Press(e)freiheit

Als Grafik-Designer bin ich ein visueller Mensch. Und deshalb tut es mir in den Augen weh, wenn Fernseh- und Videomacher ohne Rücksicht auf Ästhetik einzelne Szenen ungeachtet ihres Bildschirmformats 16:9 oder 4:3 beliebig pressen, stauchen oder dehnen, anschließend völlig unbekümmert zusammenmontieren und senden. So z.B. geschehen in den Tagesthemen am gestrigen Abend – aber es geschieht auch anderswo. Immer wieder, Tag für Tag, vielleicht gerade jetzt. Das Schreien der Bilder ist förmlich zu hören. MERKT DENN DAS KEINER???

Tagesthemen quetsch
© Standbild: © Das Erste / Tagesthemen

Modenschau

File under: Vermischtes

Ich kann keine Ed Hardy T-Shirts mehr sehen.

Hairstylisten dieses Landes: lasst Euch mal wieder was anderes einfallen als diese bewusst bettig schräg nach vorne gewuschelten Hauptstadtfrisuren mit Ponygardine.

Ich ersehne den Tag, an dem Lippen-, Zungen- und Augenbrauenpiercings gleichzeitig auf der Out-Liste von Bravo, Brigitte und Bild-Zeitung auftauchen.

Es bleib ein Mysterium der modernen Verhaltensforschung, warum Heerscharen von Frauen allen Alters sich potthässliche, aber sauteure Klotzhandtaschen mit einem Dekor wie Muttis Sechziger-Jahre-Schrankpapier umhängen.

Bitte, bitte, lieber Gott: verbanne Bundfaltenhosen endlich in ein weit, weit entferntes Paralleluniversum.

Wer erklärt mir das Vorgehen von Frauen, die sich komplett die Augenbrauen rausreißen, um sie sich anschließend anatomisch völlig deplaziert wieder aufzumalen? Und warum arbeiten die immer bei Discountmärkten an der Kasse?

Leute beiderlei Geschlechts, die sich notorisch zu kurze Hosen kaufen, sollten von der Krankenkasse eine Beinverkürzung erstattet bekommen.

Noch jemand da draußen, der das Wort »angesagt« für genauso sinnlos und überflüssig hält wie ich?

Ich hoffe, dass Forscher bald das verantwortliche Gen für ein natürliches Eleganz- und Stilgefühl entdecken und einen Weg finden, es in Deutschland für eine flächendeckende Therapie übers Trinkwasser zu verbreiten.

Warte, warte nur ein Weilchen …

Nein, hier gibt es keine iPhones umsonst. Das ist auch kein Touristenstau vor der Airport-Sicherheitsschleuse mit Flugziel USA. Und erst recht kein nostalgischer Schnappschuss vom Einkaufsalltag im DDR-Konsum. Sondern eine ganz normale Hamburger Postfiliale heute mittag um kurz nach eins. Und der gelbe Kreis markiert was? Richtig: den einzigen geöffneten Schalter. Erst nach einer Viertelstunde wurden weitere geöffnet, vermutlich, um gewalttätigen Übergriffen des zürnenden Mobs vorzubeugen. Und nach weiteren lächerlichen 15 Minuten war ich dann auch schon dran. Argh.

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Heute: Medienkritik

ca. 22:35 – Anchorman Tom Buhrow benutzt in der Anmoderation zu einem Tagesthemen-Beitrag über das Berliner Hotel Adlon betont augenzwinkernd den Begriff »schnieke« und läßt mich ob dieses Ausbruchs rhetorischer Verwegenheit wehmütig an die Zeit mit Ulrich Wickert zurückdenken. Diese duften Zeiten sind leider vorbei.

ca. 22:45 – »Jugendliche Gewalttäter« lautet das Thema in »Menschen bei Maischberger«. Frau Maischberger ist leider aus aktuellem Anlass (Entbindung) persönlich nicht anwesend. Als Schwangerschaftsvertretung fungiert stattdessen Talk-Urgestein Erich Böhme, der allerdings schon nach wenigen Äußerungen zum Thema auf mich so sachfern und weltfremd wirkt wie Mutter Beimer als Moderatorin einer Talkrunde über das Internet.

ca. 0:00 – Nachtmagazin mit Gabi Bauer. Kann mich nicht auf die Nachrichtenmeldungen konzentrieren, weil ich angesichts ihrer an den Schultern sperrig abstehenden Lederweste dauernd denke: Sag doch der Gabi mal einer, wie man sich fürs Fernsehen richtig anzieht.

ca. 0:15 – Aus.

