Kategorie: Haar in der Suppe

Alles, was schlechte Laune macht

Isso.

Über manche Themen wird endlos diskutiert. Kontrovers. Leidenschaftlich. Emotional. Abwegig. Beleidigend. Oder voller Hass. Aber dann gibt es mitten in dem Stimmenwirrwarr einzelne Menschen, welche Gedanken äußern, die sich so richtig anfühlen wie die Sonne an einem blauen Sommerhimmel. Und auf einmal bekomme ich eine warme, trotz aller Dispute hoffnungsvolle Ahnung davon, wie es sein könnte, wenn sich diese Gedanken wie ein gesunder, weiser Virus verbreiteten und die ganze Welt ansteckten. Hier sind drei davon.


Durch Ralf Königs Comics erlebte ich mein Coming-out als Hetero. Seine Comics erlaubten mir, mich auf den Gedanken einzulassen, wie es wäre, einen Mann zu lieben. Sie machten mir Mut, mich zu fragen, wo ich stehe. Auszuprobieren, was mir gefällt. Und aufgrund dieser Erfahrungen laut sagen zu können: Ich liebe Frauen. Nicht weil es die Norm ist. Sondern weil es sich für mich persönlich stimmig anfühlt.

Quelle: Comiczeichner Flix im Tagesspiegel. Der Text über seinen Kollegen wurde verfasst anlässlich der Ehrung Ralf Königs für dessen Lebenswerk auf dem Internationalen Comic-Salon Erlangen 2014.



Foto: © Kristine Speare | Quelle: tumblr (inzwischen gelöscht), das Bild zeigt ihren Vater



Foto: Sarah-Lena Gombert | Quellen: RuhrNachrichten, Twitter

Haben Männer, die ein Problem damit haben, dass Männer Männer oder Frauen Frauen lieben, ein Problem mit Frauen?

In den jüngsten öffentlichen Debatten rund um das Coming Out von Thomas Hitzlsperger, Regenbogenlehrpläne, den Winterspielen in Sotschi bzw. den Diskriminierungen Homosexueller in Russland fallen mir – zum wiederholten Male – Dinge auf, die mich fast mehr beschäftigen als der eigentliche Gegenstand der Diskussion. Der Eindruck mag subjektiv sein, aber er stellt meine gesammelte Wahrnehmung dar:

  • Die Diskussion konzentriert sich vorwiegend auf Schwule, also Männer, ebenso die Ressentiments, welche die Diskussion prägen. Lesben tauchen bei der Thematisierung homosexueller Rechte lediglich am Rande auf und es kommt mir so vor, als würden sie auch weniger aggressiv abgelehnt, eher als exotische Randerscheinung gemieden oder – offen auftretend – zwar angestarrt, aber mehr oder weniger toleriert.
  • Oft erheben diejenigen am lautesten ihre Stimme, die am wenigsten Erfahrung oder Einfühlungskompetenz bezüglich der alltäglichen Lebenswelten Homosexueller haben. Altpolitiker (Blüm) oder sonstige Senioren in offiziellen Positionen und Ämtern, allen voran Geistliche. Je konservativer oder katholischer, desto lauter.
  • Frauen scheinen ein geringeres Problem im Umgang mit Homosexuellen beiderlei Geschlechts zu haben als Männer. Sie leiden auch anscheindend weniger unter der paranoiden Vorstellung, von jeder homosexuellen Frau als potenzielle Sexualpartnerin angesehen und »angebaggert« zu werden als die meisten Männer, die gegenüber Schwulen diese Befürchtung weitaus häufiger zeigen.
  • Männer sind in der Debatte generell präsenter, lauter und aggressiver. Es gibt offenbar weniger homophobe Frauen (die Statistik spricht in Deutschland von einem Frauen-/Männer-Verhältnis von etwa 1 zu 1,5) und sie äußern sich offenbar auch gemäßigter.
  • Je »emanzipierter« ein heterosexueller Mann vom patriarchisch-traditionellen Rollenverständnis der Geschlechter ist, desto offener und toleranter ist er gegenüber (männlichen) Homosexuellen eingestellt. Alle Hetero-Männer, die ich kenne, die in ihrer Beziehung, ihrem Beruf und ihrer Familie die Geschlechtergleichberechtigung aktiv leben und umsetzen, belegen dies.

