Kategorie: Von der Tageskarte

Kaum passiert, schon gebloggt

Pixeltext

In meinem Job als Artdirektor stehe ich recht oft vor der Aufgabe, aus einem vom Kunden angelieferten Screenshot (z.B. aus einem beschrifteten Diagramm, einem abfotografierten Flipchart o.ä.) editierbaren Text zu extrahieren. Natürlich könnte ich auch alles abtippen, aber seit kurzem nutze ich ein wesentlich schnelleres und sehr zuverlässiges Feature von MacOS (ab MacOS 12 »Monterey«) das ich hier gerne teilen möchte.

Angenommen, Ihr habt z.B. am Geburtshaus von Marlene Dietrich die Schrifttafel mit ihren biografischen Daten fotografiert und möchtet den Text daraus extrahieren:

Schritt 01:

Die Bilddatei mit dem MacOS-Dienstprogramm »Vorschau« öffnen. Das verhindert (sofern man dies nicht möchte), dass diese nur einmal kurz benötigte Datei in die Mac-Bilddatenbank »Fotos« übernommen wird.

Schritt 02:

Durch das seit MacOS Monterey integrierte Feature »Live Text« kann man nun im Bild den zu entnehmenden Text einfach mit dem Cursor markieren und in die Zwischenablage kopieren.

Schritt 03:

Nun einfach das gewünschte Layout- oder Textverarbeitungsprogramm öffnen und den Text einfügen. Fertig!

Mir hat das in den letzten Monaten schon richtig viel Zeit gespart. Ein sehr nützliches Feature, ohne den zuvor notwendigen Umweg über eine separate OCR-App.

re:publicadebüt

Das war sie nun – meine erste re:publica. Seit zwölf Jahren hatte ich das bunte Treiben auf dem (bis vor kurzem) jährlich stattfindenden Festival stets interessiert online verfolgt, die Besucher still ein bisschen beneidet, ohne je selber dort gewesen zu sein. Entweder gab es Terminkollisionen mit Urlaubsplänen, zu viel Arbeit im Job, kein Geld für ein Ticket, fehlende »Traute«, sich unter die coolen Internetpeople zu mischen oder andere Hinderungsgründe. Doch dieses Jahr hat es endlich geklappt.

Nach drei Tagen zwischen drei Hallen, sechs Bühnen, zahllosen parallel stattfindenden Panels und der Qual der Auswahl war mein Kopf am Freitag Abend nach dem Closing dann auch proppenvoll. Ich erlitt im besten Sinne täglich ein Stendhal-Syndrom, irgendwo zwischen dem Impuls, möglichst wenig zu verpassen und gleichzeitig meine Aufnahmefähigkeit nicht zu überfordern. Da ich tatsächlich ein eher schüchterner Mensch bin und zudem ständig von Bühne zu Bühne eilte, waren die Begegnungen mit »echten« Internetleuten zwar seltener als ich vorab gedacht hatte, aber das war letztlich auch gar nicht so schlimm, denn WANN HÄTTE ICH MIT DENEN DENN AUCH NOCH SPRECHEN SOLLEN? Immerhin habe ich ein gutes Dutzend von weitem erkannt, sei es als Teilnehmer auf einer der Stages oder kurz im Gewimmel der Besuchermenge.

Ich will auch gar keinen detaillierten Bericht verfassen, denn wozu sollte ich etwas nacherzählen, was andere Anwesende ebenfalls erlebt oder woanders im Netz bereits nachgelesen oder angeschaut haben? Und außerdem waren die Vielzahl der Themen, die Breite des Angebots und die Flut der Eindrücke viel zu groß, um sie hier auch nur annähernd überschaubar zusammenzufassen.

Es ging um Zukunftsforschung. Diversität. Resilienz. Ukrainekrieg. Lügenkultur. Artenschwund. Hasskommentare. Digitalpolitik. Klimakrise. Science Fiction. Transrechte. Deepfakes. Wissenschaftsjournalismus. Verschwörungserzählungen. Alkoholismus. Twitter. Moos. Computerspiele. KI. Mehrheitsmotivation. Robotermusik. Komplexitätsforschung. Insekten. Faschismusstrategien. Tortendiagramme. Mobilitätswende. Erschöpfung. Nachhaltigkeit. Toleranz. Improvisation. Dystopien. Markenbildung. Depressionen und – Darmwinde (und das sind nur die Stichworte zu den Sessions, bei denen ich zumindest teilweise anwesend war).

