Kategorie: Haar in der Suppe

Alles, was schlechte Laune macht

Relativitätstheorie

Gestern wanderte ein Link durchs Netz, dessen Content mich – gelinde gesagt – etwas befremdete. Ein Videoclip, in dem erwachsene Menschen Kindern erzählen, sie hätten sich deren komplette Ausbeute an gesammelten Halloweensüßigkeiten einverleibt, worauf nahezu alle der beraubten Opfer in Tränen ausbrechen. Witzig? Nicht im geringsten.

Erwachsene fies verarschen ist schon ächtenswert genug, aber bei Kindern wiegt eine solche Perfidie ungleich schwerer. Ich glaube nämlich, dass es so etwas wie relatives Erfahrungsempfinden gibt. Ob diese Theorie schon existiert, habe ich nicht gegoogelt, darauf gekommen bin ich durch den oft gehörten Satz Erwachsener »die Zeit vergeht im Alter auch immer schneller«. Tut sie natürlich, absolut betrachtet, keineswegs. Aber in Relation zum bereits gelebten Leben sehr wohl.

Für ein Kind im Alter von sieben Jahren sind sechs Wochen Sommerferien eine scheinbare Ewigkeit. Was auch einleuchtet, wenn man diesen Zeitraum in Relation setzt zur bereits gelebten Lebenszeit: sieben Jahre (minus drei Jahre, da sich Kinder nach heutigem Kenntnisstand erst ab etwa diesem Alter bewusst an Ereignisse erinnern können) sind 208 Wochen. Sechs Wochen von 208 Wochen sind fast drei Prozent, d.h. das Kind empfindet die Dauer der Ferien als einen Zeitraum, der drei Prozent seines bisher erinnerten Lebens ausmacht. Ein Erwachsener von 20 Jahren (wieder minus drei) müsste für dieselbe Empfindung rund 186 Tage = 26 Wochen Ferien machen. Und deshalb kämen ihm mit steigendem Alter die sechs Wochen zunehmend kürzer vor.

Wenn man diese Theorie auf die Erfahrungen überträgt, die Kinder mit anderen Menschen machen, dann nimmt eine einzelne (wirklich gemeine) Verarschung unter den ansonsten positiven sozialen Erlebnissen ebenfalls einen viel größeren Anteil der Erinnerung ein und prägt das Kind somit viel stärker als einen Erwachsenen. Sicher ist ein solches Erlebnis immer unangenehm, doch wenn es bei Einzelfällen bleibt, können die meisten »Großen« einigermaßen damit umgehen. Aber das Weltbild von Kindern für ein paar YouTube-Lacher zu deformieren (und ich werde den Teufel tun, das hier zu verlinken), das ist schon ziemlich arm. Auch dann, wenn meine Theorie falsch ist.

Traurig
Drawing: © Derek Mueller | Some rights reserved

Aluminimum

Als ich gestern in der Mittagspause in einem Bistro einen ausliegenden STERN durchblätterte, las ich dort eine Information – so sie denn korrekt berechnet ist –, die mich entsetzte. Online fand ich nur einen Link zu identischen Mengenangaben auf der Website des Magazins capital, und so gab ich die Information mit dieser Quellennotiz als den obenstehenden Tweet weiter. Und offensichtlich überraschte die Rechnung noch weitere, denn binnen 24 Stunden wurde sie über 100× retweetet und lebhaft diskutiert. Einige (z.B. @matthiasjax) brachten ein, es würde ja auch eine Menge dieses Abfalls recycled, die Schätzungen lagen zwischen 20 und 80%. Auch das Argument, in Privathaushalten würde viel mehr Energie durch Elektrogeräte im Standby-Betrieb verschwendet als für die Aluminiumkapselproduktion, kam zur Sprache.

Ich möchte keiner dieser Entgegnungen widersprechen. Ich habe auch bewusst die Kapselfirma nicht benannt. Und ich bin selbst beileibe kein Umweltschutzheld. Ich wollte mit dieser Information niemanden anprangern. Sondern nur zum Nachdenken anregen, weil ich das Gefühl habe, das könnten wir alle viel öfter tun.