Die plausibelste Begründung meiner Beobachtungen, die mir bisher begegnet ist, fasst ein allerorten im Netz kursierendes Zitat sehr treffend zusammen – das sich vornehmlich an heterosexuelle, homophobe Männer wendet:

»Homophobia: the fear that gay men will treat you the way you treat women.«, wobei ich »treat« lieber durch »look at« ersetzen würde, da vielleicht nicht jeder der angesprochenen Männer seine sexistische Weltsicht »tätlich« auslebt.

Anders gesagt, es scheint, dass eine sexistisch geprägte Einstellung gegenüber anderen Menschen (speziell von Männern gegenüber Frauen) mit einem homophoben Standpunkt korreliert. Unterstützt wird diese Wahrnehmung durch Erkenntnisse aus der Publikation »Homophobie in Nordrhein-Westfalen – Sonderauswertung der Studie ,Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit‘« des Ministeriums für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter in Nordhrein-Westfalen. Dort heißt es auf Seite 34:

Homophobie korreliert signifikant mit anderen Elementen der »Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit«. Das Muster gleicht dem von Gesamtdeutschland weitgehend. Wie auch im übrigen Deutschland korrelieren homophobe Einstellungen besonders eng mit sexistischen (r = .45). Wer homosexuelle Menschen abwertet und ihnen gleiche Rechte verweigert, tut dies signifikant auch eher gegenüber Frauen. Signifikante Verknüpfungen auf niedrigem Niveau finden sich (…) zwischen Homophobie und allen anderen in der GMF-Studie erfassten Vorurteilen (Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, die Befürwortung von Etabliertenvorrechten, der Abwertung von Obdachlosen, Langzeitarbeitslosen und Menschen mit Behinderung).

Homophobie ist also eigentlich gar keine Homosexuellenfeindlichkeit, sondern – mit einem gewissen Vorsprung der Frauenfeindlichkeit – allgemeine Menschenfeindlichkeit. Vielleicht hat sich das ja schon derjenige gedacht, der den Begriff »Homophobie« seinerzeit erfand, denn da steckt es im Wortsinne bereits drin.

Gerne würde ich wissen, ob die Leser dieses Blogbeitrags meine oben geschilderte Wahrnehmung der öffentlichen Diskussion teilen oder das ganz oder teilweise komplett anders sehen. Ich freue mich auf Eure Kommentare.


Photo: © peragro on Flickr | Some rights reserved

Video is killing the radio star
NSA is killing the conspiracy fun

Schon öfter hatte ich beim Lesen von Büchern oder dem Anschauen von Filmen den Gedanken, ob wohl einige famose Geschichten das Licht der Welt überhaupt erblickt hätten, wenn es zum Zeitpunkt ihrer Entstehung bereits die technischen Möglichkeiten der Jetztzeit gegeben hätte.

Bei der (zugegebenermaßen modernen) Verfilmung von »Romeo und Julia« durch Baz Luhrmann (1996) mit Leonardo di Caprio und Clare Danes z.B. dachte ich: hätte Julia eine SMS an Romeo geschickt, in der sie ihm von ihrem Plan mit der Schlafmitteleinnahme erzählt, hätte die Geschichte vermutlich ein Happy End gehabt. Gut, Happy Ends sind nicht immer die bestmöglichen Enden für eine Geschichte (ich liebe z.B. das grausige Ende der Stephen-King-Verfilmung »Der Nebel«), aber vermutlich hätten Romeo und Julia am Ende deutlich mehr Zeit füreinander gehabt, wenn es 1597 schon Mobiltelefone gegeben hätte. Wie viele fiktive Dramen und Romanzen mit Internet, Handy, SMS, Skype und WhatsApp niemals oder völlig anders stattgefunden hätten, steht in den Sternen.

Seit den Enthüllungen Edward Snowdens zur NSA-Überwachung beobachte ich an mir jedoch eine weitere Veränderung der Wahrnehmung verfilmter oder aufgeschriebener Geschichten.