Was ich aber empfunden und mitgenommen habe: die re:publica 2022 war nicht nur eine der vielfältigsten, interessantesten und inspirierendsten Veranstaltungen, die ich jemals besucht habe sondern auch eine, die die Welt so sieht und lebt, wie ich es mir überall und jeden Tag auch »draußen« wünschen würde. Mit tausenden Menschen, die in ihrer Individualität und Würde respektiert werden, unabhängig von ihrer Herkunft, Hautfarbe, Sprache, Orientierung, ihrem Geschlecht und ihrem Erscheinungsbild. Mit Veranstaltern, die sich mit Herzblut engagieren, die ein eingeschworenes Team bilden, die eine Vision haben, die dieses Event in der Hoffnung auf eine bessere Zukunft ausrichten. Mit Vortragenden, die – trotz aller teils deprimierenden Themen und düsteren Entwicklungstendenzen auf diesem Planeten und in diesen Zeiten – immer auch mögliche Strategien zum Gegensteuern und Handeln aufzeigten. Mit einem Publikum, das sich begeistern und mitreißen ließ, das neugierig ist, mentale Grenzen überwinden will, etwas dazulernen, konstruktiv diskutieren, andere Sichtweisen verstehen und annehmen kann, Kontroversen sachlich und zum gemeinsamen Besten überkommen will und an besseren, positiven Zukunftsvisionen mitwirken möchte. Und letztlich als ein Event, das Diversität akzeptiert und fördert, an Barrierefreiheit denkt, Nachhaltigkeit vorlebt, Besucher für fleischlose Ernährung interessieren möchte, Awareness aktiv und unterstützend fördert und mit der Kreativität und Power der »Netzgemeinde« und anderer Gleichgesinnter die Welt und die Gesellschaft inspirieren und voranbringen möchte.

Ich sage danke, re:publica, für diese anstrengenden, bunten, nachdenklichen, amüsanten, befruchtenden und hochinteressanten Tage und freue mich auf ein Wiedersehen – wann immer das sein wird. Vielleicht (und hoffentlich!) blows me the wind ja schon nächstes Jahr wieder hin.

Regensburgreise (II)

Vier Tage Regensburg sind schon wieder um. Wie immer bei solchen kompakten Auszeiten streiten im Kopf zwei Bewertungen miteinander – einerseits »Boah, es passiert jeden Tag so viel abseits der sonstigen Alltagsroutine, dass sich vier Tage anfühlen wie sonst vierzehn«, andererseits »Huch, ist ja schon wieder Zeit zum Abreisen, das ging eigentlich viel zu schnell vorbei«.

Nach drei Jahren Pause fühlte es sich gut an, mal wieder in dieser schönen Stadt zu Gast zu sein und die »Corona-Lücke« von zwei Jahren war gefühlt im Nu geschlossen, als sei ich tatsächlich letzte Pfingsten zum letzten Mal dort gewesen, anstatt 2018. Fast alle vertrauten und schon oft besuchten Orte – Biergärten, Restaurants, die Lieblingseisdiele, Geschäfte – haben die Pandemieflaute überlebt, etliche neue Locations haben eröffnet, ein sehr geschätztes Restaurant hat seine Preise dermaßen angezogen, dass es für mich leider unbesuchbar geworden ist – aber wenn die zahlungswillige Kundschaft das trägt (der Blick durchs Fenster am Pfingstsamstag ließ vermuten: nein), dann sei es.

Etwas enttäuscht war ich von einem anderen zuvor schon oft besuchten Restaurant, bei dem ich via OpenTable eine Reservierung vornahm: laut App hieß es »zur gewünschten Zeit noch vier Tische buchbar« und so belegte ich einen davon. Im Laufe des Tages kam dann jedoch ein Anruf: es hätte einen »Fehler« bei der Reservierung gegeben und man müsse die Reservierung entweder auf 18 Uhr vorverlegen oder stornieren. Damit fiel die Annahme in sich zusammen, ein Online-Reservierungstool würde verlässlich den realen Kapazitätsbestand der verfügbaren Tische abbilden, bedauerlicherweise in sich zusammen und wir mussten umdisponieren. Durch eine Wiedersehen (ebenfalls nach mehreren Jahren) mit alten Bekannten aus der «Alte-Musik-Szene« und eine spontane Verabredung zum Abendessen in einem großen Biergarten war dann aber die Stornolücke schnell gefüllt und so war es gut, wie es sich fügte.