Aluminium ist zwar das dritthäufigste Element der Erdkruste, liegt aber nie in reiner Form vor. Bauxit, das wichtigste Erz zur Aluminiumherstellung, wird unter immensem Landschaftsverbrauch sowie mannigfachen negativen Umweltwirkungen (u. a. schwermetallhaltiger Rotschlamm, Fluoride) abgebaut und mit großem Energieaufwand über die Zwischenstufen Bauxit, Tonerde, kalzinierte Tonerde und Alugussbarren zu Aluminium verarbeitet. (…) Der Einsatz von (…) Aluminium ist daher nur für langlebige Gebrauchsgüter, die von den typischen Eigenschaften dieses Materials profitieren, empfehlenswert.

(Quelle: »Auch das Äußere zählt«, Infobroschüre der Berliner Stadtreinigungsbetriebe BSR, Mai 2008)

Rund 1,13 Gramm Aluminium fallen pro Kapsel laut Naturschutzbund (Nabu) an (Quelle: ZEIT Online), eine Kapsel enthält 5 Gramm gemahlenen Kaffee. Pro Kilo Kaffee ergibt das einen Aluminiumbedarf von 226 Gramm. Ein halbes Pfund Aluminium, das mit Gütertransporten unterwegs ist und entsprechend mehr Transportenergie benötigt, eine Verpackung, die mehr Volumen beansprucht als dieselbe Menge gemahlener Kaffee in einer einzelnen (Vakuum-)Verpackung. Und selbst wenn im Idealfall 80% der 6.000 Tonnen Aluminium recycled würden, wanderten immer noch 1.200 Tonnen davon in den Müll.

Das Argument mit dem viel höheren Energieverbrauch der heimischen Standby-Geräte stimmt, selbstverständlich, aber es taugt nicht zur Gegenüberstellung. Natürlich wird dort eine Unmenge Energie verschwendet, aber eben zusätzlich. Ein bisschen erinnert mich der Einwand an die Online-Dispute nach dem Tode Steve Jobs’ à la »Wie kann man über den Tod eines Menschen so trauern, während überall Tausende Menschen weltweit verhungern.« Es geht nicht um entweder/oder, sondern um sowohl/als auch.

Ja, ich besitze ein Auto. Aber weil ich alleine in einer großen Stadt lebe und es nur mäßig nutze, ist es ein leichter, kompakter Kleinwagen, der kaum mehr als 5–6 l Benzin verbraucht. Im Sommer fahre ich, so oft es geht, mit dem Fahrrad. Ich bin begeisterter Nutzer des papierlosen Handyticket-Dienstes für den ÖPNV in Hamburg. Für Strecken über 50 km mit normalem Gepäck nutze ich fast ausschließlich die Bahn. Ja, ich trinke argentinische Weine, (Bohnen-)kaffee aus Mexiko und kaufe frische Ananas. Aber ich muss nicht im September Spargel essen oder Erdbeeren im Dezember. Ich sammle Altglas und Altpapier, aber manchmal fliege ich für eine Woche in den Urlaub. Ich brühe meinen Kaffee mit der quasi müllfreien French Press oder dem Espressokocher, besitze aber ein Smartphone, das fast jeden Tag aufgeladen werden will. Im Wohnzimmer leuchtet gemütlich ein (dauerhaft gedimmter) Deckenfluter, dafür sind in der Küche und im Schlafzimmer Energiesparlampen eingeschraubt. Meine Wasserhähne mit häufig genutztem fließendem Wasser sind mit einem Sparventil versehen, trotzdem nehme ich im Winter gern einmal ein heißes Wannenbad. Mein Radiowecker ist 28 Jahre alt, mein zeitloser schwarzer Kleiderschrank und mein schlichtes Wohnzimmerregal fast ebenso; letztes Jahr habe ich mir zum dritten Mal ein MacBook gekauft.

Was ich damit sagen will, ist: ich halte Widersprüchlichkeit nicht für einen Frevel, solange sie von Nachdenken durchsetzt ist. Blinde Bequemlichkeit oder sogar eine »Mir-doch-egal«-Haltung hingegen stoßen mich ab. Ich zumindest möchte nachdenken, mein Umweltverhalten verbessern, und auch gern auf einiges – aber eben nicht auf alles – verzichten. Grabenkriege bringen uns nicht weiter.

