde sogar sagen, noch größer. Es ist mehr wie der Bau der Pyramiden. Warum machten die Ägypter das? Warum machen wir das? (…) Wir reproduzieren die Physik, die Bedingungen gleich nach dem Urknall. Wir machen das in diesem Collider, damit wir sehen können, wie es war, als das Universum entstand. Wir versuchen die Grundgesetze der Natur zu verstehen. (…) Falls das Higgs-Boson tatsächlich existiert, werden wir es entdecken.«

Zwischenfrage:
»Ich bin Ökonom (…) Nehmen wir an sie sind erfolgreich und alles klappt so wie geplant. Was haben wir davon? Was ist der ökonomische Ertrag? Womit rechtfertigen Sie das alles?«

Kaplan:
»Was ist der finanzielle Gewinn eines solchen Experimentes und aus den Erkenntnissen, die wir daraus gewinnen? Es gibt eine sehr einfache Antwort: Ich habe keine Ahnung. Wir haben keine Ahnung. Als einst die Funkwellen entdeckt wurde, nannte man sie nicht Funkwellen, weil es noch keinen Funk gab. Sie wurden als eine Art Strahlung entdeckt. Grundlagenwissenschaft und große Durchbrüche müssen auf eine Ebene passieren, auf der man nicht nach finanziellem Gewinn fragt. Man fragt: Was wissen wir nicht? Und wo können wir Fortschritte machen? Vielleicht ist es für nichts anderes gut, als alles zu verstehen.«

(eigenes Transkript)

Das zweite Zitat stammt von einem anderen Wissenschaftler.

Savas Dimopoulos, Teilchenphysiker an der Universität Stanford:
»Ich wuchs als Kind griechischer Eltern in der Türkei auf, in einer bürgerlichen Familie. In den 1960ern mussten wir fliehen. Wir mussten die Türkei verlassen, aufgrund politischer Spannungen zwischen Griechen und Türken wegen der Insel Zypern. Es gab viele politische Strömungen: Linke, Rechte … und ich war ein naiver Dreizehnjähriger, der sich die Argumente pro Linke und pro Rechte anhörte. Und war einmal davon überzeugt, dass die eine Seite recht hatte, am nächsten Tag die andere. Das verwirrte mich. Wie können sie beide wahr sein, wenn sie im Gegensatz zueinander stehen? Also entschied ich mich für ein Feld, in dem die Wahrheit nicht auf der Eloquenz des Redners beruht. Die Wahrheit ist absolut.«

(eigenes Transkript)

Ich wünschte, diese Sicht der Dinge würde wieder populärer, aber viel Hoffnung habe ich in einer Welt mit radikalen Кonservatisten, Querdenkern, der FDP, Νeurechten, Νationalisten und evangelikalen Сhristen nicht.

Die Endkappe des Compact Muon Solenoid am Large Hadron Collider am CERN | Foto: Wikimedia Commons, Lizenziert unter CC BY-SA 3.0

Neues von der Börse

Schon im September 2011 brachte mich eine tagesaktuelle Börsennotiz einst zum Schmunzeln. »DAX zieht den Nikkei in den Strudel« stand da – und warf mein sehr empfängliches Kopfkino sofort an. Der DAX vollzog seither allerlei weitere Kapriolen und der Metaphernbrunnen der Tickertextenden in den Wirtschaftsredaktionen scheint unerschöpflich. Da ich mich derzeit, teils zwecks beruflicher Fortbildung, teils aus persönlichem Interesse, gerade experimentell mit der Bedienung des K.I.-Bildgenerators »Midjourney« beschäftige, kam ich kürzlich auf die Idee, einige der besonders bildhaften Marktberichte vom DAX in künstlich generierte Bildmotive zu übertragen. Manche Bilder musste ich nachträglich noch ein wenig mit Photoshop bearbeiten, so weigerte sich die K.I. zum Beispiel beharrlich, dem erschöpft rastenden DAX die Zunge aus dem Maul hängen zu lassen, aber es waren wirklich nur Kleinigkeiten – der Rest ließ sich durch Verfeinerung der sog. »Prompts« recht gut steuern.

Hier meine kleine Galerie:

Soweit zur Börse – wir geben zurück ins Studio.

Edit: Ich konnte nicht anders … hier kommen noch drei:

Tafelrunde

Seitdem ich blogge (etwa seit Ende 2006), poste ich hier auch Rezepte, meistens mit einem Foto der zubereiteten Speise. Und seitdem es Twitter, bzw. jetzt Mastodon gibt und ich dort Zeug poste (2008 bzw. Ende 2022), habe ich Kochergebnisse, Backresultate, Restaurantgedecke, Tellergerichte, Salatschüsseln, Suppenterrinen mit allerlei selbst zubereiteten oder von externen Kochkönnern servierten Speisen immer wieder gerne dokumentiert und erläutert. Es macht mir Spaß, meine Genusserlebnisse im Netz zu teilen, anderen Appetit zu machen, Interesse für kulinarisches Neuland oder interessante Rezepte zu wecken und natürlich auch, mich später selbst an wohlschmeckende Anlässe wieder zu erinnern.

Irgendwann begann ich, meine Foodfotos einfach immer ganz schlicht von oben zu fotografieren. Das hat auch ästhetische Gründe, aber hauptsächlich ist es ein recht effizienter »Kniff«, Essen ansprechend, authentisch und unaufwendig abbilden zu können:

  • Man muss sich nicht um irgendwelche Hintergründe kümmern, außer dass die Tisch- oder Untergrundfläche einigermaßen ansehnlich und aufgeräumt sein sollte. In meiner Küche ist nicht viel Platz, ich nenne weder eine pittoreske Landhausküche mein eigen, noch habe ich einen Garten, einen Innenhof, eine Veranda o.ä., wo ich meine Fotos in einem passenden Ambiente anfertigen könnte.
  • Durch den engen Bildausschnitt braucht man nur ein Minimum an Platz. Hauptsache, das Essen bzw. der relevante Teil des Serviergeschirrs ist im Bild. Es kommt der Entstehung von Fotos auch in Restaurants oft zugute, wenn man mit wenig Aufwand, geringem Aufsehen und ohne andere Personen mit im Sucher zu haben, fotografieren möchte oder muss.
  • Das Essen steht absolut im Fokus, nicht das Geschirr, nicht Besteck, Servietten, Trinkgefäße oder andere Teile der Tischdekoration. Ich selbst besitze nur eine, wenn auch recht komplett ausgestattete Geschirrgarnitur in weiß mit hellgrüner Rand-/Außenglasur. Und trotzdem kann ich damit auf diese Weise Fotos machen, die auf den ersten Blick alle völlig unterschiedlich aussehen.
  • Die Fotos bekommen eine Art »Seriencharakter«, obwohl sie an völlig verschiedenen Orten, zu unterschiedlichen (Tages-)Zeiten und bei jedesmal anderer Beleuchtung aufgenommen wurden.
  • Das quadratische Fotoformat mit dem inliegenden oder angedeuteten Kreis hat eine ganz eigene, schöne, stringente Ästhetik und Symmetrie – quasi eine Art Wes-Anderson-Look, nur auf Foodfotos adaptiert.
  • Diese Art der Aufnahme kann mit der Zeit auch eine Art »Markenzeichen« werden, so dass Follower gleich erkennen, von wem das gerade neu gepostete Foodfoto wahrscheinlich wieder stammt.

Als ich heute eine frisch gebackene Brombeerwähe in ihrer Springform fotografiert und gepostet hatte, fragte ich mich, wieviele Fotos ich wohl schon auf diese Art gemacht habe – und schaute mal interessehalber in meinem Archiv nach. Es waren über 300. Eine Auswahl von 289 habe ich daraufhin einmal in einem 17 x 17 -Raster arrangiert und ich finde, das sieht auch als Mosaik sehr appetitanregend aus.

Ich glaube, ich mache einfach genau so weiter. 🙂

289 Leckereien. | Hier klicken für XXL-Ansicht in neuem Tab (10 MB)

Wortnachwuchs

Sprache ist doch etwas Tolles. So unendlich vielfältig, dass man im Prinzip alles damit ausdrücken kann und doch so beschränkt, wenn einem manchmal die Worte fehlen. So einfach und logisch und doch so inkonsequent, komplex und manchmal verwirrend. So präzise und doch oft so doppeldeutig. Man kann Dinge sagen, indem man sie knapp und pointiert formuliert oder indem man sie überbordend ausschmückt, doch manche ellenlangen Texte bleiben trotzdem nach dem Lesen komplett unverständlich. Manchmal genügt ein einziges Wort, um alles von Belang mitzuteilen und manchmal gibt es sogar Momente, in denen unendlich viel gesagt werden kann, indem man einfach nur schweigt.

Sprache ist eine Plattform, auf der alle sich verständigen können, die sie beherrschen und doch ändert sie sich ständig und niemand, kein/e Politiker*innen und kein/e Populist*innen können diesen Prozess auf Dauer unterbinden. Es gibt zehntausende von Wörtern und doch sind es nie genug, so dass ständig neue hinzukommen und jedes Synonym, das es für ein Wort gibt, hat eine abweichende Nuance in seiner Bedeutung.