Ich genoss es jeden Tag, dass wir diesmal Räder gemietet hatten. Das Wetter war größtenteils radeltauglich und so nutzte ich dies ausgiebig, teils zum Bummeln oder für Besorgungen in der Stadt, teils auf dem Weg zu den gebuchten Konzerten oder Biergärten/Restaurants und einmal sogar zu einer gemeinsamen Radtour zum Kulturmonolithen der »Walhalla«. Den Eintritt von 4,50 € in die Büstenhalle sparten wir uns, aber die schöne Radstrecke entlang der Donau und der dicht bewachsene, etwas abseits liegende steile Waldpfad zur Rückseite des von zahllosen Menschen aus allen Ländern umschwärmten Wagnertempels waren auch so Erlebnis genug.

Die beiden gebuchten Konzerte im Rahmen der »Tage Alter Musik«, beide in der Regensburger Dreieinigkeitskirche, brachten wie in vergangenen Jahren betagte Werke auf frische und neue Weise zu Gehör. Zum ersten Konzert (Nr. 3) am Samstag Vormittag heißt es in der Ankündigung:

»Obwohl wir von J.S. Bach mindestens fünf Konzerte für Solo-Orgel kennen, sind von ihm keine Orgelkonzerte mit Orchesterbegleitung überliefert. Der belgische Organist Bart Jacobs hat nun (…) mehrere solcher Konzerte rekonstruiert und er wird sie mit dem Brüsseler Barockorchester Les Muffatti auf der großen Bachorgel der Dreieinigkeitskirche aufführen. In 18 von seinen mehr als 200 Kantaten hat Bach die Orgel als obligates Soloinstrument in Arien, Chorpassagen und Sinfonias verwendet. Auf der Grundlage dieser Kantatensätze und diverser Instrumentalkonzerte erklingen die von Bart Jacobs rekonstruierten Orgelkonzerte, wie sie Bach 1725 anlässlich eines Konzerts in Dresden in der Sophienkirche auf der damals neuen Silbermann-Orgel aufgeführt haben könnte.«

www.tagealtermusik-regensburg.de

Ich war überrascht, wie gut Orgel (speziell das Instrument in dieser Kirche) und das von Streichern dominierte Orchester zusammenpassten. Der Klang der Saiteninstrumente schwirrte wie ein Schwarm Schmetterlinge über einem warmen, karamelligen Fundament, das die Orgel darunterlegte. Unerklärlicherweise war das Konzert nur etwa zur Hälfte besucht, aber auch das ließ sich zugunsten von mehr Abstandsmöglichkeiten zu den anderen Besuchern als Infektionsschutzpluspunkt verbuchen. Es gefiel.

Im zweiten Konzert (Nr. 15) am Montag Nachmittag erklang das selten zu hörende Blasintrument Zink, das interessanterweise nicht, wie der Name andeuten könnte, aus Metall, sondern aus Holz (früher auch Elfenbein) besteht. Dazu schreibt das Programm:

»Der französische Zinkvirtuose Adrien Mabire und sein mit erlesenen französischen Sängern und Instrumentalisten besetztes Ensemble La Guilde des Mercenaires (Die Söldnergilde) begeben sich in diesem Konzert auf eine Reise nach Venedig, um die musikalischen Wurzeln Giovanni Gabrielis zu erkunden, der hier 1557 geboren wurde, hier wirkte und hier 1612 starb. Dabei treffen sie auf die Entstehung einer typisch venezianischen Musizierpraxis, die Kunst der Mehrchörigkeit.«

www.tagealtermusik-regensburg.de

Mit viel Spielfreude und großem Können spielte sich das Ensemble durch das von geistlichen Texten geprägte, sehr melodische Programm und bekam am Ende großen Applaus. Die Zugabe fügte dann noch einen amüsanten Aspekt hinzu, indem die Sänger in zwei Gruppen geteilt wurde, die auf sehr gegensätzliche Weise einen in dieser Komposition angelegten »Sängerwettstreit« miteinander ausfochten. Das Etikett »Alte Musik« schreckt womöglich viele Menschen ab, sich derlei einmal anzuhören – so manches klingt nach fast 700 Jahren frischer als manche erst Jahrhunderte später komponierte Musik. Mein Alte-Musik-Anspieltipp: die »Sonata Representativa« (entstanden um 1670) des Komponisten Heinrich Ignaz Franz Biber – ein rund 10minütiges Potpourri kurzer Stücke, in denen mit historischen Instrumenten Tierstimmen von Nachtigall, Kuckuck, Frosch, Henne und Hahn, Wachtel und Katze imitiert werden. Sehr experimentell, witzig und überhaupt nicht »angestaubt«!