An ocean of emotion. Live.

Weil ich heute nach der Tagesschau aus Unkenntnis über den weiteren Programmverlauf nicht schnell genug aus dem Ersten wegzappte, landete ich ahnungslos in der großen Anti-Leukämie-Charity-Show »José Carreras Gala 2006«. Vorab sei gesagt: Wohlwollen und Zuspruch, und je nach Finanz- und Sachlage auch gern eine Spende, bin ich jeder seriösen Initiative zur Minderung von Elend, Krankheit und Not bereit, entgegenzubringen. Doch die klebrig-süße Kitschtsunami, die bereits mit den ersten Takten des begleitenden Bühnenzaubers mein Wohnzimmer flutete, ertränkte augenblicklich jegliche altruistische Regung.

Im Zentrum des wohltätigen Entertainmentstrudels: gnadenlos off-synchrones Vollplayback angesagter bis betagter Showgrößen. Begleitende Havarie auf der Nebenbühne: Gruppenausdruckstanz in Paillettencatsuits. Untermalt waren die musikalischen Episoden des Spektakels wechselnd mit kalkuliert aufwallendem Orchestergetöse oder uninspirierten Benefizpopmelodien, die dem Wort »Mit-Leid« für mich als Zuschauer einen ganz neuen Sinngehalt gaben. Ach ja, Liedtexte gab es auch noch. Assoziationen herzchenverzierter Poesiealbumseiten mit Glitzer-Lackbildchen zogen angesichts der geballten Aufmunterungs- und Betroffenheitslyrik an meinem geistigen Auge vorbei.

Sorry, Leute, aber ihr müsst jetzt ganz doll tapfer sein: für mich ist das Plastikrührung, synthetischer Gefühlskleister, primetimetauglich grellbunt garniert und weit abseits von Authentizität und echter Anteilnahme. Immerhin – wenigstens die eingespielten Filmbeiträge brachten es hinreichend ungesüßt fertig, zu vermitteln, wie grausam Leukämie für jeden einzelnen Betroffenen ist.
Aber Fernsehen manchmal auch.

Fernsehen in Nahkose

Wie rasant sich die Technik beim Fernsehen weiterentwickelt hat, wird am ehesten sichtbar, wenn Jahre oder Jahrzehnte alte Werbespot-Klassiker, Tagesschauschnipsel mit Karl-Heinz Köpcke, Triumphmomente vergangener Sportmeisterschaften oder geschichtsträchtige (Talk)showhäppchen in Wiederholung über den Bildschirm flimmern. Körnige, verwaschene Szenen und muffiger Ton malträtieren Auge und Ohr und machen bewußt, dass dies einmal der ganz gewöhnliche Medienalltag war. Gottseidank ist das inzwischen – mit hochauflösenden Kameras, digitaler Sendetechnik und erschwinglichen High-Tech-Fernsehern – anders. Klarer. Schärfer. Bunter. Man ist einfach »näher dran«. Manchmal aber auch ein Ideechen zu nah.