Ich war schon immer fasziniert von Wörtern und von Kindesbeinen an daran interessiert, mir möglichst viele anzueignen. Ich wollte sie haben, benutzen, mit ihnen arbeiten und spielen. Ich hasse Missverständnisse, die bei unklarer Kommunikation entstehen und die Nachfragen oder sogar Unstimmigkeiten nach sich ziehen und mein Wortschatz hilft mir dabei, dies nach Möglichkeit von vornherein zu vermeiden. Irgendwann schrieb ich mal ins Internet »Effizienz ist die edelste Form der Faulheit« und das ist auch eine meiner Maximen beim schriftlichen und gesprochenen Ausdruck – wenn ich etwas möglichst kurz und eindeutig mitteilen kann, geht es schneller und ich muss nachträglich nichts erläutern, ergänzen oder widerrufen.

Ein Punkt aus meiner Einleitung (»Es gibt tausende von Wörtern und doch sind es nie genug, so dass ständig neue hinzukommen«) interessiert mich z.B. immer wieder besonders. Warum geraten manche Wörter mit der Zeit ins Abseits oder sterben aus und warum gewinnen neue Wörter plötzlich an Popularität und Verbreitung? Ich freue mich immer, wenn ich in Texten oder Gesprächen »alte« Wörter wahrnehme, wie etwa »indes«, »famos« oder »dergleichen«. Und wer kreiert neue Wörter und wieso? Ich finde etwa, dass es noch nie so deutlich spürbar wurde wie heutzutage, dass Politiker über alle Parteien hinweg (und/oder deren Berater) mehr oder weniger geschickt versuchen, ihre Programme oder Maßnahmen mittels Sprache und neu geschaffenen, meist sehr plakativen Begriffen zu »framen«. Die Konsequenz, mit der einzelne Repräsentanten aus Politik oder Wirtschaft bei jedem Medienauftritt ihre jeweils gerade sendebedürftigsten Vokabeln, Floskeln oder sogar ganzen Sätze in absolut identischer Form immer und immer wieder abspulen, hat bisweilen schon etwas Roboterhaftes, stur nach dem Prinzip »steter Tropfen höhlt den Stein« – zwar eindringlich, aber maximal penetrant und völlig entseelt. Einige Begriffe früherer Akteure sind längst in unser aller Wortschatz hineindiffundiert, ohne dass heute noch irgendjemand darüber nachdenkt, woher diese ursprünglich stammen. So fällt zum Beispiel auf, dass das Wort »Entsorgung« als Begriff für die vermeintlich endgültige bzw. unproblematische Beseitigung von Müll oder Abfall seit dem Jahr 1974 signifikant häufiger genutzt wurde, zunächst in den Massenmedien und später auch im alltäglichen Sprachgebrauch der Bevölkerung (siehe Grafik »Abb. 1: DWDS-Wortverlaufskurve für Entsorgung und entsorgen«). Im Jahr 1977 stand »Entsorgung« auf Platz 4 der damals seit kurzem von der Gesellschaft für deutsche Sprache e. V. erkorenen »Wörter des Jahres«. Woher kommt diese plötzliche Popularität? In Deutschland gibt es einerseits seit 1974 ein flächendeckendes Sammelsystem für Glas, also könnte womöglich eine aufkommende breitere Debatte zum Thema Müllvermeidung oder Recycling das Wort »gepusht« haben. Andererseits taucht das Wort gegen Mitte der 1970er Jahre auch verstärkt im Zusammenhang mit der Beseitigung und »End-«Lagerung von Atommüll auf, also könnte der Ursprung eventuell auch dort liegen.

»1975: Untersuchungen zur Errichtung eines Nuklearen Entsorgungszentrums
Beginn der Untersuchung dreier Standorte in Niedersachsen zur Errichtung eines Nuklearen Entsorgungszentrums im Auftrag der Bundesregierung. Mit dem Bekanntwerden der Untersuchung regt sich an allen Standorten Widerstand.«

Quelle: www.endlagersuche-infoplattform.de

Ist es plausibel, anzunehmen, dass der Begriff entweder von Vertretern aus dem Umfeld der Atomlobby kreiert und gezielt medial in Umlauf gebracht wurde? Oder stammt er von Politikern, in deren Interesse es stand, der Bevölkerung zu suggerieren, das Problem des Abtransports und der Einlagerung radioaktiver Abfälle sei problemlos, endgültig und sorgenfrei möglich?

»Wer auch immer die beiden Wörter (gemeint sind Entsorgung und entsorgen) geprägt hat, tat einen genialen Griff. Sie nutzen den Wortschatz der Emotionen für einen euphemistischen Terminus technicus. Das Wort entsorgen legt nahe, man würde nicht nur seinen Müll los, sondern auch seine Sorgen.

Quelle: www.welt.de (2017)

Darüber jedoch denkt heute wohl kaum noch jemand nach. Wir »entsorgen« dank dieses Begriffs mittlerweile alles Mögliche, von der Bananenschale über gebrauchte Batterien und Schlachtabfälle bis hin zu ausgedienten hochradioaktiven Brennstäben. Das Wort und seine beschönigende Aura sind in der Welt und werden sie wohl vorerst auch nicht wieder verlassen.

In diesem länger zurückliegenden Fall ist es schwierig, im Nachhinein klar zu beweisen, wann, wo und von wem der Begriff gezielt oder beiläufig erfunden wurde.

Update: Ich habe noch einen Link zu einem Dokument gefunden, in dem die Wurzeln des Begriffs »Entsorgung« als Synonym für die Beseitigung von (radioaktiven) Abfällen erkundet und auf das Jahr 1975 datiert wurden – sie liegen tatsächlich in der Politik:

Ein Lehrstück zum Thema Verbreitung sprachlicher Ausdrücke bieten die Abschnitte, die die Kommunikationskarriere des Ausdrucks Entsorgungspark behandeln. Dieser Ausdruck wurde im Jahre 1975 im Innenministerium erfunden und dort intern etwa eineinhalb Jahre lang verwendet. In die Öffentlichkeit gelangte das Wort erstmalig im Mai 1975, als Innenminister Maihofer es in einem Vortrag bei einer Reaktortagung verwendete. Die anderen Ministerien, vor allem das Forschungsministerium, zogen »Entsorgungsanlage« vor. 1975 finden sich weitere vereinzelte Verwendungen, z.B. in der Rede eines Bundestagsabgeordneten. Aber schon 1976 verwenden die Experten das Wort nicht mehr; es ist eine terminologische Eintagsfliege. Auch in der Presse sind Belege kaum zu finden.
Nachdem es eigentlich schon tot ist, wird das Wort in den 80er Jahren von Sprachkritikern in den Medien und in der Wissenschaft entdeckt. Es wird als abschreckendes Beispiel eines manipulativen Euphemismus zitiert und als Standardbeispiel weitertradiert. So erlebt es eine Karriere aus zweiter Hand, die bis heute viel dynamischer ist als die unbedeutende Erstkarriere.

Quelle: Gerd Fritz – »Rezension von: Jung, Matthias: Öffentlichkeit und Sprachwandel. Zur Geschichte des Diskurses über die Atomenergie«, Opladen: Westdeutscher Verlag 1994 – PDF

Für neuere Begriffe aus Politik oder Medien, die in der jüngeren Vergangenheit entstanden, seien sie euphemistisch, neutral oder abfällig (»Gute-Kita-Gesetz«, »Rettungsschirm«, »Abwrackprämie«, »Kopftuchverbot«, »Maskendeal«, »Heizungsgesetz« oder »Heizhammer«, »Impfskeptiker«, »Klimakleber« – die Liste kann endlos fortgeführt werden) lassen sich der Zeitpunkt des Ursprungs und die Zielsetzung weit besser protokollieren. Allein in den drei Jahren der Corona-Pandemie entstanden Hunderte solcher neuen Wortschöpfungen Neologismen«) wie etwa »Distanzbier«, »Impfwurst« oder »Kontakttagebuch« und fast täglich werden wir alle in der Berichterstattung der Medien, in Postings, Kommentaren oder Alltagsgesprächen mit weiteren neuen Begriffen konfrontiert. Einige verschwinden nach einer gewissen Zeit wieder, andere sind gekommen, um zu bleiben. Und alle sind sie entstanden, um den offenbar unzulänglichen vorhandenen Vokabeln im bisherigen Wortschatz etwas hinzuzufügen, nämlich entweder eine Präzisierung oder Ausweitung der Bedeutung und/oder eine neue und starke Assoziationsebene (positiv oder negativ), von der sowohl die Erfinder als auch die bewussten Nutzer des jeweiligen Begriffes in irgendeiner Form profitieren. Dass das Aufgreifen und Weiterverbreiten solcher Neuschöpfungen sehr oft unbemerkt oder unreflektiert geschieht, halte ich für problematisch. Dass selbst »Qualitätsmedien« solche Begriffe arglos, nachlässig oder gezielt übernehmen bzw. kritisch behaftete Wörter dieser Art nicht wenigstens in Anführungszeichen setzen, um damit sowohl deren Framinganspruch zu kennzeichnen als auch journalistische Professionalität zu zeigen, finde ich noch problematischer. Denn so sickern Lobbyismus, Propaganda, Diskriminierung und all ihre manipulativen Verwandten heimlich, still und leise in die Alltagssprache ein und vergiften den Dialog oft unmerklich, gerade auf Kanälen und in Situationen, wo Sachlichkeit im Diskurs dringend vonnöten wäre.