Eine kleine Überraschung ergab sich dann noch, als eine Message von zwei guten Berliner Freunden auf dem Handy eintraf »Viele Grüße aus Regensburg!«. Rein zufällig hatten die beiden (unabhängig von uns und dem Musikfestival) übers Wochenende dasselbe Reiseziel gewählt und so kam es rund 500 km südlich von unseren üblichen Treffpunkten in Berlin zu einem unerwarteten Wiedersehen.

Ansonsten waren die Tage in Regensburg von Freitag bis Montag ein angenehm sommerliches Puzzle aus Ausschlafen, ausgiebig Frühstücken, kleinen Wanderungen wie z.B. zur Spitze der Donauflussinsel Unterer Wöhrd, Stadtbummeln, Eisessen, reichlichem – aber nicht übermäßigem – Biergenuss und vielen kleinen Momenten die mich in diesen wenigen Tagen ausgesprochen reichlich mit Urlaubsgefühlen durchströmten. Und so half auch das leicht regnerische Wetter am Dienstag, dem Abreisetag, den Abschied etwas weniger wehmütig zu empfinden. Ich freue mich jetzt schon auf die nächste Regensburgreise – hoffentlich gleich wieder nächstes Jahr.

Die »blau-gelbe Stunde« auf dem Rückweg von der Leihfahrrad-Abgabe am Vorabend der Abreise.

Regensburgreise (I)

Dieses Jahr reise ich mit dem Mann nach drei Jahren mal wieder zu Pfingsten nach Regensburg. Anlass sind die Tage Alter Musik, 2008 waren wir zum ersten Mal hier und seither eigentlich fast jedes Jahr wieder, bis 2018. Im Jahr darauf war das Konzertprogramm nicht hinreichend interessant – und dann kam Corona …

Die Reise war recht weit im Voraus geplant und organisiert, oft genug hatten wir bei Anreise am Freitag vor Pfingsten Neun-Euro-Ticket-ähnliche Zustände in Fernzügen erlebt: dicht gedrängt stehende Fahrgäste in Wagen und vor Eingängen, angemahnte Zugräumung aufgrund von Überfüllung, Chaos am Bahnsteig nach Zugausfällen etc. Daher hatte ich diesmal Bonuspunkte von meinem Bahn-Account gegen ein Upgrade in die erste Klasse eingetauscht und schon im Februar gebucht. Als geübter Bahnfahrer kenne ich ein paar Tipps und Kniffe, um das Reisen – und vor allem das »Boarding« reibungsloser zu machen. Die uhrwerkpräzise Effizienz, mit der George Clooney zu Beginn des Films »Up in The Air« am Flughafen seinen Security-Check durchläuft, ist für mich ein Musterbeispiel für die geschmeidige Optimierung einer Reiseprozedur. Und so schaue ich vor Ankunft am Bahnhof stets noch einmal nach dem aktuellen Abfahrtgleis, nach Wagen- und SItznummer der Reservierung, nach der aktuellen Wagenreihung (!), dem richtigen Bahnsteig-Abschnitt und auf den Sitzplan des Wagens, um zu sehen, ob mein gebuchter Platz am vorderen oder hinteren Ende liegt. Nichts ist gleich zu Beginn einer Reise unerbaulicher, als nach Einstieg an der falschen Stelle das Gepäck müh- und langsam durch übervolle Wagen zu wuchten, bis man endlich am Platz ankommt. Bevorzugt reserviere ich meinen Platz gleich in der Nähe des Einstiegs oder neben einem ebenerdigen Gepäckregal, auch das spart Zeit, Kraft und Nerven. Steigt man in einer Stadt zu, in der es neben dem Hauptbahnhof vorher noch weitere Halte für den gebuchten Zug gibt, lohnt sich oft ein früheres Aufbrechen und der längere Weg, da an den Nebenhalten weniger Gedränge herrscht und der Zustieg deutlich angenehmer sein kann. Auch das kam bei dieser Reise zum Tragen und ich stieg am halbleeren Bahnsteig des Hamburger Bahnhofs Dammtor in meinen Zug ein.