Nehmen wir die famose Science-Fiction-Serie »Fringe«: in der fünften und letzten Staffel ist dort die Erde im Jahr 2036 von sogenannten »Beobachtern« unterjocht – gefühllosen, mächtigen Nachfahren der Menschheit aus der Zukunft – und eine kleine Gruppe Widerstandskämpfer versucht, die Welt von den Beobachtern und ihren Gefolgsleuten, den »Loyalisten« zu befreien. Dazu werden Pläne und Sabotageakte geschmiedet, der Widerstand muss sich organisieren, verabreden und benachrichtigen – natürlich alles via Handy und Internet. Und jedesmal seit Sommer 2013 dachte ich bei jeder Szene mit konspirativen Handygesprächen: »Jaja, toller Plan. Das glaubt ihr doch selber nicht, dass das in Wirklichkeit von der NSA unentdeckt bliebe, was ihr da ausheckt.« Und hatte mit diesem Gefühl deutlich weniger Spaß an der Serie als ohne diesen Gedanken.

Ein anderes Beispiel, aber mit ähnlicher Grundkonfiguration ist die ebenso geniale Serie »Breaking Bad«. Auch der heimliche Meth-Imperator Walter White führt fortwährend geheime oder konspirative Handytelefonate, um seine düsteren Machenschaften vor der DEA, seiner Familie oder anderen Mitwissern geheimzuhalten. Und auch hier mischt sich in meinen Seriengenuss das sandige, desillusionierte Gefühl, die Serie wäre in unseren Tagen bereits nach der zweiten Staffel beendet gewesen, da ein solch großer Fisch im Drogenbusiness durch die Handyüberwachung der NSA längst ins Netz gegangen wäre.

Nichts ist mehr privat. Nichts ist mehr konspirativ. Nichts vertraulich. Wir alle sind verdächtig. Auch die Helden und Bösewichte in unseren Geschichten. So gehen nicht nur Bürgerrechte und Vertrauen verloren, sondern auch die Phantasie.

Fuck you, Big Brother.

Screenshot: Breaking Bad | AMC Network Entertainment LLC

Mey, oh mey.

Durch ein Facebook-Posting von Sina Trinkwalder stieß ich heute auf das obenstehende Motiv der neuen Herbst/Winter-Werbekampagne des Unterwäscheherstellers mey (kreiert von der Werbeagentur Jung von Matt) und musste spontan schmunzeln. Mir gefiel es ebenso gut wie Sina es fand – frech, ehrlich und mit liebevoller Ironie betextet.

Als ich das Motiv auf Twitter weiterverbreitete, erhielt ich binnen kurzem zwei Kommentare: »Was hier los wäre, wenn eine Frau auf dem Bild wäre.« (@Sillium) und »Hm. Mit einer Frau auf dem Bild und entsprechend abgeändertem Text wärs Sexismus.« (@maria_hofbauer). Anscheinend gibt es das obige Anzeigenmotiv noch mit einer weiteren unterschiedlichen »Headline«. Vielleicht sind auch diese Texte für die unterschiedliche Wahrnehmung ein und desselben Fotos verantwortlich. Sicherlich kommt aber auch subjektives Empfinden dazu, wie mir die »Likes« und »Favs« zu meinem Tweet (von Männern und Frauen) vermitteln.

Diese Sicht auf die Anzeige ist natürlich legitim, ich persönlich kann jedoch an diesem speziellen Motiv nichts Sexistisches finden. Anders geht es mir mit einigen der weiteren 5 Motive (interessanterweise überwiegend die mit weiblichen Models), welche sich nahtlos in die gewohnt normative Darstellung perfekter Körper einreihen, die man aus der (Unterwäsche-) Werbung gewöhnt ist. Da reißen dann auch die »frechen« Texte nix mehr raus.

Sexismus, so glaube ich, kann man nicht allein an einem einzelnen Beispiel festmachen und beurteilen, er entsteht auch immer aus dem gelernten und erfahrenen Kontext sowie der Geschichte des inzwischen allgegenwärtigen sexistisch geprägten Umfelds in Werbung und Medien. Dieses fällt bekanntermaßen (leider) sehr stark zu Ungunsten der Frauen aus. Die normative Darstellung aufreizend gekleideter, vermeintlich perfekt geformter Frauenkörper übt auf das »Soll«-Bild von Frauen einen wesentlich stärkeren Druck aus als auf Männer. Wenn eine Frau diesem Bild nicht entspricht bzw. entsprechen will, wird sie diskriminiert, beleidigt, ausgegrenzt.

Gegenüber einem Mann, der nicht dem Bild des Werbe- und Medienadonis entspricht, ist die Gesellschaft nachsichtiger: »So sind sie halt, die Männer …« Das hat mit Druck und Diskriminierung weit weniger zu tun – »Abweichler« werden eher so genommen, wie sie sind. Du bist okay, so, wie du bist. Dass dies gegenüber Frauen anders ist, ist inakzeptabel und alle sollten daran mitwirken, dass es sich bald ändert.