Jetzt ist mir das Thema eigentlich in eine viel zu ernste Ecke abgedriftet. Denn mein Impuls, etwas zu Neologismen zu bloggen, kam eigentlich aus einer ganz anderen Ecke. Ich hörte nämlich neulich in einem privaten Gespräch nach längerer Zeit mal wieder das Wort »Nuckelpinne«. Für diejenigen, die es nicht kennen: es bezeichnet leicht spöttisch ein Fahrzeug (meistens ein Auto), das klein, schwach motorisiert, langsam, minderwertig ist, ähnlich wie »Klapperkiste«, »Schrottmühle« oder »Rostlaube«. Und daraufhin fing ich an, über die Bedeutung und die Ursprünge längst etablierter älterer Neologismen nachzudenken, die teilweise schon wieder drohen, in Vergessenheit zu geraten. Wieso »Nuckelpinne«? Was nuckelt da und warum pinnt es? Warum konnte sich ein derart wenig nachvollziehbarer Begriff für Jahrzehnte im Wortschatz festsetzen? Das Wort steht sogar im Duden! Zum Ursprung heißt es dort: »Herkunft ungeklärt, vielleicht zu nuckeln (wegen der langsamen Bewegung) und Pinne im Sinne von ›etwas Kleines; kleines Teil o. Ä.‹«

Es gibt Dutzende solcher seltsamen Wörter, die sich irgendwann mal jemand ausgedacht haben muss und deren Wortbestandteile sogar häufig deutlich klarer in ihrer Einzelbedeutung sind als »nuckeln« und »Pinne«. Hier mal eine spontan erstellte, natürlich unvollständige Liste:

  • Quetschkommode (Akkordeon oder eine Ziehharmonika)
  • Drahtesel (Fahrrad)
  • Nesthäkchen (kleines Kind, Sprössling, jüngster Nachkomme)
  • Trantüte (langsamer, trödeliger oder behäbiger Mensch)
  • Arschkarte [ziehen] (in die momentan denkbar ungünstigste Lage geraten)
  • Herzkasper (Schreck oder Herzinfarkt)
  • Pappenstiel [etwas ist kein …] (Kleinigkeit, Lappalie)
  • Ratzefummel (Radiergummi)
  • Wuchtbrumme (besonders üppig gebaute oder übergewichtige Frau)
  • Schwerenöter (irgendwie sympathischer, aber auch durchtriebener Mensch)
  • Fersengeld [geben] (zügig entfliehen)
  • Schreckschraube (herrische oder unattraktive Frau)
  • Quadratlatschen (ungewöhnlich große Füße)
  • Zwickmühle (Dilemma)
  • Hüftgold (überflüssige Pfunde in der Bauchgegend)
  • Schnapsidee (törichter Einfall)
  • Wonneproppen (wohlgenährter Säugling)
  • Pappenheimer (Person mit einem erwartbaren, typischen Verhalten)
  • Fracksausen, Muffensausen (Angst)
  • Miesepeter (chronisch übellaunige Person)
  • Feuerstuhl (sportlich motorisiertes Motorrad)
  • Lokalmatador (lediglich örtlich berühmte Person)
  • Pustekuchen (das vergebliche Resultat einer Bemühung)
  • Dreikäsehoch (kleiner Mensch, meistens ein Kind)
  • Nasenfahrrad (Brille)
  • Schlauberger (altkluger Mensch)
  • Korinthenkacker (kleinlicher, übermäßig penibler Mensche)
  • Sesselfurzer (passiver, untätiger, antrieblsoser Mensch)
  • Mummenschanz (Maskerade, Verkleidung, Farce)
  • Schindluder (Missbrauch, Betrug)
  • Drückeberger (faule oder sich ihren Pflichten entziehende Person)
  • Schluckspecht, Schnapsdrossel (Mensch, der übermäßig dem Alkohol frönt)
  • Lustmolch (sich sittenwidrig oder sexuell übergriffig verhaltender Mann)
  • Torfnase, Vollpfosten (begriffsstutziger oder tollpatschiger Mensch)
  • Geizhals (knauseriger Mensch)
  • Grüßaugust (Person, die ein repräsentatives Amt bekleidet, aber keine wirkliche Macht besitzt)
  • Klapsmühle (psychiatrische Klinik)
  • Lackaffe (eingebildeter, eitler, geckenhafter Mensch)
  • Kohldampf (Hunger, Appetit)
  • Zukunftsmusik (aktuell noch nicht relevante Maßnahme/n)
  • Krisenherd (Ursprungsort eines Konfliktes)
  • … Oder auch längere Redewendungen wie »Himmel, Arsch und Zwirn«, »Mein lieber Scholli«/»Mein lieber Herr Gesangverein«, »jemandem zeigen, wo der Hammer hängt«/»jemandem zeigen, wo der Bartel den Most holt« etc.

Damit soll’s erstmal gut sein. Natürlich wäre es interessant, jetzt für jeden der Begriffe, bei dem es nicht intuitiv ersichtlich wird wie z.B. beim »Drahtesel«, die Herkunft oder den Ursprung zu ergoogeln, aber das eigentlich Spannende ist für mich, warum solche Begriffe sich ab dem Zeitpunkt ihrer Entstehung verbreitet und schließlich regional oder im gesamten Sprachraum im Wortschatz etabliert haben. Denn anders als die obengenannten politischen Neologismen, die bewusst zum Zweck des Framings und der Beeinflussung erschaffen und anschließend gezielt über Kommunikation und Medien verbreitet wurden, sind solche »klassischen« Begriffe vermutlich nicht absichtlich entstanden, um möglichst große Verbreitung zu finden, sondern wohl eher aus dem Bedarf heraus, spontan in einem Gespräch oder einem Text für einen Sachverhalt ein Wort zu kreieren, das dessen Benennung eine treffendere, manchmal spöttische oder humorvolle Bedeutungsebene hinzufügt. Das allein ist aber noch kein Grund dafür, dass das Wort danach außer dem Erfinder noch irgendjemand anders verwendet oder dass es sogar »viral geht« und sich auf die gesamte Sprachgemeinschaft ausbreitet. Es könnte genausogut verhallen und nie wieder genutzt werden, was vermutlich auch vielen originellen Neologismen beschieden war, die einfach zur falschen Zeit am falschen Ort geboren wurden und trotz ihres Witzes oder ihrer Pointiertheit wieder in Vergessenheit gerieten. Wie gerne würde ich einige davon kennen! Bei den erfolgreicheren Neuwörtern aber scheint es so zu sein, dass sie ab dem Zeitpunkt ihres Entstehens für so treffend oder originell gehalten wurden, dass viele Menschen beim ersten Kontakt damit sowas dachten wie »geil, das merke ich mir mal!«. Und dieser »Impact« ist für viele historisch überlieferten Begriffe (zumindest für mich und aus heutiger Sicht) schwer nachvollziehbar. Wieso zum Beispiel »Dreikäsehoch« und nicht »Vierziegelgroß«? Warum hat sich der »Warmduscher« (gefühlt) stärker durchgesetzt als »Schattenparker«, »Sitzpinkler« oder »Schiffschaukelbremser«? Wieso wurde die »Quetschkommode« populär, obwohl ein Akkordeon an etliches andere mehr erinnert als an eine Kommode?

Ich selbst habe ebenfalls ein Erlebnis mit einem einst von mir erdachten und öfter genutzten Begriff, den ich inzwischen auch an anderer Stelle »wiedergefunden« habe – und nun gibt es zwei Möglichkeiten: entweder bin ich tatsächlich der Urheber dieser Wortkombination und diese hat sich tatsächlich aus meinen Gesprächskreisen weiterverbreitet, oder jemand anders hatte irgendwann zufällig dieselbe Idee zu dieser Wortschöpfung und nur deshalb taucht sie nun andernorts auf.

Der Ausdruck stammt etwa aus der Zeit, als ich in der 8.–10. Schulklasse war (also etwa 14–16 Jahre alt) und mit einigen Schulfreunden zusammen in unregelmäßigen Abständen eine »Klassenzeitung« namens »Skandal-Post« herausbrachte. Der Zweck der Zeitung war reiner Spaß, wir, die Mitwirkenden wollten unsere kreativen Einfälle in Umlauf bringen, die Klassenkameraden erheitern, zusammen etwas Witziges aushecken. Wir schrieben lustige Lehrerportraits, sammelten lustige Lehrerzitate oder Schüler-Lehrer-Dialoge (Chemieunterricht. Lehrer: »Woraus besteht die Erdatmosphäre?« – Schüler »Wasserstoff?« – »Lehrer: Ja klar. Wenn Onkel Meier sich seine Morgenlulle ansteckt, fegt ein Glutball um die Erde.«) oder kürten in klassenweiter Abstimmung ohne Arg die beliebteste und/oder hübscheste Mitschülerin als »Miss 8f₃«. Im Rahmen der Redaktionsarbeit ging es irgendwann mal um einen Artikel zu inflationären Feiertagen, sprich jene, an denen Schüler in anderen Bundesländern (vornehmlich im katholischen Bayern) unterrichtsfrei hatten, wir in Niedersachsen aber leider nicht. Und als satirischer Stellvertreter dieser gehäuften katholischen Feiertage entstand für die »Skandal-Post« der fiktive Anlass »Mariä Einschulung«. Kein echter Neologismus zwar, sondern eher eine Wortkombination, aber diese habe ich in den letzten Jahren im Netz (ich weiß nicht mehr, wo genau) plötzlich wiederentdeckt und mich natürlich gefragt, wie der dorthingekommen ist. Es wäre mir natürlich eine große Ehre, einen eigenen Begriff in Umlauf gebracht zu haben, aber zweifelsfrei herausfinden oder beweisen, ob es so ist, werde ich wohl kaum können.