Nölplattformen

Bewertungen im Internet sind eine tolle Sache. Endlich haben Verbraucher eine Stimme! Fast ungefiltert und in Echtzeit kann jeder mit Internetzugang mittels Mundpropaganda (nicht zu verwechseln mit Mund-zu-Mund-Beatmung!) Produkte und Dienstleistungen empfehlen oder verteufeln. Davon profitieren alle! Die Suchenden werden sowohl mit Tipps und guten Erfahrungen auf die richtige Fährte gesetzt als auch durch Warnungen und fundierte Kritik vor Enttäuschungen gewarnt.

Wenn’s denn so wäre. Denn immer wieder finden sich in den Userkommentaren zu Firmen, Produkten oder Dienstleistungen vereinzelt Einträge, die in mir eine der Urfragen der Menschheit neu aufwerfen: Woher kommt der Mensch? Was will er von mir? Und warum schreibt er sowas?

Ich habe selbst schon beste Erfahrungen mit Qype-Rezensionen gemacht (Update: Qype wurde nach einiger Zeit assimiliert vom Konkurrenzportal Yelp). Und ich amüsiere mich über Spaßrezensionen wie beim schon legendären Amazon-Allmachtstaschenmesser. Aber jenseits dessen beginnt die Twilight Zone der Nutzerbewertungen, in der Menschen u.a. mit der Fähigkeit leben, Dinge zu bewerten, die sie gar nicht richtig genutzt haben. Die Bewertungen verfassen, die mit dem getesteten Ding oder seiner bestimmungsgemäßen Nutzung rein gar nichts zu tun haben.

Drei Beispiele. Suche ich z.B. bei Qype nach Bewertungen für Restaurants, die ich selbst oft und gerne besuche, stoße ich u.a. auf Folgendes:

»Wir haben hier nicht übernachtet und auch nicht wirklich richtig gegessen, eigentlich kann ich recht wenig sagen.«
– Bewertung: ★★★✩✩
User kitchenhero zum Mövenpick Hotel Hamburg Sternschanze

»Ich nehme mir Gänsebraten (frühmorgens!), Salzkartoffeln und Rotkohl, schliesslich ist (bald) Weihnachten. Später noch einmal Nachschlag, das ist erlaubt. Noch den ganzen Tag werde ich später daran erinnert, dass derartige Gerichte mit viel Fett (Gänseschmalz) zubereitet werden. Nach einem guten Gänsebraten muss man den ganzen Tag aufstoßen vom vielen Fett und das hat immer so einen öldichten Nachgeschmack.«
– Bewertung: ★★✩✩✩
User Thomas Go… zum Brauhaus Rixdorf, Berlin (inzwischen geschlossen)

»Ich mag es nicht, wenn in einem Restaurant grundsätzlich alle Tische vorreserviert sind.«
– Bewertung: ★✩✩✩✩
User annshee zur Trattoria Libau, Berlin (noch ohne Website)

Da könnte man sich schon fast einen Spaß draus machen, sich einige kausal ähnlich gelagerte Bewertungszitate auszudenken – etwa für Amazon-Produkte – und die Leser raten zu lassen, ob auch echte dabei sind oder nicht …

  1. »Ein Vorteil hat das Gerät, es ist Robust, als ich es vor kurzem vor Wut gegen die Wand gepfeffert habe ist nix kaputt gegangen.«
  2. »Leider konnte ich das eingeschweißte Produkt nicht öffnen, da ich eine Zellophanallergie habe.«
  3. »Das Buch hat sehr viele Seiten und wird leider nicht durch Bilder aufgelockert, damit sich die Augen mal etwas ausruhen können.«
  4. »Das Produkt ist genauso nutzvoll wie Scheiße unterm Schuh. Mehr braucht man dazu nicht mehr sagen …«
  5. »Ich hasse Rezensionen, die gemacht werden, bevor ein Spiel auf den Markt ist. Um so paradoxer ist es, dass ich gerade eben dies gerade tue.«
  6. »Leider kann ich mich den meisten anderen Rezessionen nicht anschließen.«
  7. »Der Schreibstil dieses Buches ist sehr primitiv. Alle Sätze sind sehr kurz gefasst. Nicht empfehlenswert.«
  8. »Meine Nachbarn haben die DVD gekauft und ich muss sagen, die Bässe bei den Explosionen sind viel zu laut eingestellt.«
  9. »Ich konnte zu keiner der in der Handlung vorkommenden Personen eine Beziehung aufbauen.«
  10. »Der Postbote, der das Paket brachte war sehr ungepflegt und hatte mundgeruch.«
  11. »Ich habe die DVD nicht angesehn, werde sie mir auch nicht kaufen, aber möchte trotzdem eine gutgemeinte Warnung aussprechen: Finger weg.«
  12. »Das Cover ist ansprechend, der Klappentext auch. Der Rest, naja.«