Die Reise verlief zunächst angenehm, bis der Zug bei einem Halt irgendwo zwischen Hannover und Fulda aus unbekanntem Grund vor der Weiterfahrt gut 10 Minuten länger hielt. Als Umsteigezeit in den Folgezug ab Nürnberg waren 11 Minuten eingeplant und damit stand der reibungslose Reiseverlauf auf der Kippe. Holen wir die Verzögerung auf? Wird sie gar noch größer? Bleibt selbst bei »rechtzeitiger« Ankunft noch genug Zeit zum Umsteigen? An zweiter Stelle meiner verhasstesten Reiseunbillen ist das genötigte Rennenmüssen mit vollem Gepäck zwischen Zugumsteigegleisen oder Flughafenterminals. Niemand sollte aufgrund unverschuldeter Hast während unterwegs zum Schwitzen gezwungen werden, da verschwitztes Reisen selbst das nachfolgende Sitzen auf dem Weiterreiseplatz deutlich beinträchtigen kann.

Amüsiert hatte mich in dem Moment, als die Halteverzögerung eintrat, das kollektiver Verhalten der zumeist silberhaarigen Mitreisenden im 1.-Klasse-Wagen: Bei den Worten der Zugführerin »… wird sich die Weiterfahrt unseres Zuges leider noch ca. 10 Minuten verzögern …« war von etlichen Plätzen aus ein gleichzeitiges spöttisches Auflachen zu vernehmen. »Die Bahn kriegt’s mal wieder nicht gebacken«, vermittelte das Gelächter. Ironischerweise waren das genau dieselben Leute, die im weiteren Verlauf der Reise unübersehbare Probleme mit der Handhabung ihrer digitalen Endgeräte hatten und die plärrenden Alarmtöne beim Eintreffen von Messages und Anrufen bzw. plötzlich losschmetterndem Videocontent hektisch an Drucktasten und Touchdisplays herumfingerten, um dies abzustellen. Nicht gebacken kriegen es eben meist nur die Anderen.

Tatsächlich holte der Zug dann aber auf der folgenden Strecke die Verzögerung fast wieder ein. Zusammen mit der Durchsage, dass der Anschluss-Regionalexpress auf unseren knapp eintreffenden ICE warten würde, war somit ein spurtfreies Umsteigen gewährleistet und ich kam nahezu planmäßig am Nachmittag im sommerlich-warmen Regensburg an. Mein Reisetag war »Tag zwei« nach Inkrafttreten der Gültigkeit des 9-Euro-Tickets, und das spürte man auch bereits im doppelstöckigen RE: das komplette Erdgeschoss war bevölkert von einer großen munteren Truppe Teenager, die mit Bier und Partymusik ihrem Ausflugsziel entgegenjohlten. Das Personal und alle weiteren Mitreisenden nahmen das muntere Getöse mit heiterer Gelassenheit hin und kurz vor dem Ausstieg knipste ein Fahrgast auf Bitten des jugendlichen Schwarms mit einem übergebenen Smartphone noch ein Gruppenbild in den voll besetzten Waggon hinein.

Eine positive Überraschung ergab sich dann noch vor dem Eintreffen in der Unterkunft: der getrennt angereiste Mann war bereits etwas früher dort eingetroffen und erfuhr beim Einchecken, dass das eigentlich gebuchte Apartment (ohne Angabe von Gründen) ein Update erfahren hatte und wir somit zuschlagsfrei im obersten Stockwerk die Dachgeschosswohnung beziehen durften. Viel zu groß für zwei eigentlich, mit drei Bädern, zwei Schlafzimmern, Veranda plus Dachterrasse, Wohnzimmer und offener Küche, aber – hey, gern genommen, nicht nachgefragt.

Nach Ankommen und kurzem Verschnaufen dann einige Besorgungen zur Selbstverpflegung erledigt, anschließend ein Ankunftsbierchen in einer neu entdeckten Craft-Beer-Bar und später das Abendessen im altstädtischen Innenhof eines vertrauten italienischen Restaurants genossen. Eine violinschlüsselschnörkelige Ranke im Innenhof hieß uns zu unserem anstehenden Musik-Event willkommen, die Luft war angenehm mild (wir haben für die Tage zwei Räder gemietet, die uns schnell und luftig überall hinbringen) und bis zum späten Abend konnte man jackenlos unterwegs sein. Endlich war es soweit: zum ersten Mal war der Sommer 2022 so richtig zu spüren.

Ausblick von der Upgrade-Dachterasse auf die Donau
Ausblick von der Upgrade-Dachterasse auf die Donau

Autoverkehr(t)

Am kommenden Mittwoch kommt der »Tankrabatt«. Anlässlich dessen habe ich ein Gedicht, das ich vor gut zwei Wochen schon mal auf Twitter gepostet hatte, nun auch hierhin übertragen und um zwei Strophen (#5 und #6) ergänzt.