Ein anderer Begriff, den ich schon länger gerne benutze (ohne mich erinnern zu können, woher er kommt) und der sich offenbar seit einigen Jahren munter weiter verbreitet, ist die Bezeichnung »Schwumm« (Artikel: der) für einen sportbedingten Gang in ein Badegewässer (z.B. »Ich kam gerade von meinem Morgenschwumm zurück, da klingelte das Telefon.«). Offensichtlich gibt es einen Bedarf für dieses Wort, denn ich kenne kein ebenso kurzes und treffendes Synonym dafür – und dies könnte sowohl seine Verbreitung gefördert als auch begünstigt haben, dass es an mehreren Stellen simultan entstanden sein könnte.

Auf dem Twitterkanal meines Zweitaccounts @wortgeburt sammle ich seit September 2009 Neologismen, die mir gefallen und die ich zumeist irgendwo im Netz oder »draußen« aufgeschnappt habe. Einige davon sind aber auch Eigenkreationen:

  • Klickschweiß (Symptom großer Anstrengung beim Surfen/Recherchieren im Internet)
  • Tupperlawine (was auf einen herabprasselt, wenn man den betreffenden Küchenoberschrank öffnet)
  • Kofferzombies (Menschen an Bahnhöfen und Flughäfen, die mit ungeschickt platzierten Gepäckstücken anderen Reisenden den Weg versperren und dies selbst nicht zu bemerken scheinen)
  • Mumiensteak (sehr zähes gegartes Fleischstück)
  • Misanthropenkongress (könnte man z.B. für neubraune Parteitage nutzen)
  • Wimmerpop (kreiert für Musik von »Silbermond«, aber auch beliebig auf ein ganzes Genre ausweitbar)
  • Genitivreservat (Orte, an denen dessen Anwendung noch gepflegt und geschätzt wird)
  • Nippringe (die schaumigen mehretagigen Restränder im Inneren von Trinkgefäßen, aus denen gemeinhin schluckweise getrunken wird, z.B. Biergläser oder Milchkaffeetassen)
  • Siffnapf (Aufbewahrungsbehälter bei stehenden Klobürsten)
  • Deppengerinnsel (verwandt mit Kofferzombie – Menschengruppen, die diskutierend oder ratlos umherguckend vor Rolltreppen, Durchgängen herumstehen und allen anderen damit den Durchgang versperren)
  • Scrollschal (endlos lange Internetseite, die zum mühevollen Suchen des gewünschten Contentabschnitts zwingt, oft z.B. Rezeptseiten in Foodblogs. Siehe auch: Klickschweiß)
  • Brutschubse (Mutter, die den Kinderwagen mit ihrem Nachwuchs in Menschenmengen vorsätzlich/aggressiv als Rempelwaffe einsetzt)

Ich bin hin- und hergerissen, wie ich angesichts der jüngsten Musk’schen Eskapaden mit diesem Twitteraccount verfahren soll. Löschte ich ihn, gingen aktuell gut 16.400 Tweets mit famosen Wortkreationen verloren (da ich so gut wie keine Replys dort abgebe, entspricht die Zahl der Tweets annähernd den geposteten Begriffen). Würde ich ihn verlassen und anderswo neu aufsetzen wollen, wäre die Frage: »Wo?« Denn meine neue Haupt-Social-Media-Plattform Mastodon hat einen wesentlichen Nachteil gegenüber Twitter: Ich kann beim Erspähen eines (für mich) neuen Wortes nicht per Volltextsuche prüfen, ob es tatsächlich neu ist und erstmals an meinem Fundort Verwendung fand – eine für meinen Anspruch an »Wortgeburten« essenzielle Funktion. 😕

Ich jedenfalls hoffe, es wird weiterhin jeden Tag schöne neue Wortkreationen geben. Gerne mehr von denen, die aus Bedarf und/oder mit heiterer oder milde spöttischer Gesinnung entstehen und weniger von denen, die framen, lobbyieren, diskriminieren, ausgrenzen, herabsetzen oder beleidigen. Denn die Wortschatzkiste wird nie voll sein, und die Kostbarkeiten, die sie birgt, können alle bereichern.

Auch das Produktmarketing bietet vielfältige Impulse zur Kreation von Neologismen, hier u.a. der »Knödelboy«.

Radbericht (II)

Nun war er also angekommen, der riesige (aber gar nicht mal so schwere) Karton mit dem neuen LEMMO One E-Bike. Ich transportierte ihn die Treppen ins 1. OG hoch, machte etwas Platz auf dem Fußboden im Wohnzimmer und sah als erstes einen QR-Code außen auf dem Karton mit dem Hinweis, diesen zu scannen, bevor man den Karton öffnete. Daraufhin wurde ich zu einer Seite bei YouTube geführt, wo ein ausführliches siebenminütiges »Unboxing«-Video alle Schritte erklärt. »Hä?«, mag nun mancher denken, »Auspacken werde ich ja wohl noch selber können!«, aber das Video hat durchaus einen Sinn, denn die Lieferung ist im Inneren des großen Kartons in mehrere »intelligente« Teilverpackungen unterteilt und es ist durchaus von Belang, wie der Karton steht (nämlich hochkant mit einer definierten Seite nach oben orientiert) an welcher Stelle man ihn öffnet (nämlich an einer großen Aufreißlasche an einem der schmalen Enden) und in welcher Reihenfolge und auf welche Weise man dann die modularen Inhalte entnimmt. Denn der Hersteller hat sich durchaus viele und, wie ich finde, gute Gedanken zum Auspacken und Zusammenbauen gemacht. Zunächst entnimmt man eine kleinere Box, in der ein komplettes Werkzeugset und eine Fahrrad-Standluftpumpe mit Druckmesser (!) enthalten sind. Solch großzügiges Zubehör hat mich beim Preis des Rades ehrlich überrascht.

Als zweites entnimmt man das teilzusammengebaute Rad, das auf einem kleinen Kunststoffschlitten, der es auf ebenem Untergrund auch in der Senkrechten stützt, aus dem großen Karton gleitet. Daran ist auch das noch zu montierende Vorderrad befestigt. Noch ein Pluspunkt: sämtliche der ca. 20 Kabelbinder, mit denen die Teile in ihrer Verpackung fixiert sind, haben eine »Entriegelung«, so dass man sie zerstörungsfrei öffnen und ggf. im Haushalt wiederverwenden kann. Viele der Schutzmanschetten sind zwar aus Schaumstoff, aber etliche Polsterungen und Stoßfänger sind auch aus wabenartigem Pappmaterial gefertigt, so dass sich die Menge an Plastikabfall im Rahmen hält.

Ein größerer Wellpapp-Block mit einer Aussparung entpuppt sich als Ständer für das ummontierte Vorderrad, so dass man es ohne gesonderte Stütze senkrecht aufstellen kann, bis der Rest des Rades mit der vorderen Gabel aufgesetzt und verschraubt werden kann. Die Werkzeuge (ein großer gewinkelter Steck-Schraubenschlüssel und mehrere lange Inbusschlüssel in vier verschiedenen Größen) machen einen guten und soliden Eindruck. Im Video werden zum Festziehen der Schrauben Hinweise genannt, wie fest oder nicht so fest man die verschiedenen Schrauben anziehen soll. Das kann man nach Gefühl befolgen oder man hält sich an die exakten Drehmomentangaben, die ich später in der per QR-Code verlinkten PDF-Bedienungsanleitung entdeckte. Dafür braucht man dann allerdings einen eigenen Drehmomentschlüssel.

Der gesamte Aufbau geht natürlich nicht in den sieben Minuten vonstatten, die das Video dauert. Ich habe alles in allem etwa 90 Minuten ausgepackt, gelesen, mehrfach das Video oder einzelne Szenen angeschaut und die Montagehinweise befolgt. Alles war sehr gut verständlich und nachvollziehbar aufbereitet. Etwas verlängert wurde der Aufbau durch einen kleinen Transportschaden – der vordere Schmutzfänger (Kunststoff) hatte durch einen Stoß wohl einen Knick bekommen, der sich nicht durch manuelles Biegen entfernen ließ. Bevor ich diesen Schaden reklamieren wollte, habe ich aber den Versuch einer Reparatur vorgenommen, der auch erfolgreich war: Ich baute das Teil aus, fotografierte den Schaden zu Dokumentationszwecken und übergoss es dann in einer flachen Auflaufform mit 90 °C heißem Wasser. Wie erhofft, »erinnerte« sich der Kunststoff daraufhin weitgehend an seine ursprüngliche Form, ließ sich manuell problemlos wieder zurechtbiegen und behielt diesen Zustand dann in erkaltetem Zustand auch. Yeah!