(Auflösung: die Zitate 2, 3, 8 und 10 sind frei erfunden.)

Facepalm_Skulptur
Photo: © cesarastudillo | Some rights reserved

Innen toll, außen oll

Über mein Faible für schöne und hochwertige (Lebensmittel-)Verpackungen habe ich schon den einen oder anderen Blogbeitrag verfasst. Um so mehr ärgert es mich, wenn Hersteller solcher Produkte den Lapsus begehen, für ihre Verpackungen Designer zu engagieren, die zwar originelle Ideen, aber kein typographisches Feingefühl haben.

Gleich zwei Edelspirituosen aus dem wunderbaren Delikatessenladen mutterland in der Nähe des Hamburger Hauptbahnhofs sprangen mir diesbezüglich besonders ins Auge. Der bayerische (!) Gin »The Duke« z.B., ein unglaublich dichtes, aromatisches Wacholderdestillat mit Anklängen an Lavendel und Zitrusfrüchte, viel zu schade, um damit Longdrinks zu mixen, reißt in der Unterzeile »Munich Dry« auf seinem Etikett die schwungvollen Buchstaben der gewählten Schreibschrift »Bickham Script« brutal auseinander. Das tut weh.

Typolapsus_01

Nicht minder schmerzt es die Gestalterseele, was die Feinbrennerei Simon’s – nicht nur auf dem Etikett ihres delikaten alten Apfelbrands »Wolfsschluchtwasser« – mit dem eigenen Firmennamen veranstaltet. Dass sich Unternehmen entschließen, ihrem Namen ein Apostroph vor einem Genitiv-s zu spendieren (wie bei Kaiser’s Supermärkten oder Joey’s Pizza Service) sei ihnen unbenommen. Aber dass dieses Satzzeichen in der wunderschönen Handschrift »Cezanne« dann auch noch falsch gesetzt als französischer Accent Grave und ohne jeden feintypographischen Ausgleich zentimeterweit entfernt vom dazugehörigen Wort in der Luft hängt, ist für mich ein gestalterisches Armutszeugnis.

Typolapsus_02

Wäre ich als Grafik-Designer auf der Suche nach einem Präsent für Freunde oder Bekannte, die im gleichen beruflichen Umfeld arbeiten, wären solche Fehlgriffe für mich ein Grund, ein anderes Produkt zu verschenken – da mag der Inhalt noch so sehr schmecken.

Falls unter den werten Lesern jemand noch andere Beispiele zur Hand hat, die solche Designschlaglöcher auf hochwertig verpackten Produkten enthüllen, freue ich mich auf jeden Hinweis in den Kommentaren. Bilddateien bitte nur beifügen, falls Ihr die Rechte an den Fotos besitzt, ansonsten bevorzuge ich Links zu den Quellen.

Fotos oben: © formschub

Alles Wurst?

Egal, ob sympathisch oder nicht, egal, welche Partei involviert ist, egal, was die Umfragen sagen, egal, ob das Thema inzwischen allen schon zum Hals raushängt, egal, ob einige Medien parteiisch sind, egal, ob nun alle Fakten auf dem Tisch liegen, egal, ob Umfragen »repräsentativ« sind, egal, ob es tatsächlich einen Ghostwriter gibt, egal, ob noch mehr unbelegte Zitatfetzen gefunden werden …
Aber dass so viele insgesamt dazu sagen »ist doch egal« – sollte das auch egal sein?
Mir ist es das nicht.