Ich bin Minister für Verkehr,
weil ich mich nicht ums Klima scher’.
Ich wohn’ im Autolobbydarm,
hier steht die Zeit, s’ist weich und warm.

Verbrannter Treibstoff in der Luft –
das ist und bleibt der schönste Duft!
Freiheit mess’ ich in km/h,
Wer schneller rast, ist eher da.

Leitplanken sind mein Tellerrand,
drum bleiben wir ein Autoland!
Mich durchlaufen süße Schauer,
denk ich an uns’re Fahrzeugbauer.

Mobilität mit Rad und Bahn?
Für mich ist das ein irrer Wahn.
Verkehrswende? Wohin? Wieso?
Mein Navi-Ziel heißt »Status quo«.

Wer reichlich tankt, bekommt Rabatt.
Den Ölkonzernen, nimmersatt,
füll’ ich mit Zuschüssen die Taschen.
Ich hab’ Ideen, die überraschen!

Von Schuld an zu viel CO₂
sprech ich Fossilverbrenner frei.
Willst du den Klimawandel hemmen,
verzichte halt aufs Instagrammen.

Milliarden pump’ ich ins Bewahr’n.
Wer Zukunft will, soll Auto fahr’n!
Sportboliden! SUVs!
Vier Räder hat das Paradies!

Die Erde heizt sich weiter auf,
ich sponsor’ den Verbrennerkauf.
Der Acker dörrt, es steigt das Meer,
ich bin Minister für Verkehr.


Photo by Shot On DJI on Unsplash

Flashback

Wenn ein Solist zusammen mit einem Orchester in einem klassischen Konzert auftritt, gibt es nach dem eigentlichen Werk bei hinreichend stürmischem Applaus gern eine Zugabe des Solisten oder der Solistin. Ich mag diese Zugaben, denn sie sind oft ganz anders als das zuvor dargebotene Stück. Das vom Veranstalter für den Konzerttermin plakatierte Programm soll die Zuschauer in den Konzertsaal locken, man spielt meist klassische Gassenhauer allseits bekannter Komponisten, in großen Lettern prangen Orchester, Dirigenten und Solisten auf den Aushängen, die Karten müssen raus, das Publikum rein. Das ist auch völlig legitim, es muss sich ja schließlich rentieren und gegen die zu Gehör gebrachten populären Kompositionen, so oft sie auch auf dem Programm stehen, kann man eigentlich auch nichts sagen. Evergreens halt: Bach, Beethoven, Mozart, Tschaikowski.

Die Zugaben hingegen sucht der Solist oder die Solistin selber aus. Vielleicht gibt es zu ihnen eine persönliche Verbindung, sie stehen nicht vorab auf Postern und Plakaten. Vielleicht sind es Stücke, die ihm/ihr etwas bedeuten, Lieblingskomponisten oder Werke mit Bezug zur eigenen Lebensgeschichte. Ich habe oft das Gefühl, dass das musikalische Band zwischen Klassik-Publikum und Solist*in während einer Zugabe intimer und persönlicher wird als beim großen Auftritt davor.

Genauso ging es mir auch kürzlich bei einem Konzert Ende April in der Berliner Philharmonie. Auf dem Programm mit dem Deutschen Symphonie-Orchester Berlin unter Hannu Lintu standen Bach, Lutosławski und als Hauptwerk das bekannte Konzert für Klavier und Orchester Nr. 2 c-Moll op. 18 von Rachmaninow. Schöne Stücke, famos gespielt, gerne gehört. Der begeisterte Applaus holte den Solisten, den usbekischen Pianisten Behzod Abduraimov, mehrfach zurück auf die Bühne und schließlich nahm er erneut auf dem Klavierhocker Platz, um eine Zugabe zu spielen.

Nach den ersten Noten bekam ich Gänsehaut und ich merkte, dass ich diese Gänsehaut, zu genau diesem Stück schon einmal hatte und ich wusste auch sofort, wann und wo. Es ist Jahrzehnte her, und am Klavier saß damals C.

Ich hatte C während meines Grundwehrdienstes bei den Sanitätern als »Bundeswehrkumpel« kennengelernt. Er war ein netter Typ mit einem feinen Sinn für Humor und spielte zwei Instrumente: Fagott und Klavier. In der Kaserne hatte er die natürlich nicht dabei, aber während des Kennenlernens war es öfter ein Thema, dass er Musik liebte und auch selbst spielte. Für ihn war klar: nach dem Wehrdienst wollte er Berufsmusiker werden, am liebsten in einem Orchester.