Der Rest des Aufbaus verlief ohne Probleme, auch der Download der App, die Einrichtung des Accounts und das separate Registrieren des Rades sowie des SmartPacs klappten auf Anhieb. Die mitgelieferte Pumpe ist ebenfalls von guter Qualität und ließ mich die Reifen wie empfohlen aufpumpen. Nun musste ich noch das SmartPac aufladen, bevor ich zur »Jungfernfahrt« startete. Die Wartezeit vertrieb ich mir mit der Lektüre der Bedienungsanleitung und dem Studium der App. Gut: In der Bedienungsanleitung gibt es eine Liste mit möglichen Fehlercodes, die bei Defekten auf dem Display angezeigt werden, das erspart es dem Nutzer, mit kryptischen Kürzeln ratlos alleine dazustehen.

Ein kleiner Minuspunkt bei der ansonsten sehr aufgeräumten und intuitiven Bedienerführung und Dokumentation ist für mich die Übersetzung der deutschen Texte. Denn obwohl LEMMO offensichtlich ein in Deutschland gegründetes und ansässiges Unternehmen ist, laufen sehr viele Prozesse während der Bestellung und Dokumentation auf Englisch ab und Deutsch ist ganz offensichtlich nur »Plan B«. So stehen zum Beispiel auf der deutschsprachigen Website fehlerhafte Sätze wie »Dieses elegante Allroad-Maschine bringt Sie weit.« Bestellbestätigungs-Mails und -PDFs sowie der Rechnungstext sind ebenfalls englisch und die Servicemitarbeiterin, mit der ich wegen der verzögerten Lieferfrist telefonierte, ließ ebenfalls erahnen, dass Deutsch nicht ihre Muttersprache ist. Alles legitim und (bis auf die etwas peinlichen Übersetzungs- und Tippfehler in den Werbetexten) vernachlässigbar, aber in der Software wäre m.E. etwas mehr Sorgfalt angebracht gewesen. Prüft man dort z.B. die Version der Firmware und diese ist auf dem neuesten Stand, erscheint die etwas sonderbare, wenngleich verständliche Meldung »Neueste Version schon!«. Manche ins Deutsche übersetzten Texte umfassen unweigerlich mehr Buchstaben als das englische Original, was dazu führt, dass bei Fortschrittsanzeigen oder Popup-Meldungen Textteile aus dem Display ragen oder die Fläche von User-Interface-Feldern überschreiten und somit für den User nicht lesbar sind. Zwar waren dies bislang nur Textschnipsel minderer Wichtigkeit, aber wer weiß, was noch kommt. Da ist noch Luft nach oben, doch Ähnliches habe ich selbst mit Photoshop schon erlebt, insofern darf man es nicht allein dem Startup-Status des Herstellers ankreiden.

Was noch auffällt, ist das etwas eigenwillige Profil der Reifen (Innova 44-584*). Ich bin gespannt, wie sich diese nach längerer Benutzung auch bei ungünstigeren Wetterverhältnissen auf der Straße verhalten. Optisch aber auf jeden Fall ein Hingucker und rein theoretisch wirken sie nicht, als wäre ihr Grip schlechter als bei herkömmlichen Profilen.

Nachdem das SmartPac aufgeladen war – laut Dokumentation dauert das vollständige Laden des entleerten Akkus gut 3,5 Stunden und ab Werk war er etwa halbvoll geladen, somit ging es schneller – setzte ich es erstmals in die Verriegelung am Rad ein. Dank der guten Anleitungen ging auch dies einfach und problemlos vonstatten. Sowohl am Rad als auch am SmartPac sind Abdeckungen gegen Staub und Feuchtigkeit angebracht, die aber leicht klapp- oder verschiebbar zu öffnen und zu schließen sind. Das Smartpac ist außen interessanterweise mit einer Art Textilbezug versehen, wie sich dieser bei Regen verhält, wird noch zu beobachten sein. Aber gegebenenfalls kann man ja hier mit einem Imprägnierspray bei Bedarf für Schutz sorgen.

Danach probierte ich »im Trockendock« noch die Steuerungen mit den Knöpfen am Lenker aus. Ein kurzer Druck auf den Knopf links lässt die elektronische Klingel ertönen. Ein netter und mäßig lauter Ton ist zu hören, leider mit einer kleinen Verzögerung, was im Gefahrenfall kritisch sein kann. Ich brachte daher sofort wieder wie beim VanMoof eine schön helle und laute herkömmliche Klingel am Lenker an. Ein langer Druck auf den Knopf links schaltet die Beleuchtung ein oder aus. Ein Druck auf beide Knöpfe links und rechts aktiviert und deaktiviert die Bolzenverriegelung des Rades und den Alarmton bei Bewegung im Parkzustand. Der Alarm ist nicht ohrenbetäubend, aber markant, aus meiner Sicht okay. Ein 2 Sekunden langer Druck auf den Knopf rechts soll im E-Bike-Betrieb während der Fahrt den »Turbo«-Modus aktivieren, dessen Benutzung steht allerdings bei mir noch aus. Ein kurzer Druck auf denselben Knopf rechts schaltet beim Fahren bequem und ohne Verzögerung durch die vier Unterstützungsstufen des Motorbetriebs (0 bis 3), die beiden Hebel für die 10-Gang-Schaltung (hoch/runter) sind ebenfalls am rechten Handgriff angebracht.

Am Hinterrad befindet sich eins der spannendsten Bedienelemente des LEMMO One E-Bikes: die patentierte Kupplung zwischen »motorisiertem« und »manuellem« Antrieb. Mit einem einfachen Herausziehen eines Drehknopfes direkt in der Mitte der Nabe und dessen Drehung nach rechts, bis er wieder zurückrastet, schaltet man zwischen den mit Buchstaben klar gekennzeichneten Modi »E« und »M« um. Ich habe das inzwischen mehrfach ausprobiert und bin von der Handhabung sehr angetan.

Nun ging es auf die Straße. Schon das Tragen aus dem ersten Stock nach draußen war deutlich angenehmer als mit meinem vorherigen VanMoof. Ohne SmartPac wiegt das LEMMO One 15 kg, mit SmartPac 3 kg mehr. Einige Kommentatoren kritisierten die recht hohe Montageposition des SmartPacs am Rahmen des Bikes, ich bewerte dies jedoch nicht als kritisch für den Schwerpunkt des Rades bei normalem Betrieb. Lediglich beim stehenden Transport unterwegs, z.B. in einem Bus oder Zug, würde ich das Bike sorgsam gegen Umfallen sichern, um die Halterung des SmartPac vor Schäden bei einem Aufprall zu bewahren.

Das Rad fährt sich »spritzig«, so mein Fazit nach den ersten Kilometern. Die Motorsteuerung springt smooth an und gibt, je nach Leistungsstufe, schon ab Level 2 spürbaren Schub. Der Motor (Dual Mode Hub/540 Wh*) läuft leise und für mich fast unhörbar, die Reifen rollen glatt und leichtläufig ab, die Bremsen (Disc, Zoom-4-Kolben*) lassen sich gut dosiert bedienen und greifen robust. Die erste Probefahrt über rund 8 km Strecke absolvierte ich komplett im E-Bike-Betrieb. Bei kleinen Halten zwischendurch erprobte ich die Ver- und Entriegelung mit dem integrierten Schloss, auch dies verlief problemlos. Insgesamt ein schönes Debüt.

Vor einer fotogenen Hecke bot sich ein erster Schnappschuss des Rades an.

Während der Fahrt konnte ich auch im hellen Sonnenlicht gut das integrierte Display ablesen. Es zeigt kontinuierlich den Ladezustand der beiden Akkus (SmartPac und Bedienelektronik) an, dazu die gefahrene Geschwindigkeit, die gewählte Leistungsstufe des Motors, den Status der Bluetooth-Verbindung und den der Beleuchtung. Ich habe keine Beanstandungen. Insgesamt habe ich bei dem Fahrrad das Gefühl, die Ingenieure und Designer haben sich vorab viele und gute Gedanken über das »Nutzererlebnis« gemacht, so dass das Rad angenehm und mit Spaß gefahren und bedient werden kann. Wäre die App noch ein bisschen sorgsamer umgesetzt (kann ja noch kommen), würde ich fast sagen »Ein E-Bike, wie es eines von Apple sein könnte«.

Die zweite Fahrt machte ich ohne eingesetztes SmartPac und mit ausgekoppeltem Motor im manuellen Betrieb. Hier fiel auf, dass die Kettenschaltung ab Werk bei meinem Rad offenbar nicht präzise genug eingestellt war. Bei etwa der Hälfte der zehn Gänge traten ständige »Kracher« und »Kettenrutscher« auf (gibt es dafür einen Fachbegriff unter Rad-Experten?) Ich werde mal recherchieren, ob es dazu direkt von LEMMO eine Anleitung oder ein Video zur Abhilfe gibt. Ansonsten gehe ich davon aus, dass ein Tutorial für die Justage dieser Art von Schaltung (Shimano Deore, 1×10; 38/11-42 Z*) auch anderswo zu finden sein sollte. Dem kann somit abgeholfen werden, obwohl ich diesen kleinen Makel ein bisschen schade finde, weil er gefühlt etwas auf das Qualitätsniveau der Endkontrolle zurückfällt.