Guttidella
Original image: © fihu | Some rights reserved
Schablone: www.netzpolitik.org | Fotomontage: © formschub

Humbug im Glas

Würde man mich beim Einkaufen beobachten, könnte man oft meinen, ich hätte zu Hause keine Bücher. Denn nicht selten stehe ich bei der Auswahl von Industrielebensmitteln wie Fruchtjoghurt, Fleischsalat, Grünkohl, Frischkäse oder Ketchup minutenlang vor den Regalen und lese mir die aufgedruckten Zutatenlisten sorgfältig durch. Dabei geht es keineswegs um Allergien oder Angst vor chemischen Zusatzstoffen, nein, mich motiviert zweierlei: zum Einen möchte ich als engagierter Hobbykoch gerne wissen, was ich kaufe, bevor ich es kaufe, zum anderen weigere ich mich, Lebensmittel zu kaufen, die mir ihre Hochwertigkeit nur vortäuschen, tatsächlich jedoch zwecks Gewinnmaximierung aus minderwertigen Zutaten zusammengerührt, mit Verdickungsmitteln gestreckt und anschließend mit Aromen – egal welcher Art – wieder einigermaßen auf Geschmack getrimmt werden.

So kommt mir zum Beispiel keine Schlagsahne ins Körbchen, die den Zusatzstoff Carrageen enthält. Er beeinträchtigt den Geschmack der Sahne zwar nur minimal – sie bekommt dadurch eine Nuance, die an Kondensmilch erinnert –, soll aber das »Aufrahmen« verhindern, also das Absetzen des fettreichen, festen Rahms (ähnlich der käuflichen Crème Double) auf der dünneren Sahneflüssigkeit. Doch wozu? Wer die aufgerahmte Sahne wieder in den Urzustand versetzen will, schüttelt den geschlossenen Becher kurz und heftig durch. Wer seine Suppe oder Sauce verfeinern will, kann ebenso gut Rahm und Sahnemolke getrennt in den Kochtopf geben, bei normaler Kochhitze fügt sich beides bald wieder schmelzend zusammen. Und wer ganz hemmungslos ist, kann den abgesetzten Rahm auch beim Frühstück als Butterersatz aufs Brötchen betten und mit Konfitüre oder Nutella zu einer ganz besonderen süßen Versuchung veredeln. Carrageen, Du kannst nach Hause gehn!

Ein anderes abschreckendes Beispiel für den sinn- und geschmacklosen Humbug der Lebensmittelindustrie ist »Pesto alla Genovese«. Selbst zubereitet, benötigt man für diese kalt zubereitete Nudelsauce nur wenige, aber feine Zutaten, die mit Reibe und Mörser oder Pürierstab zu einer der köstlichsten Pastabeigaben der italienischen Küche verquickt werden: gutes Olivenöl, Pinienkerne, frisches Basilikum, Knoblauch, Parmesan, Salz und Pfeffer. Trotz des einfachen Rezeptes und der denkbar simplen Zubereitung buhlen in den Regalen der Supermärkte zahllose fertige Pestozubereitungen um die Gunst der Verbraucher. Nudeln kochen, ein Glas Pesto dazu, unterheben, fertig. Doch wer sich die Mühe macht, mal die Zutatenlisten auf den Fertigpasten durchzulesen, wird vom Originalrezept nur noch Bruchstücke vorfinden: Das Olivenöl ist entweder mit Sonnenblumen- oder anderem, bisweilen nicht mal deklarierten Pflanzenöl, gestreckt. Statt Pinienkerne werden billigere Sonnenblumenkerne oder Cashewnusskerne benutzt. Der Basilikumanteil ist lächerlich gering oder sogar mit Spinat oder anderen Blattkräutern durchsetzt. Parmesan? Entweder nur in mikroskopischen Mengen vorhanden oder durch eine minderwertige Melange aus günstigeren Hartkäsesorten ersetzt. Knoblauch kostet fast nix, der bleibt meistens drin, ebenso Salz und Pfeffer. Und dazu kommen noch als »Bonusmaterial« Kartoffelpulver, Stärkemehl, Säureregulatoren, Aromen. Bunte Kräuterbildchen auf dem Etikett suggerieren Authentizität, aber mit echtem italienischem Pesto hat die Fertigware in den meisten Fällen so wenig zu tun wie ein Hamburger mit Hamburg. Trotzdem kostet ein kleines Glas der entstellten Würzpaste oft zwischen 3 und 7 EUR. Nicht, weil so gute Sachen drin sind, sondern weil die Schrottzutaten so herrlich üppige Margen in die Kassen der Rezeptfälscher spülen.