Was jeder Mensch für sich attraktiv empfindet, mag zwar stark von diesen »öffentlichen« Körperbildern mitgeprägt sein, die uns umgeben, ist aber nach meiner Erfahrung (auch in meinem Bekanntenkreis) in seinem Gesamtspektrum weitaus vielfältiger. Wieso muss es ein »entweder – oder« geben? Die meisten Menschen würden zwar die eine oder andere Werbeschönheit beiderlei Geschlechts mental »nicht von der Bettkante schubsen«, aber sie finden auch in großer Zahl »normal« kleine, dicke, dünne, behaarte, picklige, blasse, faltige, nicht muskulöse usw. Menschen schön und/oder sind mit solchen zusammen. Ich finde es zudem völlig normal, sowohl ein idealisiertes Bild von einem Menschen (wie es dies seit Tausenden von Jahren in Malerei und Skulptur bereits gibt), attraktiv zu finden – oder eine Person, die diesem tatsächlich entspricht, als auch einen Menschen, der durch sich selbst, durch sein inneres Wesen oder durch Körpermerkmale attraktiv wirkt, die ich ganz persönlich gerne mag. Und da setzt für mich die Aussage der oben gezeigten Anzeige an: »Du bist zwar keine Werbeschönheit, aber ich finde dich trotzdem/gerade deshalb ziemlich sexy [in der Unterhose von mey].«

Was ist daran sexistisch? Ich wünschte mir eher, es würden mehr Menschen so denken und der Werbung mit ihren überirdischen Kommerz-Avataren wieder weniger Bedeutsamkeit beimessen.

Wie gesagt, die meisten der weiteren Anzeigenmotive machen diesen für mich sympathischen Ansatz leider gleich wieder zunichte. Sie zeigen die Frau, wie sie laut Werbung zu sein hat, um erfolgreich, geliebt, akzeptiert zu werden. Das ist Sexismus.

Schade, mey.

Foto: © mey Bodywear

unschlAGBar

Nehmen wir mal an, jemand führe für zwei Wochen in den Urlaub. Und nehmen wir mal an, derjenige kümmerte sich derart vorausschauend darum, was in dieser Zeit mit seiner Post geschieht, dass er der Deutschen Post für gut 8 Euro einen Postlagerauftrag für den Zeitraum seiner Abwesenheit erteilte.

Nehmen wir ferner an, der erste Tag nach der Rückkehr des Postkunden sei ein wenig regnerisch, er habe noch einen letzten Tag frei und machte es sich zu Hause gemütlich. Gehen wir davon aus, dass den ganzen Tag niemand an der Haustüre klingele, der Postbote etwa, weil die im Urlaub aufgelaufene Menge an Sendungen und abonnierten Zeitschriften das Fassungsvermögen des Briefkastens sprengten. Stellen wir uns weiterhin vor, der Urlaubsrückkehrer ginge nach einiger Zeit in den Hausflur zum Briefkasten und fände dort den auf dem untenstehenden Foto dokumentierten, entfernt an Pappmaché erinnenden Klumpen bedruckten Papiers in seinem Briefkasten vor: klatschnass, gewellt, zerknickt und durch die … sagen wir »energische« Einbringung der ambitionierten Postmenge in den Briefkasten teilweise zerfetzt.

Wir könnten sodann sicherlich nachvollziehen, dass der Empfänger sich erboste und bei seinem Dienstleister, der Deutschen Post, schriftlich Beschwerde gegen die Misshandlung seiner Zustellung vorbrächte.

Doch können wir uns tatsächlich vorstellen, dass jener Dienstleister in seiner Antwort einen Passus aus dessen AGB zitierte, der besagte, dass keine Verantwortung für Schäden übernommen werde, die »durch nicht ordnungsgemäßes Behandeln von Brief- und briefähnlichen Sendungen ohne Zusatzleistungen« entstehen? Wohlgemerkt: Schäden, die auf das Konto von Post-Mitarbeitern (aka Postboten, Briefträger, Zusteller, Kuriere, also für die bestimmungsgemäße Zustellung von Brief- und Warensendungen eingestellte und/oder angelernte Personen) gehen. Oder, kurz gesagt, reicht unsere Vorstellung so weit, dass ein Postzusteller nach Belieben mit ordnungsgemäß an uns frankierten Sendungen umspringt, es sei denn, man bezahlt zusätzlich eine Aber-bitte-mach-meine-Post-nicht-kaputt-Gebühr?