Während dieser Zeit lud C einige Freunde aus unserer Sani-Gruppe, darunter auch mich, zu seiner Geburtstagsfeier in sein Elternhaus ein. Die Feier war amüsant und gesellig, man redete, lachte, trank Bier und Wein und ich genoss es einmal mehr, nicht nur während solcher Feiern, sondern auch während der damaligen Dienstzeiten, dass ich mit dem »Abijahrgang« zu Beginn des Sommers eingezogen worden war. Die jungen Mitsoldaten in meiner Einheit waren (vielleicht auch deshalb) allesamt sehr nette und umgängliche junge Männer, glücklicherweise ganz anders als die oft etwas grober geschnitzten Rekruten, von deren destruktiven Exzessen bei Partys oder auf Zugreisen man bisweilen öfter Unschönes zu lesen bekommt.

In Cs Zimmer an der Wand stand das erwähnte Klavier – und wenn der Gastgeber einer Feier Musiker ist, fordert die Gästeschaft natürlich unweigerlich irgendwann eine Kostprobe des musikalischen Könnens. So war es auch an diesem Abend und nach etwas gespieltem sich-Zieren ließ sich C breitschlagen und intonierte »La Campanella« von Liszt – dasselbe Stück, das nun der Klaviersolist als Zugabe im Konzertsaal der Philharmonie ausgesucht hatte. Es hat ein wunderschönes changierendes, flirrend-leichtes Thema und ich konnte es nicht fassen, wie jemand, der direkt vor mir am Klavier saß, diesem schweren massiven Instrument allein mit der Geschicklichkeit seiner Hände solche zauberhaften Klänge entlocken konnte. Hier hatte sie ihren Ursprung: die Gänsehaut, die ich gerade wieder verspürt hatte und allen der damals mit mir applaudierenden Partygäste war klar, dass hier gerade ein junger Künstler mit erheblichem Talent gespielt hatte, einer, der eine glänzende Karriere als Orchestermusiker vor sich hatte.

C hat tatsächlich nach dem Ende der Bundeswehrzeit mehrere Versuche unternommen, sich bei Musikhochschulen zu bewerben, um seinen Traum zu verwirklichen. Nach mehreren gescheiterten Aufnahmeprüfungen gab er das Vorhaben dann auf und studierte Nachrichtentechnik. Ich habe ihn nach der Bundeswehrzeit dann irgendwann aus den Augen verloren.

Und an diesen geplatzten Traum musste ich denken, mit meiner Gänsehaut, während der wunderschönen Zugabe von Behzod Abduraimov, neulich in Berlin.

Sauerteig-Schokobrot mit Haselnüssen

Zutaten
(für einen Laib von ca. 1 kg)

25 g aktiver Roggensauerteig (Starter)
430 g Weizenmehl 550
130 g Roggenvollkornmehl
40 g Backkakao
1 gehäufter EL dunkles Roggenmalz (»Färbemalz«)
2 EL Ahornsirup (oder andere Süße wie Zucker, Honig, Agavendicksaft etc.)
etwa 420 ml handwarmes Wasser
125 g Haselnüsse
1 gestrichener EL Salz

Das Wasser in eine große Rührschüssel geben und den Sauerteig darin auflösen. Die abgemessenen Mengen Mehl, Kakao, Malz und Salz in einer anderen Schüssel trocken miteinander vermengen und die Mischung zu der Sauerteigsuspension geben. Die Zutaten ca. 5 Minuten lang mit einem Handrührer (Knethaken) zu einem homogenen Teig verrühren, zum Schluss kommen die Haselnüsse dazu und werden kurz untergerührt.

Jetzt muss der Teig 18–20 Stunden (je nach Temperatur und Teigaktivität) abgedeckt bei Zimmertemperatur reifen und aufgehen, am Besten vor Zugluft geschützt. Richtig gut wird das Brot, wenn du den Teig während dieser Zeit ca. 3–4 Mal dehnst und faltest.

Nach Ende der Gehzeit (»Stockgare«) gibst du den aufgegangenen Teig vorsichtig auf eine bemehlte Arbeitsfläche und formst ihn zu einem runden Laib, idealerweise mit der Technik des sogenannten »Rundwirkens«.