Update: Ich hatte zwar ein sehr detailliertes Video bei YouTube gefunden, in dem die Einstellung einer Kettenschaltung von Grund auf sehr anschaulich erklärt wird, aber glücklicherweise brauchte es diese Maßnahme gar nicht. Es genügten zwei Drehungen des Einstellrades am Schalthebel, um die Schaltung zu justieren. 🙂

Ansonsten war auch die manuelle Fahrt ein angenehmes und Freude machendes Erlebnis. Ich freue mich über meine Kaufentscheidung und hoffe, dass ich mit diesem Bericht vielleicht einigen anderen E-Bike-Interessenten eine kleine Entscheidungshilfe an die Hand geben konnte.

Das Gefühl, mit dem LEMMO Bike One ein Gefährt erworben zu haben, das auch ohne Akku, App und Motor-Zuschaltung jederzeit wie ein ganz normales Rad funktioniert, hat sich nach den aktuellen Nachrichten über die finanziellen Turbulenzen des einstigen E-Bike-Pioniers und Platzhirschen VanMoof noch weiter verstärkt. Ich drücke LEMMO jedenfalls die Daumen, dass das noch junge Unternehmen mit seinem kreativen Konzept Erfolg hat.

Hinterlasst auch gerne einen Kommentar, ich freue mich über jedes Feedback!


* Quelle der genannten Detail-Informationen: Testbericht über das LEMMO One auf der MYBIKE Website.

Radbericht (I)

Im Sommer 2019 hatte ich mir mein erstes E-Bike gekauft. Ich war schon zuvor im Jahr 2014 auf die niederländische Firma VanMoof aufmerksam geworden, als ich nach einem schick designten »normalen« Fahrrad suchte und mir seinerzeit das Modell M2 zulegte (Edit: VanMoof kämpft offenbar seit Ende Juni gegen seine Insolvenz, siehe Updates am Ende dieses Beitrags). 2017 brachte das Unternehmen dann sein erstes elektrisch angetriebenes Rad (VanMoof Electrified S1) auf den Markt und nahm die »manuellen« Modelle nachfolgend aus dem Sortiment. Anfang 2019 bewarb VanMoof dann die elektrischen Nachfolgemodelle Electrified S2 und X2 und köderte Neukunden mit einem »Early Bird Offer«, der das größere Modell S2 zum Sonderpreis von 2.598 EUR anbot (der UVP betrug stattliche 3.398 EUR). Die Optik überzeugte mich, die in den Folgemonaten veröffentlichten Testberichte waren geradezu überschwenglich – und so griff ich zu. Knapp 8 Wochen musste ich warten, dann wurde das elektrifizierte Objekt der Begierde geliefert und ich durfte es »unboxen«.

Das VanMoof Electrified S2, frisch aus dem Karton (24. Juli 2019)

Ich bin eher ein »Schönwetterradler«, da ich in Hamburg als autoloser Verkehrsteilnehmer auch problemlos bei Regen, Schnee und Sturm mit dem ÖPNV an meine Ziele komme. Dennoch bin ich das Rad in den vergangenen 4 Jahren gut 2.700 km gefahren und habe in dieser Zeit genug Gelegenheit gehabt, die Vorteile und Nachteile, die es aus meiner Sicht hat, zu erkennen und zu beurteilen.

Das schicke Design gehört zweifellos zu den Vorteilen. Zu Beginn war die Marke VanMoof in Deutschland noch nicht allzu bekannt und so wurde ich mehr als einmal an der roten Ampel auf das Rad angesprochen. Ein weiteres hochgeschätztes Feature war für mich stets der sogenannte »Boost-Button« am rechten Lenkergriff. Man kann zwar den Grad der Motor-Unterstützung aus 5 Stufen wählen (0 bis 4), aber sowie man den Boost-Button gedrückt hält, schaltet der Motor für die Dauer des Knopfdrucks die volle Motorleistung dazu. Das verbraucht zwar bei häufiger Nutzung spürbar mehr Akku, aber es ist eine Freude an Steigungen, beim Start an der Ampel oder beim Überholen. Das im Oberrohr integrierte LED-Display zeigt u.a. Ladezustand, Motorstufe und Geschwindigkeit an und ist auch bei hellem Tageslicht gut ablesbar. Die breiten Reifen haben einen guten Grip, der Sattel ist auch während längerer Fahrten komfortabel und die Bedienung des Rades ist insgesamt recht intuitiv. Ein weiterer Pluspunkt ist die Möglichkeit, das Rad mit einem integrierten Bolzenschloss an der Nabe zu verriegeln und elektronisch zu entsperren. Auch der laute, fauchend-elektronische Warnton, den das Rad von sich gibt, wenn es in abgesperrtem Zustand bewegt wird, ist eindrucksvoll. Im Rad ist eine SIM-Karte eingesetzt, die es ermöglicht, es bei Verlust oder Diebstahl per GPS zu orten, die Lokalisierungsfunktion ist in die App integriert. Eine coole Idee, die mich ebenfalls überzeugte.

So mittelgut fand ich nach einiger Zeit, dass das Rad zwar zusätzlich zur Motor-Unterstützung zwei mechanische Gänge anbietet, die nicht per Schalthebel, sondern per »Automatik« gesteuert werden. Das hat oft nicht so gut geklappt. Die Gänge schalteten nicht rechtzeitig oder mit einem hörbar lauten »Ruck« und zwei Gänge fühlten sich auch nach etlichen gefahrenen Kilometern mit der Zeit etwas wenig an. Im Lieferumfang des Rades ist kein Gepäckträger enthalten, den musste ich für 59 EUR hinzukaufen. Die elektronische Klingel ist zwar ausgesprochen laut, aber der sonderbare Klingelton, der an die Glocke eines Eiswagens erinnert, klingt so wenig »nach Fahrrad«, dass Passanten das Geräusch oft gar nicht mit mir als herannahendem Radfahrer assoziierten und trotzdem weiter auf dem Radweg umherliefen. Auch hier musste ich mir eine »manuelle« Klingel hinzukaufen und montieren, mit der dies dann wesentlich besser funktionierte. Die Integration der App war im Großen und Ganzen okay, aber es gab doch häufiger mal Hänger, Verbindungsprobleme und später mit steigender Versionsnummer auch Funktionen, die mit meinem S2-Modell nicht (mehr) so gut funktionierten wie zu Beginn. Offenbar hatte VanMoof die App mit dem Erscheinen der Nachfolgemodelle Electrified S3 und X3 und wiederum deren Nachfolgemodellen zwar aktualisiert, aber dabei die Besitzer der älteren Modelle (vorsätzlich oder fahrlässig) aus dem Fokus verloren. Mehr als einmal kam ich mir »abgehängt« vor, wenn nach einem App-Update Dinge, die vorher klappten, nicht mehr (so gut) funktionierten. Das betraf insbesondere die Fahrten-Aufzeichnungsfunktion und die Einrichtung des Entsperrens des abgeschlossenen Fahrrads mit einem »Tasten-Morsecode«, was als Ausweichmöglichkeit dienen sollte, wenn die App oder das Smartphone mal nicht verfügbar sind. Alles zwar nur kleinere Wermutstropfen, aber in Summe dann doch etwas betrüblich.

Kommen wir zu den Nachteilen. Das hohe Gewicht des Rades war für mich einer davon und er hängt mit einem zweiten zusammen. Denn der Akku im Electrified S2 ist nicht zum Laden entnehmbar, das Rad muss also stets dort aufgeladen werden, wo es bei Nichtbenutzung abgestellt wird. Das führte in meinem Fall dazu, dass ich das Rad seit der Anschaffung bei mir im Wohnzimmer abgestellt habe und es somit jedes Mal durchs Treppenhaus in meine Wohnung im 1. Stock schleppen musste. Insbesondere nach Fahrten bei nassem Wetter war das zusätzlich lästig, denn die verschmutzten und feuchten Reifen wollten zuvor entweder gereinigt oder mit einer Unterlage versehen werden, um den Fußboden in der Wohnung nicht in Mitleidenschaft zu ziehen. Gut, man könnte sagen, das hätte ich mir auch vor dem Kauf überlegen können, aber unpraktisch ist es im Gebrauch dann halt doch.
Die Bremsen waren aus meiner Sicht ein weiterer Nachteil. Warum VanMoof für ein so schweres Rad, das bis zu 25 km/h schnell fahren kann, nur mechanische statt hydraulischer Handbremsen verbaut hat, ist nach einigen stärkeren Bremsmanövern verwunderlich. Auch bei der Beleuchtung stellten sich zwei Dinge als nicht wirklich gut durchdacht heraus: sie ist erstens ausschließlich per App ein- und ausschaltbar. Es gibt zwar einen »Automatik«-Modus, aber der wurde trotz einsetzender Dunkelheit bei Unwetter oder Dämmerung nicht immer zuverlässig aktiviert, so dass man unterwegs das Smartphone rauskramen und das Licht manuell einschalten musste. Und zweitens wurde beim Rücklicht leider die Sicherheit dem Design geopfert, finde ich. Das sehr hoch in der Querstange verbaute Rücklicht kann durch eine lange Winterjacke oder die Beladung auf dem Gepäckträger abgedeckt werden, weshalb ich mir am Heck-Schutzblech einen zusätzlichen roten Reflektor anbrachte.