Mein Vorstellungsvermögen zumindest reicht dafür nicht aus. Ich müsste mich dafür entweder in ein juristisches Fantasialand begeben, wo in den AGB stehen kann, dass eine Dienstleistung auch komplett entgegen ihrem Ziel und Zweck ausgeübt werden kann – oder aber in ein krudes Universum, in dem man quasi ein extra »Schutzgeld« an einen verschlagenen gelben Riesen zahlen muss, damit Briefen unterwegs ja nichts passiert.

Aber hier? In unserer Realität? Da kann man sich sowas nicht mal ausdenken.

Science Fiction

Bildmontage: formschub
Photo of TV Set: © Stefan on flickr | Licensed under Creative Commons

Wenn eine Technologie wie ein weltumspannendes Computernetz, die wenige Jahrzehnte zuvor noch unmöglich schien, erst einmal vorhanden ist, wird sie bald wie selbstverständlich hingenommen. Das betrifft sowohl ihre Vor- als auch ihre Nachteile. Doch wie wäre es, wenn ein Ereignis wie die NSA-Affäre ganz plötzlich in den Alltag der Vergangenheit eingebrochen wäre, als es das Internet noch gar nicht gab? Verkündet in einer der Hauptnachrichtensendungen des deutschen Fernsehens – damals, vor 35 Jahren …*

»Washington. Wie die britische Zeitung ,Guardian’ berichtet, verfügt der US-Geheimdienst NSA über eine neuartige Technologie, die es ermöglicht, die Menschen nahezu aller Nationen weltweit in kaum vorstellbarem Ausmaß zu überwachen. Die Informationen und Dokumente, welche dies belegen, wurden der Redaktion von Edward Snowden, einem ehemaligen Mitarbeiter des Geheimdienstes zugespielt, der die Unterlagen zuvor gesammelt und an sich gebracht hatte.

Mit der Veröffentlichung will der sogenannte ,Whistleblower’ die Aktionen des bislang streng geheim gehaltenen Überwachungsapparates gegenüber der Weltöffentlichkeit enthüllen und die damit verbundenen nationalen und internationalen Rechts- und Verfassungsbrüche anprangern. Die Überwachung, so Snowden, werde von den USA mit einer effizienteren Bekämpfung des internationalen Terrorismus begründet und umfasse dabei nicht nur die elektronische Kommunikation, sondern auch die Aufenthaltsorte der Menschen sowie Datum, Zeit und Inhalte der ausgetauschten Nachrichten. Dies betreffe sämtliche Bürger – auch Milliarden Privatpersonen seien von der elektronischen Erfassung betroffen, da jedes Verdachtsmoment für die Behörden von Bedeutung sei.

Die amerikanische Regierung hat bisher zu den Enthüllungen jede Stellungnahme verweigert. Wo sich Edward Snowden derzeit aufhält, ist nicht bekannt, Geheimdienstexperten vermuten jedoch, dass der Informant auf der Suche nach einem sicheren Drittland ist, in dem er Asyl beantragen kann, ohne an die USA ausgeliefert zu werden. Die Bundesregierung, so ein Sprecher, wolle sich zu den Presseberichten des ,Guardian’ erst äußern, wenn die Behauptungen sich als stichhaltig herausstellten. In ersten Reaktionen zeigten sich internationale Bürgerrechtler sowohl teilweise ungläubig als auch entrüstet. Ein deutscher Verfassungsrechtler bezeichnete die Presseberichte als ,Science Fiction’ – es sei weder rechtlich und ökonomisch noch technisch plausibel, dass ein Geheimdienst – selbst der einer Großmacht wie der USA – eine derartige Infrastruktur in Betrieb nehme und nutze.«

(Tagesschau, Dienstag 06.06.1978)

* Ich weiß, dass der SPIEGEL 1983 bereits ausführlich über die Abhöraktionen der USA berichtete. Doch der damalige Artikel fokussierte sich m.E. eher noch auf »ausgewählte« Zielgruppen innerhalb der Bevölkerung, nicht auf eine umfassende Ausspähung ganzer Nationen und ihrer Bürger.