Es lohnt sich also, mal auf die Etiketten zu schauen, wenn man sein Geld wirklich für Geschmack ausgeben möchte und nicht für Wasser, Luft, Aromen, Füllstoffe und minderwertige Ersatzingredienzien. Wer mag, kann ja mal ein Supermarktpesto gegen das nach meinem Lieblingsrezept antreten lassen. Ich bin sicher, der Geschmackstest wird jeden überzeugen.

Pesto alla Genovese

Zutaten
für 4 Personen

400 g Spaghetti oder andere Nudeln (sehr gut passen auch Vollkornnudeln)
50 g Pinienkerne
2 Handvoll frische Blätter Basilikum
1–2 Knoblauchzehen
100 ml kaltgepresstes Olivenöl
50 g frisch geriebener Parmesan oder Pecorino (kann man auch mischen)
etwas Salz (dran denken: auch der Käse ist schon salzig)
frisch gemahlener schwarzer Pfeffer

Das Wichtigste zuerst: die Pinienkerne in einer trockenen Pfanne unter ständigem Rühren goldbraun anrösten und anschließend abkühlen lassen. Die Basilikumblättchen von den Stengeln zupfen, die Knoblauchzehen schälen. Pinienkerne, Basilikum, Knoblauch und das Olivenöl im Mixer zu einer feinen Paste verarbeiten.

Anschließend den geriebenen Käse mit einem Löffel o.ä. unter die Masse rühren (nicht mit pürieren, sonst wird das Pesto »pampig«. Mit Salz und Pfeffer abschmecken.

Die Nudeln in reichlich Salzwasser al dente kochen. Eventuell noch etwas Kochwasser der Nudeln unter das Pesto rühren, es soll apfelmusartig-cremig sein. Die Nudeln gründlich abtropfen lassen, mit dem Pesto vermischen und sofort auf vorgewärmten Tellern servieren.

Aufgrund des Ölanteils dieses Gerichts ist ein Grappa nach dem Essen sehr zu empfehlen.

Update: Auf der Website www.das-ist-drin.de können interessierte Blogleser in einer übersichtlichen, repräsentativen Auswahl an Glaspesto gerne mal die detaillierten Inhaltsangaben durchstöbern.

Pesto_alla_Genovese
Fotos: © formschub

Vom Mühen und Scheitern

Laut einer Studie der GfK gehöre ich zur Minderheit der Deutschen, die pro Monat gerne mehr als dreimal »auswärts« essen gehen. Davon profitieren zwar oft – bevorzugt in Hamburg oder Berlin – Restaurants meines Vertrauens, doch ebenso gerne probiere ich Empfehlungen von Freunden, aus Gastro- und Stadtmagazinen, aus dem Web oder spontane Entdeckungen am Wegesrand aus. Von zweien dieser Erlebnisse handelt der heutige Blogbeitrag.

Das Besondere daran war für mich die Diskrepanz zwischen Ambition und Performance bzw. zwischen Küche und Service. Eigentlich ist es das höchste Lob, nach einem Restaurantbesuch einfach sagen zu können »das war gut« – und zwar alles: Service, Angebot, Preisgestaltung, Essen, Getränke, Atmosphäre. Jede Einschränkung wie »bis auf« oder »außer« trübt das Prädikat. Es gibt aber immer wieder Gastronomen, die auf ihrer Website oder dem Vorblatt der Speisekarte wohlklingende Ansprüche formulieren und sie dann nur teilweise einlösen – in der Hoffnung, dass gute Küche oder edle Innenarchitektur andere Versäumnisse ausgleichen. Doch das gelingt nur selten – und wenn, dann mit bitterem Nachgeschmack.