Nach vier Jahren beschloss ich also, Ausschau nach einem neuen E-Bike zu halten, das möglichst alle Vorteile des »alten« Rades bewahrte und gleichzeitig alle Nachteile ausmerzen konnte – und das vorzugsweise zu einem bezahlbaren Preis. Gut drei Monate recherchierte ich Anfang 2023 und hatte am Ende drei Modelle in der engeren Wahl:

  • Das Smafo E-Bike von einem Hersteller, der in Paderborn gegründet wurde (1.799 – 2.099 EUR)
  • Das Smart Urban von Econic One, einem Anbieter mit Hauptsitz in Bulgarien (2.499 EUR)
  • Das LEMMO One von einem Startup aus Berlin (1.090 – 1.990 EUR)

Nach etlichen Vergleichen und der Lektüre von Testberichten entschied ich mich dann für das LEMMO One. Es hatte aus meiner Sicht die meisten Vorteile, die vor dem Kauf für mich entscheidend waren:

  • Das wirklich gelungene Design und die ansprechende Farbe
  • Das modulare Preiskonzept: Das »manuelle« Rad kostet nur 1.099 EUR, es hat zwar den Motor bereits eingebaut, ist aber ohne das optionale »SmartPac«-Modul (Akku & Elektronik) nicht als E-Bike nutzbar
  • Im SmartPac ist auch die gesamte Steuerelektronik enthalten – entnimmt man es, ist das Rad ein 3 kg leichteres »normales« Fahrrad. Man kann das SmartPac sowohl für 900 EUR kaufen als auch 12 Monate lang für 35 EUR/Mon. mieten. Sollte dann während der Mietdauer ein Defekt auftreten oder eine neue Generation des SmartPacs herausgebracht werden, kann es getauscht werden. Und falls alle Stricke reißen und die Herstellerfirma (wie schon so manches Startup) pleite geht, hat man immer noch ein herkömmliches funktionierendes Rad
  • Das SmartPac ist einfach und mit einem kräftigen Knopfdruck ohne Schlüssel entnehmbar, es kann in eingesetztem Zustand zusätzlich per App am Rahmen sicher verriegelt werden. Man kann das entnommene SmartPac zudem auch per USB-Verbindung als Ladegerät z.B. für ein Handy, Tablet oder Laptop nutzen!
  • Das »Hybrid«-Konzept des Bikes, das auch dann funktioniert, wenn man ein SmartPac erworben hat: Der Motor in der Hinterradnabe lässt sich mit einem einfachen Mechanismus auskoppeln und dann ist das Rad auch ohne Akku wie ein manuelles Rad nutzbar, ohne dass ggf. die Reibung im ungenutzten Motor es bremst
  • Das Rad hat eine 10-Gang-Shimano-Kettenschaltung
  • Hydraulische Bremsen am Vorder- und Hinterrad
  • GPS-Tracking und Ortungsfunktion – die Sensoren dafür befinden sich im SmartPac; zur Routenaufzeichnung nutzt das Bike lediglich die GPS-Positionsdaten des Smartphones, so dass dies auch auf Fahrten ohne montiertes SmartPac funktioniert
  • Das Frontlicht ist bei Bedarf entnehmbar und z.B. bei Reparaturen als »Notlicht« einsetzbar, es enthält einen Akku
  • Elektronisches Bolzenschloss mit Bewegungssensor und hellem Alarmton, diese Features funktionieren auch ohne das SmartPac, da im Rad ein zweiter kleinerer Akku für solche Betriebselektronik verbaut ist (ich vermute, es ist der Akku im Frontlicht)
  • Das Rücklicht ist tief am Gepäckträger angebracht, es hat einen Bewegungssensor und funktioniert daher auch als Bremslicht
  • Das Rad hat einen ähnlichen »Power Boost Button« am Lenker wie das VanMoof
  • Die Beleuchtung lässt sich einfach über einen Knopf am Lenker ein- und ausschalten (oder auch über die App)
  • Das LCD-Display im Oberrohr ist vielseitiger und detaillierter als beim VanMoof
  • Die Reifen haben von sich aus einen reflektierenden weißen Ring (im Gegensatz zum VanMoof)
  • »Die modularen Komponenten des LEMMO One vereinfachen die Wartung, da keine komplizierten elektrischen Teile in den Rahmen integriert wurden.« (Zitat des Herstellers)
  • »Die meisten der im LEMMO One verwendeten Teile sind Standardteile und in den meisten Werkstätten leicht erhältlich, was eine einfache Austauschbarkeit und bequeme Aufrüstung ermöglicht.« (Zitat des Herstellers)

Zum Zeitpunkt der Markteinführung des Rades im März 2023 war das Rad ausschließlich im LEMMO Headquarter in Berlin erhältlich, kurze Zeit später wurde es in Deutschland per Mailorder verfügbar. Aufgrund einer Aktion erhielt ich durch meine Registrierung für den LEMMO Newsletter 99 EUR Rabatt, zusätzlich wurden die Speditionskosten von 79 EUR erlassen und ich entschloss mich, das SmartPac in der Mietvariante zu erwerben.

Am Tag meiner Bestellung am 28. April 2023 war die Lieferfrist auf der Website mit 6 Wochen angegeben, es hätte also etwa Mitte Juni bei mir ankommen müssen. Und ungeachtet meines größtenteils positiven Fahrberichts (der noch folgt), möchte ich zuvor die größte Schwäche des Anbieters bzw. seiner verbundenen Dienstleister nicht unerwähnt lassen: die Kommunikation.

Als das Rad am 19. Juni noch nicht eingetroffen war, also gut siebeneinhalb Wochen nach Bestellung und ohne dass mich irgendeine Benachrichtigung des Anbieters erreicht hätte, schrieb ich eine E-Mail an die Adresse des Kundenservice. Nur wenige Stunden später erhielt ich einen Anruf von einer Servicemitarbeiterin, die mich informierte, dass sie versucht habe, mich einige Tage zuvor anzurufen, um mich über die Lieferverzögerung zu informieren. Ich hatte tatsächlich am 12. Juni einen verpassten Anruf von einer unbekannten Mobilnummer ohne Sprachnachricht erhalten (womöglich war es der erwähnte), aber in der Woche danach gab es weder einen erneuten Anrufversuch noch eine alternative Nachricht per Mail. Immerhin wurde mir nun am Telefon die Lieferung »bis spätestens 15. Juli« zugesagt – das wären 11 statt 6 Wochen nach meiner Bestellung.

Doch bereits am 04. Juli erhielt ich eine automatische Versandnachricht mit einer Trackingnummer für den Speditionsservice »GEL Express Logistik«, die jedoch zunächst, wie häufiger nach der ersten elektronischen Erfassung, noch nicht funktionierte. Am 06. Juli war in der Sendungsverfolgung zu erkennen, dass das Rad auf dem Weg war (»Sendung wird abgeholt«). Einen Tag später passierte die Sendung dann nacheinander zwei Logistik-Center in Werl und Kassel und traf am 10. Juli in einem vermutlich nahegelegenen »Zustelldepot« (ohne Ortsangabe) ein. Der nächste Schritt sollte laut Tracking eine »SMS-Avisierung« sein. Ich wartete. Am Abend erreichte mich folgende SMS:

Keine Anrede, keine Trackingnummer, kein Absender. Ich vermutete zwar vage, dass dies die Zustellbenachrichtigung für das Rad sein könnte, aber genauso gut könnte es SPAM sein.

Am nächsten Tag gegen 10:00 Uhr klingelte es an der Tür. Vor dem Haus stand ein Lieferwagen, aus dem der Versandkarton mit dem Rad entladen wurde. Man bat mich, mit dem Finger auf einem Tablet zu unterschreiben, was recht gut funktionierte. Fun Fact jedoch: Der »Kringel«, der auf dem elektronischen Lieferbeleg zu sehen ist, das mir danach per Download zugänglich gemacht wurde, stimmt null mit meiner geleisteten »Unterschrift« überein. Aber Name, Anschrift und die Uhrzeit der Zustellung stimmen immerhin.

Es ist schade, dass nach der Bestellung so eklatante Kommunikationsfehler auftraten. Viele Startups sind von ihrem Produkt so begeistert und so eingenommen – oft ja auch zu recht –, dass sie vergessen oder nicht begreifen, dass der Kaufprozess, die Bestellabwicklung, die »proaktive« Kommunikation ebenso ein Teil des Produktes sind wie die »Hardware«. Das muss (und sollte) auch LEMMO noch lernen, finde ich.