Speziell bei Interviewszenen mit Sportlern, Promis und Politikern packt mich in letzter Zeit der Reflex, mich weiter weg zu setzen, wenn es denn ginge, weil mir die gesendete Nähe regelrecht auf den Pelz rückt. »Dichter!« befiehlt die Regie bei Sabine C., Günther J. und Co. – und die Kamera gehorcht und umspielt gnadenlos jedes Detail im Gesicht der geladenen Gäste. Ein bei der Rasur vergessenes Barthaar des Fraktionsvorsitzenden – glasklar. Ein winziger Speiserest zwischen den Zähnen des Unternehmensvorstands – gestochen scharf. Die zart verschmierte Wimperntusche am Lid der Presseprecherin – erbarmungslos sichtbar. Speichelfäden beim Sprechen, rinnende Schweißtropfen, Hautrötungen, Schuppen, Falten, Pickel, Poren, Nasenhaare. Alles wird bildschirmfüllend gesendet. Kontrast 10.000:1, High Definition, Millionen von Farben. Zwischenzeitlich verrät nur die Stimme, wer gerade spricht; erst, wenn sich der Bildausschnitt weitet, werden dermatologische Strukturen wieder zu bekannten Gesichtern. Hinter den fesselnden mikroskopischen Details tritt schon mal der Inhalt der Rede zurück, was aber – je nach Redner – den Informationsgehalt der Szene nicht zwangsläufig mindert. Aus Fernsehen wird Nahsehen.

Ich selbst habe noch keinen 40-Zoll LCD- oder Plasma-TV. Aber, liebe Fernsehhersteller, eine Idee: Wie wär’s mit einem schicken Retro-Feature namens »Makro-Mercy« oder »Zoom-Escape«, das auf Knopfdruck die Bildqualität sofort um 30 Jahre zurückschaltet? Denn die Gnade der niedrigen Auflösung kann manchmal ein echter Fortschritt sein.

Fernsehmakro

Bäckerlatein

Mittagspause im Büro. Jetzt ein kleiner Snack! Schön, wenn das lokale Umfeld der Arbeitsstätte geschmackliche Abwechslung auf dem Speiseplan zulässt. Aus Praxen, Kanzleien und Agenturen strömt das Officevolk, um sich mit Salaten, Süppchen, Wraps, Burgern und ähnlichen Imbissen für das weitere Tagewerk zu stärken. So auch ich. In der Auslage einer Bäckerkettenfiliale lockt appetitlich belegtes Backwerk. Warum nicht? denke ich und reihe mich ein in die vor dem Tresen wartenden Kunden. Als ich auf den Vitrinenschildern die Namen der angebotenen Snacks lese, bekomme ich Hitzewallungen.

Ich erinnere mich an auffällige kleine Schwarzweißanzeigen, die mir früher in preiswerteren Fernsehzeitungen wie z.B. Funk Uhr oder TV Hören und Sehen aufgefallen waren. Sie bewarben Mittel gegen Potenzprobleme, Durchfall, Inkontinenz und andere heikle Indispositionen. Mit einem besonderen Service für den bedürftigen Leser: einem kleinen Couponabschnitt, auf dem der Name des Therapeutikums stand. Das erspart in der Apotheke peinliche Wortwechsel und ermöglicht einen diskreten und zügigen Kauf. Ich bin dankbar, dass ich solcher Coupons niemals bedurfte, doch jetzt wäre mir eine ähnliche Einkaufshilfe willkommen. Scharfer Segler. Bäckwich Hawaii. Wikinger Pute. Die Schlange wird kürzer. Gleich bin ich an der Reihe. Gibt es denn nichts ohne albernen Namen? Auch unbelegtes Gebäck und Kuchen bieten keinen Ausweg: Zimt-Wuppi. Goldkrüstchen. Rübli. Röggli. Kornbatzen. »Ich hätte gern einen Apfeltraum?« Niemals. Bestimmt sind an den Regalen versteckte Mikrofone und Kameras. Die lachen sich tot da hinten. Jetzt bin ich dran. Ich deute mit dem Finger in die Vitrine. Ich will das nicht sagen – dann lieber als Analphabet oder Brillenvergesser dastehen: »So eins, bitte.« Klappt. Einpacken, zahlen und raus. Bäck to reality.

Ich glaube, ich geh jetzt zur Entspannung noch was Ehrliches kaufen. Irgendwas, was einfach nach sich selbst benannt ist. Holzschrauben oder Briefumschläge oder so.