Die erste gastronomische Begegnung führte mich ungeplant ins Restaurant Louisiana Kid (Update: inzwischen geschlossen) in der Nähe des Hackeschen Markts in Berlin. Es war der Vorabend einer Urlaubsreise und wir wollten zu zweit ohne großen Aufwand in der heimischen Küche ein schönes Dinner genießen. Ungeplant war die Einkehr deshalb, weil unter der angesteuerten Adresse am Stadtbahnbogen nicht mehr, wie erwartet, der Italiener La Rustica residierte, sondern das besagte Südstaatenlokal. Und da im Außenbereich genug Plätze frei waren, beschlossen wir, zu bleiben.

Das freundliche Bedienpersonal brachte die Karte. »Das Louisiana Kid bemüht sich stets, eine möglichst authentische Küche auf den Tisch zu bringen. Alle unsere Gerichte werden frisch zubereitet, in Zeiten des großen Andrangs müssen unsere Gäste daher mit ein wenig Wartezeit rechnen«, hieß es da. Doch da das Lokal nur mäßig besucht war, vernachlässigten wir diesen Hinweis.

Nach der Bestellung folgte ein Abstecher auf die sanitären Anlagen. Dazu war, ebenso wie für die ständig ein und aus laufenden Servicekräfte, der trendy mit Sand ausgestreute Außenbereich zu verlassen und der mit hochglänzenden Steinfliesen ausgelegte Innenbereich zu durchqueren. Hip, aber unpraktisch, denn trotz der großen Fußmatte vor der Eingangstür zog sich innen eine breite, unansehnliche Sandspur ambientemindernd quer durch den Gastraum. Die Toilette (Herren) war tadellos sauber, doch der Seifenspender hing frei an der Wand seitlich neben dem Becken, eine feuchtglänzende Seifenlache auf dem Boden darunter. Statt eines Handtrockners hatte man sich für Papierhandtücher entschieden. Völlig okay, doch das Volumen des dafür vorgesehenen Minimülleimers wäre spätestens nach dem vierten Besucher erschöpft. All das wertet ein Lokal zwar nicht unmittelbar ab, aber wirft dennoch die Frage auf, warum so an der Praxis vorbeigedacht wurde.

Zurück am Platz wurden die bestellten Vorsuppen serviert. Obwohl nicht zum Mitessen gedacht, irritierte mich zuerst der mit Balsamicosirup dekorierte Tellerrand. Als authentisch karibisch empfand ich diese inzwischen allgegenwärtige Dekolangeweile ebensowenig wie die in der Suppe schwimmenden Rosmarincroutons. Geschmacklich war die Suppe – eine tomatige Fischsuppe mit Shrimpseinlage – akzeptabel, allerdings deutlich weniger originell als die englischen Texte in der Speisekarte. In weltgewandter Vorbereitung auf Touristen hatte man dort das in einer Speise enthaltene Krebsfleisch als »Crap Meat« übersetzt. Doch offenbar waren keine Engländer anwesend, denn wir hörten niemanden lachen.

Das Warten auf die Hauptspeise schließlich zementierte die Urteilsfindung. Trotz mindestens halbleerer Tische und ungeachtet einer Zwischenmeldung, eines der beiden Gerichte würde »etwas länger dauern« kam der Hauptgang für meine Begleitung erst auf den Tisch, als ich bereits die letzten Soßenreste vom Teller kratzte.

Egal, aus welchem Anlass und in welcher Konstellation zwei Personen einen gemeinsamen Restaurantabend verbringen: ein solcher Servicelapsus ist indiskutabel. Was im Gedächtnis blieb, waren der freundliche Service, eine herbe Enttäuschung – und etwas Sand unter den Schuhen.