Schnösel

Ich habe extra fast 24 Stunden lang gewartet, ehe ich diesen Blogbeitrag schrieb, um mich wieder etwas abzuregen. Ein bisschen habe ich mich auch wieder abgeregt, aber der weißglühende Kern meines Zorns glüht unvermindert hell.

Wieder einmal durfte ich feststellen, dass der für mich einzige Grund, die schöne Stadt Hamburg kalt und innig zu hassen, von einer bestimmten Kaste Menschen repräsentiert wird, die in einigen Stadtteilen geballt (was auch andere Hamburger bestätigen können), im Rest der Stadt tröstlicherweise seltener anzutreffen ist. Nennen wir sie »Schnösel« – obgleich diese putzige Klassifizierung nur bedingt geeignet ist, alles Negative, was diese Wohstandsprimaten charakterisiert, in einem Wort wiederzugeben. Oft, nicht immer, begegnet man ihnen im Bundle mit glänzenden Luxusboliden, mal als SUV, mal als Limousine oder Edelcoupé, doch auch zu Fuß kreuzt man ihren Weg. Ihnen gehört die Stadt, sie gebieten in weitem Radius über den Boden, auf dem sie wandeln und den Luftraum, der sie umgibt. Ihr Zepter ist Arroganz, ihre Krone selbstgefällig zur Schau getragener Wohlstand. Sie haben es geschafft. Oft auch nur, mich anzuwidern.

Ich habe nichts gegen wohlhabende Menschen, ich habe selbst Bekannte, die sich keine Sorgen um ihren Lebensunterhalt machen müssen. Aber sie sind allesamt auf dem Teppich geblieben und es bleibt viel Mögenswertes übrig, wenn man ihren Besitz, ihren Status, ihre Position und ihren Erfolg von ihrer Persönlichkeit abzieht. Doch zurück zum Thema.

Der Grund meiner jüngsten Échauffage ereignete sich, als ich meinen Freund vom Hamburger Hauptbahnhof abholte. Ich hatte mein Auto in einer Parkbox vor dem Ohnsorg-Theater abgestellt, wir beluden das Auto mit einigem Reisegepäck und setzten uns hinein, um zu einer zeitlich fixierten Verabredung aufzubrechen. Ich hatte kaum den Motor gestartet, als ein Porsche Cayenne majestätisch vor den Kühler meines Twingo rollte und dort zum Stehen kam. »Naja«, dachte ich im ersten Moment, »vielleicht hat er ja nicht gesehen, dass mein Wagen besetzt ist und wir im Aufbruch sind« – und betätigte die Lichthupe. Ein glasiger Blick des Fahrers traf mich, er zog den Zündschlüssel ab und verließ sein Fahrzeug. Nun zog ich das »Licht« von der »Lichthupe« ab und gab ihm ein akustisches Signal. Die einzige Reaktion war eine beschwichtigende Handbewegung, die gemeinhin mit »jetzt hab dich mal nicht so und warte gefälligst« zu übersetzen ist. Inzwischen war auch der Grund der Platzblockade vor Ort eingetroffen: eine mit allerlei Geschmeide behangene Dame nebst Kleinkind, die sich nun anschickte, Kind, Kegel und Klappbuggy zum Verladen in den Offroadsimulator bereit zu machen.

Da es zeitlich etwas pressierte und wir nun auch beide in Wallung kamen, betätigte ich – diesmal wiederholt – die Hupe. Monsieur Hybris setzte die Zustiegsassistenz für seine Begleiterin ungerührt fort. Erst als sich mein Freund aus dem Auto begab und mit deutlich erhobener Stimme die Wegfahrt anmahnte und ein Anrufen der Verkehrsordnungskräfte avisierte (Madame Hybris wurde durch diese Ankündigung zu einem theatralischen Lachen inspiriert), stieg der Schnösel in sein Edelkettcar und machte die Ausfahrt frei.

Bin ich zu empfindlich, wenn ich mich frage: was denken sich diese Menschen dabei? Wandelnde Weltennabel, denen alles und jeder zu weichen hat? Es gibt nur wenige Situationen, in denen ich den Drang verspüre, zu sagen »ich könnte kotzen« – diese war eine davon. Und mein Gegenüber hätte mir sehr gern dazu sein Seitenfenster öffnen dürfen.


Foto: formschub