Anschließend wird der geformte Laib außen gut bemehlt und mit der zuvor obenliegenden glatteren Seite nach unten in einen runden Gärkorb gelegt. Das Ganze wird mit einem Teigtuch oder einer Topfhaube abgedeckt und darf für weitere 1–3 Stunden gehen, bis der Teigling etwa auf die gut anderthalbfache Größe aufgegangen ist (»Stückgare« oder »Endgare«). Wenn du unsicher bist, kannst du auch testen, ob der Laib reif genug zum Backen ist.

Rechtzeitig vorher solltest du den Ofen auf 250°C vorheizen, falls du einen Pizzastein oder Backstein (Schamottstein) besitzt der im Ofen mit vorheizen kann, um so besser.

Hat der Ofen die Endtemperatur erreicht, stürzt Du den Teig aus dem Gärkorb auf ein Stück Backpapier und ziehst es damit auf den Backstein oder das Backblech (beim Backstein kannst du das Backpapier weglassen) und ritzt den gestürzten Laib auf der Oberseite mit einem superscharfen Messer kreuzweise ein. Das alles muss relativ schnell gehen – verbrenne dich nicht, am besten trage Ofenhandschuhe!

Um Dampf zu erzeugen, kippst du ein halbes Glas Wasser (ca. 100–150 ml) auf den heißen Ofenboden. Die Ofenklappe sofort schließen und die Temperatur auf 200 °C reduzieren. Das Brot für 30 Minuten backen. Jetzt kannst du den Ofen kurz öffnen, um den Dampf abzulassen und bäckst das Brot bei ca. 180 °C noch etwa 25 Minuten weiter.

Das Brot ist fertig, wenn es eine schöne Kruste hat und sich das Klopfen auf die Unterseite hohl anhört.

Fotos: © formschub

Weinblätter-Risotto

Wer kennt es nicht – das Elend mit den fertig abgepackten Lebensmitteln. Vorgestern hatte ich Appetit auf ein Rezept aus einem australischen Kochbuch (Fischfilet-Stücke mit Oliven-Tapenade bestrichen, in Weinblätter gewickelt und in einer Auflaufform 15 Minuten im Ofen gebacken) und musste dafür notgedrungen eine ganze Packung Weinblätter kaufen. Und gestern saß ich dann da mit 200 g Restweinblättern und überlegte, was ich damit zubereiten könnte. Zwar hätte ich Lust gehabt auf gefüllte Weinblätter, aber keine Lust auf das Füllen und Wickeln. Also habe ich das Rezept quasi »dekonstruiert« und ein Risotto mit einem orientalischen Topping daraus gemacht. Wer’s auch mal ausprobieren möchte – bittesehr!

Zutaten
(für 3–4 Personen)

1 Zwiebel oder 2 Schalotten
200 g Risottoreis (Arborio)
800–900 ml Hühnerbrühe
150–200 g eingelegte Weinblätter
1/2 Bio-Zitrone
1 Handvoll glatte Petersilie
100 g Schafskäse / Feta aus Schafsmilch
für eine abrundende Süße: 1–2 TL Honig, Ahornsirup oder Zucker
300 g Lammhack
30 g Pinienkerne
1 TL Zimt
2 TL Ras el-Hanout
Salz
Pfeffer
Olivenöl

Die Pinienkerne auf einem Porzellanteller flach ausbreiten, im Ofen (Heißluft, 160 °C) 20 Minuten goldbraun rösten und abkühlen lassen. Die Zwiebel fein würfeln, die Weinblätter entstielen und in schmale kurze Streifen schneiden, den Schafskäse fein zerkrümeln. Die Schale der Zitrone abreiben und den Saft auspressen. Petersilie fein hacken.

In einem Topf das Olivenöl erhitzen und die Zwiebelwürfel glasig anbraten. Den trockenen Reis zugeben und einige Minuten im heißen Öl mit anrösten. Unter gelegentlichem Rühren in 3–4 Schüben die Brühe zugießen und den Reis darin nach und nach bei schwacher Hitze gar köcheln lassen. Zusammen mit dem letzten Schuss Brühe die Zitronenschale, die zerkleinerten Weinblätter und die Petersilie hinzufügen. Wenn das Risotto cremig-al dente ist, den Schafskäse einrühren und mit Süße, Salz, Pfeffer und Zitronensaft abschmecken.

Während der Reis kocht, in einer Pfanne mit wenig Öl das Lammhack krümelig braun braten und dabei mit Zimt, Ras el-Hanout, Salz und Pfeffer würzen.

Risotto auf einem Teller etwas breitgestrichen portionieren und jeweils etwas Lammhack und einige Pinienkerne darüber verteilen.

Rezept und Foto: © formschub