Ortswechsel. In Hamburg gibt es seit einigen Jahren regelmäßig die schöne Initiative des Schlemmersommers. Fast 90 Restaurants servieren im Rahmen des Angebots – 2009 vom 15. Juni bis 15. August – ein mehrgängiges Sommermenü für zwei Personen zum Festpreis von 59 Euro (ohne Getränke). Eine gute Gelegenheit, ausgetretene Genusspfade zu verlassen und etwas Neues auszuprobieren. Unsere Wahl fiel auf das Fillet of Soul auf dem Freigelände hinter den Hamburger Deichtorhallen. Auf dem Speiseplan stand:

  • Rucola-Basilikum-Salat mit Wassermelone, Spargel, Hüttenkäse und Thunfisch im Szechuanpfeffer
  • Poulardenbrust im Serranomantel mit Safranrisotto, Pinienkernen und Paprika-Oliven-Salsa
  • Karamellisierter Key-Lime Pie mit Minzerdbeeren und Joghurteis

Angenehm fern vom bewegten Verkehr dieser Gegend bietet das Lokal einen geräumigen, verglasten Gastraum und einen großzügigen Bereich mit Außensitzplätzen, auf dem wir an dem betreffenden Sommerabend zu viert einen Tisch einnahmen. Obwohl wir beim Eintreffen in das etwa halbvolle Etablissement von einer Servicekraft begrüßt und platziert wurden, vergingen gut zehn Minuten, bis ein Satz Karten an unserem Tisch eintraf. Ebenso geruhsam waren die Intervalle bis zur Aufnahme der Getränkebestellung, deren vollständiger, in mehrere Etappen zerdehnter Auslieferung und der Entgegennahme der Speisewünsche. Doch dann sollten wir erfahren, was Warten wirklich bedeutet.

Etwa eine halbe Stunde dauerte es, bis die Vorspeisen ihren Weg zu uns fanden. Erschwert wurde die Wartezeit zusätzlich dadurch, dass das ziemlich unaufmerksame und m.E. eher nach der äußeren Erscheinung gecastete Serviceteam selbst den Getränkenachschub zur Herausforderung machte. Die Umgangsformen des Personals würde ich noch wohlwollend als »flapsig« bezeichnen, dass es nach einer ersten Kritik an der langen Wartezeit dann zwar einen Getränkegang aufs Haus gab, allerdings nur für zwei von uns Vieren, werte ich als Fauxpas.

Schließlich kam das Essen – und es war phantastisch. Tolle Aromen, fantasievolle Rezepturen, feine Zutaten, originell angerichtet, hervorragend gewürzt. Die gewagte, leichte Kombination der Vorspeisenzutaten inspirierte zu ähnlichen Experimenten in der heimischen Küche, der Kontrast der Konsistenzen im Hauptgericht war wunderbar ausgewogen und die angenehm frischen, nicht zu süßen Komponenten des Desserts bildeten einen perfekten Ausklang. Die nicht zu großen Portionen erlaubten es, ohne schlechtes Gewissen jeden Teller zu leeren und trotz der lauen Abendtemperaturen nicht gleich ins Phlegma zu sinken. Ein großes Lob an die Küchenkünstler, die jedoch ihr offensichtliches Credo »Feines braucht Zeit« (ehemaliger Slogan einer Keksfirma) für mein Empfinden an diesem Abend etwas überstrapazierten. Wir sind auf jeden Fall bereit, dem Fillet of Soul noch eine Chance zu geben. Mit besserem Timing und lernwilligem Personal wäre es eine echte Adresse.

Was ist nun mein Fazit nach diesen beiden Gastroabenteuern? In beiden Fällen hatte ich das Gefühl, dass Wirte, Köche und Kellner sich und ihren Job viel stärker mit den Augen ihrer Gäste hätten sehen sollen. Vielleicht sollten auch sie gelegentlich in einem Restaurant mal richtig gut essen gehen.

Mühen und Scheitern
Fotos (metaphorische Fotomontage):
Dessert © ukcountryhousehotelsandspas | some rights reserved
Dead fly © Samyra Serin | some rights reserved

Killerfilme verbieten!

Da schaut man sich nichtsahnend »Spion in Spitzenhöschen« an, eine sogenannte »Komödie«, die in Deutschland seit Jahrzehnten – auch in die Hände von Minderjährigen – schamlos über den Ladentisch wandert, und stößt dann unvermittelt auf völlig inakzeptable Aufforderungen zu sinnloser Gewalt. Wo bleibt die Politik? Ich bin erschüttert.

Shoot for fun
Szenenfoto: © Warner Home Video (Zeitindex 00:38′:02″)