Und den Bericht zum »Unboxing« nach der Lieferung und zu meinen ersten beiden Fahrten verblogge ich dann in Kürze im nächsten Blogbeitrag. 🙂


Update 12. Juli 2023: Inzwischen sind von VanMoof die Modelle S4 und X4 in interessanten neuen Farben und mit neuen modernen Features, aber m.E. weiterhin mit den meisten der o.g. Nachteile, auf dem Markt. Heute nun las ich jedoch beunruhigende Berichte von einer möglichen Schieflage des Unternehmens (es ist offenbar nicht die erste) und nun bange ich ein wenig, ob und zu welchem Preis ich mein VanMoof noch gebraucht verkaufen können werde. Denn ohne eine gepflegte und funktionierende App durch den Hersteller sind viele E-Bikes gemeinhin nicht mehr oder nicht unbegrenzt lange benutzbar.

Update 13. Juli 2023: Es scheint tatsächlich so zu sein, dass das Unternehmen VanMoof ernsthaft von einer Insolvenz bedroht ist. Ladenfilialen in Amsterdam und Rotterdam wurden kurzfristig geschlossen, die Annahme von Bestellungen gestoppt und Insolvenzverwalter nach niederländischem Recht bestellt. Aktuelle Artikel dazu finden sich u.a. bei The Verge und im Portal Silicon Canals.
Via Mastodon wurde ich zudem auf die Seite VanMoof Encryption Key Exporter aufmerksam. Hier kann man per Eingabe der Login-Daten seines VanMoof-Kundenaccounts wichtige Daten des Rades exportieren (ausgenommen die neuesten Modelle S5/X5). Zitat: »The idea behind this site is, that you can import this bike data into future 3rd party apps in order to connect to your bike.«. Der Code ist Open Source bei GitHub einsehbar.

I’m still standing

Der Deutsche liebt sein Automobil. Es bietet ihm Unabhängigkeit, Freiheit und modernes Lebensgefühl. Und glücklicherweise ist die prototypische und zukunftsgerichtete deutsche Stadt auch perfekt auf das Auto zugeschnitten. Mehrspurige, breite Straßen, unzählige Ampeln, tausende Verkehrsschilder, geräumige Kreuzungen, großzügige Brücken, üppige Unterführungen, gut ausgebaute Tunnel und ausgedehnte Stadtautobahnen machen aus Deutschlands Städten und Metropolen pulsierende Zentren urbaner automobiler Kultur. Reichlich verfügbarer gebührenpflichtiger sowie kostenloser Parkraum rundet das Angebot für Pkw-Nutzer ab – und wem das nicht reicht, der kann erfinderisch werden, denn für den findigen Automobilisten bieten sich darüber hinaus Dutzende weiterer Gelegenheiten auf Gehwegen, Radstreifen, in Einfahrten, Feuerwehrzufahrten und Ladezonen, um den geliebten Pkw abzustellen.

Diese Möglichkeiten zum Abstellen des Autos sind in unseren dicht besiedelten Städten essenziell. Denn ein Pkw steht pro Tag im Schnitt 23 von 24 Stunden ungenutzt herum. Genau dieses Missverhältnis aber bereitet vielen Menschen, die auf ein Auto angewiesen sind, in Zeiten steigender Preise und grassierender Inflation große Sorgen. Sie müssen Kredite für die Anschaffung des Wagens aufnehmen oder hohe Leasingraten bezahlen. Die Kaufpreise für Neu- und Gebrauchtwagen steigen kontinuierlich. Kostete etwa ein VW Golf I im Jahr 1974 noch rund 8.000,– DM, werden inzwischen für einen Golf VIII schon fast 30.000,– € fällig. Doch nicht alles an diesem Preisanstieg kann der reinen Teuerung angelastet werden, denn die Fahrzeuge wurden auch über alle Klassen hinweg seit Jahrzehnten immer größer, leistungsstärker, komfortabler und sicherer: bessere Motoren, hochwertigere Ausstattung, komplexe Elektronik und Produktionsqualität »made in Germany« haben eben ihren Preis. Dazu kommen noch die Betriebskosten – sei es für Wartung und Reparatur, Spritkosten, Versicherung, Mitgliedschaft im Automobilclub, Reifenwechsel oder Zubehörteile.

Davon sind inzwischen zahlreiche Menschen überfordert. Sie sehen es weder ein noch können sie es finanziell stemmen, sich ein kraftvoll motorisiertes, fahrbereites, zeitgemäßes und sicheres Fahrzeug anzuschaffen, nur um es dann den Großteil des Tages am Straßenrand oder in der Garage herumstehen zu lassen. Doch nun verspricht ein großer deutscher Autokonzern Abhilfe. Gemeinsam mit Markt- und Trendforschern, Designern, Ingenieuren und Technikern wurde jetzt ein innovatives, zukunftsweisendes Konzept entwickelt, das großes Einsparpotenzial für alle Autofreunde birgt, die mit dem Kosten-Nutzen-Verhältnis bisheriger Pkw hadern oder an der Finanzierung zu knabbern haben: Das »Nownomobil« kommt!

Was ist das? Nun, es ist ein modern und komfortabel ausgestattetes Auto normaler Pkw-Größe, bei dem konsequent auf alle technischen Komponenten verzichtet wurde, die es während der statistisch zu erwartenden Standzeit auf seiner zugewiesenen Parkfläche schlicht nicht benötigt. Bei einem Nownomobil stellen sich beispielsweise von Anfang an nicht die Fragen »Diesel oder Benziner?«, »Verbrenner, Hybrid oder Elektro?«, denn es besitzt weder Motor, Tank oder Getriebe noch Räder, Reifen oder einen Airbag. Im Innenraum konnte durch den Verzicht auf Lenkrad, Rückspiegel und Armaturenbrett ein angenehm geräumiges und komfortables Ambiente geschaffen werden. Bei der Innenausstattung wurde an nichts gespart: je nach Ausstattung sind bequeme und ergonomische Sitze für zwei bis sechs Passagiere, wahlweise bezogen mit weichem Leder oder pflegeleichtem Stoff, erhältlich. Die leistungsfähige Klimatisierung sorgt auch beim Stand während heißer Sommer für angenehme Temperaturen und an kalten Wintertagen für wohlige Wärme. Alle Seitenfenster sind motorgesteuert versenkbar, so dass auch ein frischer Luftzug jederzeit hereinströmen darf. An trüben Tagen oder nachts kann eine angenehme indirekte Beleuchtung aktiviert werden, es gibt lichtstarke, auf die Sitzplätze fokussierte LED-Leseleuchten und das moderne Multimedia-Entertainmentsystem bietet allen Insassen einen Audio- und Videogenuss der Spitzenklasse – denn da der Wagen ohnehin steht und es auch keinen klassischen »Fahrer« gibt, können alle bedenkenlos jederzeit aufs Display schauen! Die Stromversorgung des Nownomobil wird entweder durch einen tragbaren Akku in einem leicht zu entnehmenden Gehäuse oder, in der heimischen Garage, durch einen Kabelanschluss an eine haushaltsübliche Schukosteckdose gewährleistet. Im geräumigen Kofferraum ist genug Platz für Proviant, Spiele und anderes Gepäck und im optional temperierbaren Handschuhfach lassen sich etliche kleinere Gegenstände für den spontanen Bedarf verstauen.

Auch von außen kann sich das Nownomobil sehen lassen: die stromlinienförmige Formgebung und die großflächigen Panoramafenster vermitteln Eleganz, Hochwertigkeit und Prestige. So muss sich der abgestellte elegante Schlitten nicht im geringsten neben seinen daneben geparkten rollenden Konkurrenten verstecken. In der Palette von insgesamt elf erhältlichen Lackierungen, davon sieben geschmackvolle Basistöne und vier trendstarke Effektfarben, ist für jeden Autofreund von Klassik bis Avantgarde etwas dabei.

Das beste ist jedoch der Preis: Durch den konsequenten Verzicht auf alle sonst für »Mobilität« verschwendeten Komponenten beginnt der UVP für das Nownomobil bereits bei sagenhaften 6.500,– EUR. Die Luxusvariante mit extra Kofferraumvolumen und motorisch bedienbarem Sonnendach schlägt mit knapp 11.000,– EUR zu Buche. Der Hersteller verspricht sich von seinem Vorstoß in diese Marktlücke einen echten Erfolg bei kostenbewussten Autokunden. Auf Wunsch kann der geplante Stellplatz für das Nownomobil bereits bei der Bestellung angegeben werden und bei Auslieferung erfolgen dann Transport und Abladung direkt bis zur gewünschten Parkfläche. In wenigen Tagen soll bundesweit ein Werbespot auf allen medialen Kanälen die Aufmerksamkeit potenzieller Käufer wecken. Als Kampagnen-Soundtrack fungiert ein Klassiker im neuen Gewand: »I’m still standing«, 1983 geschrieben von Elton John und nun eigens als zeitgemäße Cover-Aufnahme komplett neu produziert und stimmgewaltig ins Jahr 2023 katapultiert von Sarah Connor.

Die ersten 3.000 Käufer erhalten im Rahmen einer Marketingaktion zur Einführung des wegweisenden neuen Produkts für 24 Monate ein »Deutschlandticket« gratis.

Denn eine Stunde am Tag will man ja schließlich ab und zu doch mal irgendwohin.

Das futuristische Design des Nownomobils lässt das Herz jedes Autoliebhabers höher schlagen.
Vielen Dank an den K.I.-Bildgenerator »Midjourney« für die Visualisierungsmöglichkeit.
Idee und Bild: formschub.de